Ein junger Mann liegt am Straßenrand in Agadez im Norden des Niger: Durchgangsstation Tausender von Immigranten auf dem Weg nach Norden, Richtung Libyen, Richtung Europa.
"In meiner Familie wissen nicht alle, dass ich unterwegs bin. Meine Eltern sind sowieso gestorben, das ist auch der Grund, warum ich mich auf den Weg gemacht habe. Wenn ich es bis nach Libyen schaffe, will ich aber nicht dort bleiben. Ich habe Spanien im Kopf, da möchte ich hin."
Der italienische Enthüllungsjournalist Fabrizio Gatti hat trotz strengen Verbotes in Agadez im Niger gefilmt und von dort berichtet über eine neue Flüchtlingswelle, die in diesen Wochen Richtung Mittelmeerküste rollt
"Hier in Agadez starten die Menschen für die Wüstendurchquerung in endlosen Konvois von bis zu 50 Fahrzeugen, 30 Laster und 20 Geländewagen, die werden von der Armee begleitet. Die Soldaten des Niger schießen auf jeden, der außerhalb dieser Konvois und ohne Genehmigung durch die Sahara fährt."
Die Fahrt durch die Wüste ist die reine Hölle. Etwa ein Zehntel der Migranten stirbt unterwegs - ausgeraubt, verdurstet oder durch Krankheit. Vieles hängt von der körperlichen Widerstandskraft des einzelnen ab - und davon, ob er genügend Reisegeld für die Weiterfahrt dabei hat:
"Immer wieder mussten wir bezahlen. Um schließlich nach Bengasi im Norden Libyens zu kommen, hatte ich kein Geld und so wurde ich dauernd durchgeprügelt","
erzählt diese junge Frau, die es trotzdem bis zur nordafrikanischen Küste geschafft hat. Gegen den Schrecken der Wüste und die menschenverachtende Behandlung in Libyen scheint der letzte Sprung, die gefährliche Überfahrt nach Lampedusa, ein Kinderspiel, meint Tarek aus Äthiopien.
""Ich selbst war auf meiner Flucht in Libyen mit Tausenden anderer Leidensgenossen in verschiedenen Gefängnissen. Ich kenne Libyen sehr gut und weiß wohl, was da passiert, vor allem mit den Frauen. Ich habe Minderjährige kennengelernt, die vergewaltigt und dann schwanger wurden. Das passiert häufig. Wenn eine Frau auch noch hübsch ist, dann fällt sie unweigerlich in schlechte Hände."
"Allah ist groß" lautet der offizielle Titel der libyschen Nationalhymne. Und in einer der ersten Textzeilen heißt es: "Allah ist mächtiger als alle Winkelzüge unserer Gegner und der beste Helfer für alle Unterdrückten."
Das gilt offenbar nicht für die Hunderttausenden von Menschen, die durch Libyen müssen, um nach Europa zu gelangen. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen prangern unermüdlich die menschenunwürdige Behandlung der Immigranten in libyschen Gefängnissen und Lagern an. Bilder und Filme von den schrecklichen Zuständen gibt es nicht, Journalisten droht Kerkerhaft, wenn sie ohne Genehmigung nach Libyen reisen.
Doch die Aussagen vieler Migranten in Italien decken sich. Im besten Falle arbeiten die Flüchtlinge Monate oder sogar Jahre als Sklaven bis sie endlich genügend Geld für die Überfahrt nach Italien haben und die Qual in Libyen ein Ende hat. Diese Hoffnung soll der soeben ratifizierte Freundschaftsvertrag zwischen Italien und Libyen, das Ergebnis jahrelanger politischer Scharmützel zwischen Rom und Tripolis jetzt zunichte machen. "Es beginnt eine neue Ära für Italien und Libyen, wir werden uns gegenseitig helfen und immer enger zusammenarbeiten," erklärt Hafed Gaddur, Libyens Botschafter in Rom. Im Mai soll nun endlich die gemeinsame Überwachung der libyschen Küste beginnen, um das Auslaufen von Flüchtlingsbooten zu verhindern.
"Wir haben 4000 Kilometer Grenze in der Wüste, Um uns herum gibt es Länder mit vielen politischen Problemen - Darfur, Tschad, Niger überall gibt es Schwierigkeiten. Und deshalb fliehen die Menschen. Die Kontrollen an der Küste haben wir gemeinsam mit Italien entwickelt, aber ob wir damit die Flüchtlingsboote stoppen können, weiß ich auch nicht."
Dass durch die Kontrollen ein regelrechter Stau in Libyen entsteht und sich die Lebensbedingungen der Flüchtlinge weiter verschlechtern werden, stört die italienische Regierung wenig. Denn Libyen ist ein viel zu wichtiger Wirtschaftspartner, als dass man sich wegen der Einhaltung der Menschenrechte für ungeliebte Immigranten aus der dritten Welt streiten möchte. So wichtig ist diese Wirtschaftsbeziehung, dass Ministerpräsident Silvio Berlusconi sogar einen historischen Kniefall vor dem libyschen Staatspräsidenten Gaddafi tat:
"Ich beklage was Italien in der Vergangenheit Ihrem Volk angetan hat und bitte um Vergebung. Wir werden mit dem Führer Gaddafi zum Wohle unserer Völker zusammenarbeiten."
Für 30 Jahre blutiger Kolonisierung mit 100.000 getöteten Libyern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird Italien fünf Milliarden Dollar Entschädigung bezahlen. Sogar die Opposition begrüßte den Handel mit Tripolis. Ex-Ministerpräsident Massimo D'Alema:
"Mit diesem Vertrag normalisieren wir unsere Beziehungen mit einem Nachbarland, mit dem wir eine starke wirtschaftliche Bindung eingegangen sind. Die ist für uns inzwischen unverzichtbar. Libyen ist unser wichtigster Partner im Energiesektor und sichert unseren Energiebedarf."
Und auch die Wiedergutmachung wird zum Teil wieder zurück nach Italien fließen. Italienische Firmen haben sich jüngst gewaltige Aufträge des umfangreichen Aufbauprogramms Libyens gesichert. Der italienische Staatskonzern ENI ist der größter Gas- und Erdölförderer in Libyen mit einem Geschäftsumfang von 28 Milliarden Euro in den nächsten 25 Jahren.
Bei so gewaltigen Zahlen ist das Problem der "Boat People" inzwischen nur noch ein Nebenaspekt in den beiderseitigen Beziehungen. Während in der Vergangenheit die "Boat People" als Druckmittel für mehr Verhandlungsbereitschaft benützt wurden, ist die Flüchtlingsfrage inzwischen auch für Libyen eher lästig. Das Land und vor allem sein einst geächteter Führer Muammar al Gaddafi sind dank normalisierten Beziehungen zu Italien und Europa auf die internationale Bühne zurückgekehrt. Libyen würde das Migrationsproblem gerne lösen, aber nun ist es außer Kontrolle geraten, meint der Afrikaexperte Vincenzo Nigro:
"Libyen könnte sicherlich mehr tun gegen den Flüchtlingsstrom, aber es könnte ihn beim besten Willen niemals stoppen. Zum einen, weil kein Militär und keine Polizei der Welt in der Lage wäre, die 4000 Kilometer lange libysche Südgrenze zu kontrollieren. Zum Zweiten ist die internationale Schleppermafia so mächtig, dass sie es locker mit der Polizei in Libyen und in allen anderen nordafrikanischen Ländern aufnehmen kann."
"In meiner Familie wissen nicht alle, dass ich unterwegs bin. Meine Eltern sind sowieso gestorben, das ist auch der Grund, warum ich mich auf den Weg gemacht habe. Wenn ich es bis nach Libyen schaffe, will ich aber nicht dort bleiben. Ich habe Spanien im Kopf, da möchte ich hin."
Der italienische Enthüllungsjournalist Fabrizio Gatti hat trotz strengen Verbotes in Agadez im Niger gefilmt und von dort berichtet über eine neue Flüchtlingswelle, die in diesen Wochen Richtung Mittelmeerküste rollt
"Hier in Agadez starten die Menschen für die Wüstendurchquerung in endlosen Konvois von bis zu 50 Fahrzeugen, 30 Laster und 20 Geländewagen, die werden von der Armee begleitet. Die Soldaten des Niger schießen auf jeden, der außerhalb dieser Konvois und ohne Genehmigung durch die Sahara fährt."
Die Fahrt durch die Wüste ist die reine Hölle. Etwa ein Zehntel der Migranten stirbt unterwegs - ausgeraubt, verdurstet oder durch Krankheit. Vieles hängt von der körperlichen Widerstandskraft des einzelnen ab - und davon, ob er genügend Reisegeld für die Weiterfahrt dabei hat:
"Immer wieder mussten wir bezahlen. Um schließlich nach Bengasi im Norden Libyens zu kommen, hatte ich kein Geld und so wurde ich dauernd durchgeprügelt","
erzählt diese junge Frau, die es trotzdem bis zur nordafrikanischen Küste geschafft hat. Gegen den Schrecken der Wüste und die menschenverachtende Behandlung in Libyen scheint der letzte Sprung, die gefährliche Überfahrt nach Lampedusa, ein Kinderspiel, meint Tarek aus Äthiopien.
""Ich selbst war auf meiner Flucht in Libyen mit Tausenden anderer Leidensgenossen in verschiedenen Gefängnissen. Ich kenne Libyen sehr gut und weiß wohl, was da passiert, vor allem mit den Frauen. Ich habe Minderjährige kennengelernt, die vergewaltigt und dann schwanger wurden. Das passiert häufig. Wenn eine Frau auch noch hübsch ist, dann fällt sie unweigerlich in schlechte Hände."
"Allah ist groß" lautet der offizielle Titel der libyschen Nationalhymne. Und in einer der ersten Textzeilen heißt es: "Allah ist mächtiger als alle Winkelzüge unserer Gegner und der beste Helfer für alle Unterdrückten."
Das gilt offenbar nicht für die Hunderttausenden von Menschen, die durch Libyen müssen, um nach Europa zu gelangen. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen prangern unermüdlich die menschenunwürdige Behandlung der Immigranten in libyschen Gefängnissen und Lagern an. Bilder und Filme von den schrecklichen Zuständen gibt es nicht, Journalisten droht Kerkerhaft, wenn sie ohne Genehmigung nach Libyen reisen.
Doch die Aussagen vieler Migranten in Italien decken sich. Im besten Falle arbeiten die Flüchtlinge Monate oder sogar Jahre als Sklaven bis sie endlich genügend Geld für die Überfahrt nach Italien haben und die Qual in Libyen ein Ende hat. Diese Hoffnung soll der soeben ratifizierte Freundschaftsvertrag zwischen Italien und Libyen, das Ergebnis jahrelanger politischer Scharmützel zwischen Rom und Tripolis jetzt zunichte machen. "Es beginnt eine neue Ära für Italien und Libyen, wir werden uns gegenseitig helfen und immer enger zusammenarbeiten," erklärt Hafed Gaddur, Libyens Botschafter in Rom. Im Mai soll nun endlich die gemeinsame Überwachung der libyschen Küste beginnen, um das Auslaufen von Flüchtlingsbooten zu verhindern.
"Wir haben 4000 Kilometer Grenze in der Wüste, Um uns herum gibt es Länder mit vielen politischen Problemen - Darfur, Tschad, Niger überall gibt es Schwierigkeiten. Und deshalb fliehen die Menschen. Die Kontrollen an der Küste haben wir gemeinsam mit Italien entwickelt, aber ob wir damit die Flüchtlingsboote stoppen können, weiß ich auch nicht."
Dass durch die Kontrollen ein regelrechter Stau in Libyen entsteht und sich die Lebensbedingungen der Flüchtlinge weiter verschlechtern werden, stört die italienische Regierung wenig. Denn Libyen ist ein viel zu wichtiger Wirtschaftspartner, als dass man sich wegen der Einhaltung der Menschenrechte für ungeliebte Immigranten aus der dritten Welt streiten möchte. So wichtig ist diese Wirtschaftsbeziehung, dass Ministerpräsident Silvio Berlusconi sogar einen historischen Kniefall vor dem libyschen Staatspräsidenten Gaddafi tat:
"Ich beklage was Italien in der Vergangenheit Ihrem Volk angetan hat und bitte um Vergebung. Wir werden mit dem Führer Gaddafi zum Wohle unserer Völker zusammenarbeiten."
Für 30 Jahre blutiger Kolonisierung mit 100.000 getöteten Libyern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird Italien fünf Milliarden Dollar Entschädigung bezahlen. Sogar die Opposition begrüßte den Handel mit Tripolis. Ex-Ministerpräsident Massimo D'Alema:
"Mit diesem Vertrag normalisieren wir unsere Beziehungen mit einem Nachbarland, mit dem wir eine starke wirtschaftliche Bindung eingegangen sind. Die ist für uns inzwischen unverzichtbar. Libyen ist unser wichtigster Partner im Energiesektor und sichert unseren Energiebedarf."
Und auch die Wiedergutmachung wird zum Teil wieder zurück nach Italien fließen. Italienische Firmen haben sich jüngst gewaltige Aufträge des umfangreichen Aufbauprogramms Libyens gesichert. Der italienische Staatskonzern ENI ist der größter Gas- und Erdölförderer in Libyen mit einem Geschäftsumfang von 28 Milliarden Euro in den nächsten 25 Jahren.
Bei so gewaltigen Zahlen ist das Problem der "Boat People" inzwischen nur noch ein Nebenaspekt in den beiderseitigen Beziehungen. Während in der Vergangenheit die "Boat People" als Druckmittel für mehr Verhandlungsbereitschaft benützt wurden, ist die Flüchtlingsfrage inzwischen auch für Libyen eher lästig. Das Land und vor allem sein einst geächteter Führer Muammar al Gaddafi sind dank normalisierten Beziehungen zu Italien und Europa auf die internationale Bühne zurückgekehrt. Libyen würde das Migrationsproblem gerne lösen, aber nun ist es außer Kontrolle geraten, meint der Afrikaexperte Vincenzo Nigro:
"Libyen könnte sicherlich mehr tun gegen den Flüchtlingsstrom, aber es könnte ihn beim besten Willen niemals stoppen. Zum einen, weil kein Militär und keine Polizei der Welt in der Lage wäre, die 4000 Kilometer lange libysche Südgrenze zu kontrollieren. Zum Zweiten ist die internationale Schleppermafia so mächtig, dass sie es locker mit der Polizei in Libyen und in allen anderen nordafrikanischen Ländern aufnehmen kann."