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Ausgerechnet in Treblinka

Wenn Menschen sterben, wollen sie mit ihren Liebsten vereint sein. Was aber, wenn die Liebsten an einem Ort liegen, der mit dem Grauen verbunden ist? Eine jüdische Familie ist nach Polen gereist, um die Asche ihrer Mutter in einem Vernichtungslager zu verstreuen.

Von Linda Vierecke |
    Es ist ein ungewöhnlicher Trauerzug. Kein Rabbi oder Priester, kein Grabstein, keine Urne, kein Grab. Alexander Werber hält die Asche seiner Mutter in den Händen. Der letzte Wille von Lucy Werber war es, in Treblinka zu ruhen - im ehemaligen Vernichtungslager der Nazis. Ausgerechnet an dem Ort, wo ihre gesamte Familie ermordet wurde.

    "Anfangs habe ich nicht verstanden, wie sie solch einen Wunsch haben kann. Denn sie hat doch ihr Leben in Israel verbracht. Ihre Familie, Kinder, Enkelkinder sind da. Aber dann habe ich es akzeptiert. Für sie ist es, als würde der Kreis nun geschlossen. Ihr Vater, ihre Mutter und ihre Brüder sind alle hier begraben in Treblinka. Sie geht zurück zu ihrer geliebten Familie, die sie verloren hat, als sie noch ein kleines Kind war."

    Alexander Werber, seine Schwester Gallila und sein Sohn Adam sind nach Polen gereist um den Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen. Nun stehen sie auf dem Gelände der Gedenkstätte Treblinka. Hier, mitten im Wald, erinnern riesige Steinblöcke an das einstige Todeslager. Alexander reißt den Beutel mit der Asche auf und beginnt sie zu zerstreuen.

    Es gibt keine Zeremonie – die Werbers sind nicht religiös. Und sie wollen es schnell hinter sich bringen. Denn Asche zu verstreuen ist in ganz Polen - und auch nach jüdischem Beerdigungsrecht – illegal.

    Doch so hat es sich seine Mutter gewünscht. ihren Sohn hat es große Überwindung gekostet, diese Reise anzutreten.

    "Polens Erde ist getränkt mit jüdischem Blut – für mich ist das ein riesiger jüdischer Friedhof hier. Wir sagen, dass wir heute neue Juden sind – in einem neuen Land, die neue Dinge tun. Diese neuen Juden sind nicht mehr mit der Vergangenheit verbunden – mit der Zeit, als die Juden hier wie Hammel zur Schlachtbank geführt wurden."

    Anderthalb Stunden sind sie in Treblinka – dann fährt die Familie weiter nach Warschau. Hier ist ihre Mutter 1933 geboren. Ein falscher Pass rettete ihr das Leben. Ihre Familie – der Vater, die Mutter und der Bruder aber mussten ins Ghetto. Sie brachte ihnen so oft es ging die wenigen Lebensmittel, die sie bekommen konnte, an die Ghettomauern.

    "Sie erzählte mir, wie sie einmal nur ein halbes Brot nach Hause brachte. Ihre Mutter wusste sofort, dass sie das Brot gegessen hatte, aber sie hat nichts gesagt. Als sie mir das erzählte, weinte sie und sagte: 'Sie mussten wegen mir hungern.' Sie hatte immerzu ein schlechtes Gewissen."

    Am letzten Tag der Reise geht es nach Bielsko-Biala, 70 Kilometer südlich von Krakau. Hier hat die Mutter nach dem Krieg gelebt – hier ist Alexander geboren worden. Ein polnischer Historiker, der sich mit jüdischer Geschichten in Polen beschäftigt, zeigt ihnen die Stadt.

    "Nach Bielsko Biala kamen nach dem Krieg mehr Juden als hier zuvor gelebt haben. Denn das war eine tolerante Stadt – eine Stadt, wo sich die Juden sicher fühlen konnten."

    Am Rande der Stadt liegt der jüdische Friedhof. Die Gräber hier tragen deutsche Inschriften – Weiss, Herman, Goldstein oder Werber. Alexander Werber steht vor dem Grab seiner Urgroßeltern. Das erste Mal auf dieser Reise scheint ihm seine Familiengeschichte nah zu gehen.

    "Ich fühle nun doch ein wenig, dass ich hierher gehöre. Ich bin überrascht, dass der Friedhof so gut erhalten ist, dass es Menschen gibt, denen die Geschichte und das jüdische Erbe nicht egal sind. Dass es manche Polen interessiert."

    Bislang hat seine Herkunft Alexander wenig bedeutet. Nun will er in Israel Geld sammeln um Gräber auf dem jüdischen Friedhof zu restaurieren. Seinen Teil beitragen, um das jüdische Erbe in Polen zu erhalten.

    "Vielleicht war der letzte Wille meiner Mutter ihr Weg, uns zu zwingen an den Ort zurück zu kehren, wo sie und auch mein Vater herkommen, wo unsere Wurzeln liegen."