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Ausgeklüngelt

Manche nennen Köln auch die nördlichste Stadt Italiens - und meinen damit die Art, wie in der Domstadt Politik gemacht wird. Gegen das sogenannte Klüngeln auf politischer und wirtschaftlicher Ebene gehen jetzt die politischen Auftraggeber vor: die Kölner Bürger.

Von Nina Magoley | 18.02.2010
    "Tschuldigung? Sind Sie Kölner? ... Frau: Ich hab schon unterschrieben ... Sie haben schon unterschrieben ... Ich auch. Sie haben auch schon. Haben Sie schon das Bürgerbegehren? Schon unterschrieben? .... Ah, da ist jemand, wunderbar. Ich geb's Ihnen weiter, bitte sehr ..."

    Auf dem traditionellen Aschermittwochstreffen der bildenden Künstler in Köln. Es gibt Fischsuppe und Wein. Doch Jörg Jung hat keine Zeit zum gemütlichen Plaudern, er ist auf der Jagd nach Unterschriften für sein Bürgerbegehren. Auf dem Kopf trägt er einen Bauhelm, an dem ein Schild befestigt ist. Darauf steht: Rettet das Schauspielhaus! Er ist umringt von Interessierten, die Genaueres über die Aktion wissen wollen.

    "Wir werden permanent auf der Straße angesprochen von Leuten, die uns mit den Unterschriftenlisten sehen und sehr dankbar dafür sind, dass es endlich eine Möglichkeit gibt, seine Stimme zu erheben. Weil viele Kölner wahnsinnig frustriert darüber sind, dass ganz viele Entscheidungen an ihren Köpfen vorbei getroffen werden. Und hier geht es schlichtweg um eine sehr einfache Frage: Kann man es sich leisten, in Zeiten wie jetzt, nach der Finanzkrise, hundert Millionen Euro mehr auszugeben für einen Neubau, während wir eigentlich ganz andere Sorgen haben?"

    Jörg Jung ist eigentlich Journalist. Zurzeit verbringt der 48-Jährige fast jede freie Minute mit der Bürgerinitiative. "Mut zur Kultur" hat sich die Gruppe genannt, es ist eine bunte Mischung aus überwiegend Kulturschaffenden. Und die Liste der Unterstützer enthält durchaus prominente Namen: Daniel Hug, der Direktor der Art Cologne ist dabei, der Regisseur Jürgen Flimm oder der Direktor des Kunstmuseums Kolumba, Stefan Kraus. Vor allem aber sind es ganz normale Kölner Bürger, die eins vereint: Sie haben die Nase voll von den Machenschaften der Stadtverwaltung, die in Köln immer skurrilere Blüten treibt.

    "Es geht wirklich darum, dass wir den Kern einer Stimmung in dieser Stadt getroffen haben, den die Politik dann manchmal auch nicht mitkriegt. Weil sie von Verwaltungsvorlagen zubetoniert und zugeknallt wird und keine Möglichkeit mehr hat, zu spüren, was in der Bevölkerung passiert. Und da müssen wir als Bevölkerung unserer Politik helfen, sich gegen die Verwaltung zu stellen, denn manchmal haben wir den Eindruck, dass die Verwaltung vergessen hat, wer der eigentliche Souverän in einer Stadt ist. Das ist der Bürger, und nicht die Verwaltung. Die Verwaltung ist unser Dienstleister, arbeitet in unserem Auftrag. Aber das hat man vergessen, und das machen wir jetzt wieder deutlich."

    30.000 Unterschriften will die Initiative zusammenbekommen. Damit wäre der Rat der Stadt gezwungen, die Entscheidung zum Abriss des Schauspielhauses zurückzunehmen oder sogar einen Bürgerentscheid durchzuführen. Etwa 13.000 Unterschriften sind es bereits. Spontan gestartet, hat "Mut zur Kultur" inzwischen große Dynamik entwickelt. Eine Internetseite informiert täglich über Neuigkeiten, und pünktlich zum Karneval ertönte eine neue, vom Kölner Künstler Merlin Bauer gedichtete Hymne mit Karnevalssound - die vertonte Verdrossenheit der Kölner.

    Ortswechsel. In der stillen Dachgeschosswohnung zwischen Bücherwänden und gestapelten Manuskripten sitzt Buchautor Frank Möller. Auch er einer der verdrossenen Bürger Kölns, die nicht mehr einfach zusehen wollen, wie das einst zu den kreativsten und pulsierendsten Städten Europas zählende Köln im Sumpf der falschen Politik versinkt. Korrupte Deals beim Bau der Kölner Messe, ein undurchsichtiger Haushalt trotz Rekordverschuldung, ein U-Bahn-Bau, der Milliarden verschlingt. Als dann am 3. März vergangenen Jahres das Kölner Stadtarchiv einstürzte und ziemlich schnell klar wurde, dass am darunter liegenden U-Bahn-Bau auf kölsche Art gepfuscht worden war, wandelte sich der Frust in Entsetzen. "Köln kann auch anders", beschloss Frank Möller da. Über das Internet startete er einen Aufruf, lud zu einem abendlichen Treffen vor dem Kölner Rathaus ein. Es kamen 200 Menschen.

    "Was diese Leute vereinte, war im Grunde erstmal ihre Erschütterung über das, was passiert war. Es waren immerhin zwei junge Männer gestorben, es sind unglaubliche Kulturschätze vernichtet worden, und das alles wegen eines dusseligen U-Bahn-Baus, den kein Mensch brauchte. Damals bestand noch kein Plan, was machen wir jetzt. Wir haben auch da im Grunde genommen schweigend rumgestanden, ohne Plakate, ohne Transparente, ohne Ansprachen. Einfach schweigend, um der eigenen Erschütterung Ausdruck zu geben."

    Aus dem anfänglich lockeren Treffen wurde die sogenannte "ständige Bürgervertretung". Jeden Montagabend versammeln sich um die 50 Menschen vor dem Kölner Rathaus. Es gibt Vorträge, Diskussionen, und nicht selten taucht auch das eine oder andere Ratsmitglied auf – neulich sogar der neue Oberbürgermeister.

    "Wir stellen alles, was an wesentlichen Entscheidungen in Köln getroffen wird, auf den Prüfstand, weil wir denjenigen, die diese Entscheidung treffen, oder die diese Entscheidung verwalten, nicht mehr über den Weg trauen."

    600 Unterstützer hat "Köln kann auch anders" inzwischen – darunter Juristen, Baufachleute, Journalisten -, zu jedem städtischen Thema gibt es Expertenwissen. Das Engagement der zornigen Bürger hatte bereits Wirkung. Als ausgerechnet Fritz Schramma, als ehemaliger Oberbürgermeister mitverantwortlich für den Einsturz des Stadtarchivs, im November 2009 in den Aufsichtsrat der Messe bestellt werden sollte, liefen die Bürger Sturm. Viel Pressearbeit und Email-Aktionen auch an Politiker im nordrheinwestfälischen Landtag führten dazu, dass die Entscheidung rückgängig gemacht wurde. Was aber ist es, woran krankt die Stadt, die sich selber für so großartig hält?

    "Die Ratsparteien, und hier sind hervorzuheben die CDU und die SPD, haben sich über Jahrzehnte die Stadt zur Beute gemacht. Das heißt, sie haben Führungspositionen in der städtischen Verwaltung und in städtischen Betrieben primär nach Parteibuch besetzt und nicht nach Qualifikation. Sie haben alles dafür getan, Transparenz in wesentlichen Fragen der Stadtentwicklung zu verhindern. Und die Folgen von dieser Art von Stadtpolitik sind unmittelbar nachvollziehbar. Die Bürger ziehen sich zurück, betrachten die Stadt nicht mehr als ihr Gemeinwesen, weil die da oben ohnehin machen, was sie wollen, und viele Kreative, viele schlaue Köpfe ziehen weg. Und das ist ein schleichender Prozess, der hat sich über viele Jahre in Köln vollzogen."

    Ist Köln dabei soviel anders als andere Städte? Nirgends, weder in Berlin noch in Hamburg oder München, ist man wohl so offen begeistert von sich selbst, wie in "Kölle am Rhein". Doch ist es diese Selbstverliebtheit allein, die für das Chaos verantwortlich ist?

    "In Köln kommt ein Spezifikum dazu, das hängt vermutlich mit der rheinischen Mentalität zusammen: Man macht sich ungern Feinde, das heißt, man holt die Gegner ins Boot. Das heißt, wenn sich eine Partei bedient, dann macht sie das nicht gegen die andere Partei, sondern die holt die sich als Bündnispartner mit ins Boot. Wenn man dann gemeinsam rumkungelt, kann keiner den anderen später beschuldigen. Das ist ein Prinzip, ich glaube, das ist in Köln außerordentlich ausgeprägt."