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Ausgelernt?

Die Stadt Essen hat über viele Jahre Nachhilfeunterricht bezuschusst, den Lehramtsstudierende der Universität Duisburg-Essen Schülern mit Migrationshintergrund gegeben haben. Schüler und Studenten haben davon gleichermaßen profitiert. Nun droht das Aus.

Von Andrea Groß | 11.06.2010
    Die meisten der etwa 200 Gesichter strahlen. Die Zukunft des Bilderbuchprojektes ist an diesem Abend das Gesprächsthema, aber alle geben sich optimistisch. Der Rektor sagt in seiner Ansprache, dass er sich nicht vorstellen könne, dass die Stadt die Hochschule hängen lassen wird. Eine Hochschule, die immerhin eine eigene Prorektorin für Diversity-Management, also für soziale Vielfalt hat.

    Die Vertreterin der Stadt beteuert, dass die Verwaltung mit Hochdruck an einer tragfähigen Nachfolgelösung arbeite. Numan Durmus ist einer der Förderlehrer. Für ihn ist es die erste Absolventenparty. Er rechnet aber damit, dass es im nächsten Jahr wieder eine geben wird. Durmus erklärt erst einmal, wie der Unterricht funktioniert.

    "Es läuft so ab, dass wir je nach Angebot und Nachfrage eingeteilt werden. Wir haben hier zirka 800 Schüler und die kommen hier hin mit ihren unterschiedlichsten Fächern, in denen sie halt Hilfe benötigen. Das geht halt immer jeweils 60 Minuten und je nachdem, wie es dann auch mit unserem Stundenplan übereinstimmt, geben wir denen dann Unterricht."

    1974 wurde der Förderunterricht ins Leben gerufen, um die Deutschkenntnisse türkischer, griechischer und jugoslawischer Schüler zu verbessern. Mittlerweile unterrichten rund 100 Lehramtsstudierende die Schüler aus 50 Herkunftsländern auch in Fächern wie Physik und Erziehungswissenschaft. Einer der Schüler ist Fabian Gawlitta. Seine Familie stammt ursprünglich aus Polen.

    "Ich hätte das nicht gedacht, dass ich es schaffen würde, von der Realschule auf das Gymnasium zu wechseln. Ich habe hier auch Anregung bekommen, dazu und nachdem ich die Förderung genießen konnte, hat es auch geklappt. Besonders in den Problemfächern."

    Fabian Gawlitta hat jetzt das Abitur in der Tasche und will sich an der Uni Duisburg-Essen einschreiben. Für ein Lehramtsstudium. Und möglichst bald will er dann selbst Förderunterricht geben. Diese Art von Seitenwechsel gibt es häufig, sagt Eva Lipkowski, die zu den Initiatoren des Projekts gehört. Und sie trägt enorm zur Motivation der Schüler bei.

    "Das ist natürlich für die Kinder, die jetzt gefördert werden, ein Riesenvorbild. Wenn die Förderlehrer erzählen, ach, ich hab auch hier angefangen und hatte vier fünfen. Komm, stell dich nicht so an."

    Etwa 4300 Schülerinnen und Schüler haben in Essen mithilfe des Förderunterrichts Abitur oder Fachabitur gemacht. Die Versetzungsquote liegt bei deutlich über 90 Prozent. Die Vorteile für die Schüler liegen also auf der Hand. Würde das Projekt gekippt, würde es auch für die Förderlehrer wesentlich schwieriger, Berufspraxis zu sammeln. Und die 20-jährige Abiturientin Doua Al Madfaa gibt noch einen weiteren Punkt zu bedenken:

    "Es hat jetzt 30 Jahre lang sehr viel Arbeit gekostet, es zu diesem Standard zu bringen. Und jetzt das zu schließen und vielleicht später mal zu überlegen, es noch mal zu öffnen, wäre halt total falsch."

    Für die Schüler ist das Angebot kostenlos, die studentischen Förderlehrer erhalten eine kleine Aufwandsentschädigung. Die Räumlichkeiten stellt die Universität. Peter Renzel ist Essens Stadtverordneter für Jugend, Bildung und Soziales. Den Vorwurf, ein integrations- und bildungspolitisches Vorzeigeprojekt leichtfertig aufs Spiel zu setzen, weist er weit von sich. Die Stadtverwaltung suche nach alternativen Möglichkeiten, aber eigene Mittel seien angesichts der finanziellen Schieflage nicht darstellbar.

    "Ich habe der Universität als auch den Schulen gesagt, dass die Kommune letztendlich mit eigenen Mitteln nicht die Aufgaben finanzieren kann und darf, die Aufgabe der Schule mit ihren Lehrerinnen und Lehrern oder der Universität mit ihren Studierenden ausmacht. Beides sind Aufgaben des Landes, das können wir nicht finanzieren."

    In diesem Jahr allerdings soll die Unterstützung noch fließen und deshalb ist der Stadtverordnete zuversichtlich, dass ausreichend Zeit ist, eine Lösung für die Zukunft zu finden. Die Organisatoren des Förderunterrichts sorgen sich, dass nach einer Absage der Stadt Essen noch andere Sponsoren abspringen könnten. Andererseits haben sie bereits 4000 Protestunterschriften gesammelt. Sollte der Stadtrat Ende des Monats den Geldhahn wirklich zudrehen, wird sich der öffentliche Druck noch verstärken. Vor dem Hintergrund haben sie in Essen erst einmal gefeiert.