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Ausgangssperre in Rouen
Gottesdienst in der Backstube

In Frankreich sind Gottesdienste auf unbestimmte Zeit verboten. Ein Pfarrer im nordfranzösischen Rouen hat seit Mitte März ein ganz eigenes Format entwickelt. Er sucht sich Orte des Alltagsleben aus, um die Messe zu feiern: leere Pausenhöfe oder leere Backstuben.

Von Suzanne Krause | 20.04.2020
Geoffroy de la Tousche hält die Messe in einer Backstube in Rouen
Geoffroy de la Tousche hält die Messe in einer Backstube in Rouen (YouTube/CathoRouen)
Seit Wochen stellt Geoffroy de la Tousche täglich neue Videos in seinem YouTube-Kanal ein. In einem Clip ist ein im Grünen aufgebauter Tisch mit weißer Decke zu sehen. Dort stehen ein Messkelch und ein kleines Kreuz, neben der aufgeschlagenen Bibel liegt ein Smartphone, aus dem liturgischer Gesang ertönt. Im Hintergrund gut sichtbar ist ein historisches Bauwerk. Nun tritt Geoffroy de la Tousche in violetter Kasel an den improvisierten Altar.
Diesen Gottesdienst widme er, sagt der Priester, speziell all jenen, die gewisse Transportdienste aufrechterhalten: Rettungswagenfahrer, Müllkutscher, Busfahrer. Sie arbeiten nun, wie andere auch, unter speziellen Sicherheitsvorkehrungen – oder wurden wegen Kurzarbeit heimgeschickt, erinnert Geoffroy de la Tousche.
"Für die heutige Messe habe ich den Bahnhof von Rouen als Kulisse gewählt. Rechts davon ist dessen großer Parkplatz zu sehen, normalerweise ist er voll, jetzt stehen dort lediglich zwei Autos. Wir denken an all die, die viel auf Reisen sind, ob aus beruflichen oder familiären Gründen. Wir denken daran, was sich seit Beginn der Corona-Krise verändert hat, vor allem, seit der Premierminister in Paris alle Reisen während der Osterferien untersagt hat."
Für Busfahrer, Bäcker, die Müllabfuhr
Die aktuellen Restriktionen, appelliert der Pfarrer, böten jedermann Gelegenheit, die Notwendigkeit gewisser Fernreisen zu überdenken. Bei seiner originellen Freiluftmesse wirkt der charismatische 49-Jährige voll in seinem Element.
"Man kann Christus nicht unter Hausarrest stellen! Deshalb lese ich die Messe nun an Orten des Alltagslebens, die derzeit geschlossen sind. Mir kommt das ganz selbstverständlich vor. Anderen wohl auch, denn alle, die ich fragte, ob ich in ihrem Betrieb einen Gottesdienst abhalten könne, sagten spontan Ja – egal, ob sie Katholiken sind oder nicht."
Morgens um vier dankte der Priester in einer Backstube denen, die nachts arbeiten, ob sie nun Brötchen backen oder Kranke pflegen. Vom leeren Pausenhof einer katholischen Schule aus wandte er sich an Lehrer und Schüler, zelebrierte die Messe in einem Kuhstall, in einer verwaisten Fabrikhalle, in einem Box-Club.
"Die Unternehmensbosse und Manager mussten angesichts der Coronavirus-Krise schwierige Entscheidungen treffen und das Personal heimschicken. Wenn ich in den leeren Räumen einen Gottesdienst abhalte, wird der Ort transzendiert, zum Trost der Betriebsverantwortlichen. Sie fühlen sich nicht mehr alleingelassen, sie sehen, dass die Kirche für sie da ist. Dass die Priester bereit sind, sich die Hände dreckig zu machen, um auf Andere zuzugehen, wie Papst Franziskus sagte. Wenn wir nicht auf die Leute zugehen, werden sie auch nicht zu uns kommen. Denn heutzutage finden viele nicht mehr einfach von selbst aus zu Gott."
"Man kann Christus nicht unter Hausarrest stellen"
In einem YouTube-Video besprüht Geoffroy de la Tousche, Sprössling einer alten Adelsfamilie, zusammen mit einem Teenager ein angerostetes Eisentor mit dem Spruch "God bless you". Er hat Motorradfahrern den Segen erteilt sowie in seiner Amtszeit in Dieppe den dortigen Bürgermeister, ein Kommunist, zur gemeinsamen Papst-Audienz in Rom bewegt. Mit der neuen Form der Gottesdienste findet der Pfarrer in Rouen viel Echo: Nun laden Unternehmen ihn von sich aus ein.
"Wenn ich einen realen Gottesdienst in der Kirche abhalte, sitzen da, ob morgens, mittags oder abends, höchstens 20 Gläubige. Die virtuellen Messen hingegen verfolgen live je hundert Leute. Und bis abends haben zwei-, dreihundert Personen das Video angeklickt. Viele teilen mit, wie glücklich meine Initiative sie mache. Sie schreiben, sie hätten sich vom Katholizismus verabschiedet gehabt, meine Messe jedoch würde sie ermuntern, zur Kirche zurückzukommen", sagt de la Tousche.
Eine Messe hat Geoffroy de la Tousche selbst am meisten geprägt: Die in einem Profibaumarkt.
"Nach der Messe im Baumarkt sagte mir der Geschäftsführer wortwörtlich: 'Meine Mama, die im Paradies ist, wäre von diesem Gottesdienst begeistert gewesen'. Dabei glaubt er selbst nicht an Gott."