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Ausgesetzt in Afrika

Afrika ist ein Fixpunkt im Werk des 1944 geborenen Autors Hans Christoph Buch. Seine Romane greifen Themen seiner zahlreichen Reportagen für Zeitschriften und Magazine auf und versuchen, der Tragödie des Kontinents auf literarische Weise näher zu kommen.

Von Detlef Grumbach | 02.03.2011
    "Das Schicksal der Überlebenden der Schiffbrüchigen wurde zur Metapher für die Ungerechtigkeit der restaurativen Gesellschaft in Frankreich und ganz Europa."

    Das Floß der Medusa: Frankreich will den Senegal wieder in sein Kolonialreich einverleiben, die Medusa, das Flaggschiff des beauftragten Verbandes, läuft kurz vor seinem Ziel auf Grund. Die Rettungsboote reichen nicht aus, für 150 Mann wird ein Floß gebaut. Doch die Rettungsboote, die es an Land ziehen sollen, kappen die Seile. Nur 15 Überlebende erreichen das Ufer. Das war 1816 - Théodore Géricaults Gemäldes vom Untergang des Floßes wurde zum Menetekel der Moderne.

    "Die Parallele zu heute sind die Boatpeople aus Afrika, die in Sichtweite Europas umkommen - Festung Europa heißt das Stichwort - und die Regierungen tun alles in Europa, um diesen Flüchtlingsstrom von den Küsten fernzuhalten. Ja, dazwischen, zwischen diesen Eckdaten, Floß der Medusa, der Schiffbruch, war 1816, und heute, versuche ich nun ein Panorama zu entfalten: Afrika, sowohl das, was ich erlebt habe als Reporter und historischen Reminiszenzen."

    Im Zentrum seines Romans über die sozialen und politischen Katastrophen, über Krieg und Völkermord, über das Elend auf der Straße und den Luxus in den Nobelhotels, über die Hilflosigkeit der Helfer und die Absurdität der großen Diplomatie steht das Subjekt eines Beobachters, seine Erlebnisse aus den Jahren 1995 bis heute. Es bringt seine Mythen und Projektionen, seine eigene Geschichte mit an die Orte des Geschehens, ist involviert und betroffen. Zu dieser Geschichte gehören die historischen Reminiszenzen, die der Autor im Wechsel mit Gegenwärtigem in den Fortgang des Romans einflicht. So erzählt Buch auch von der "Hottentotten-Venus", einer Kaffern-Frau, die nach London und Paris verkauft und dort ausgestellt wurde: wegen ihrer monströsen Körperformen und der sexuellen Fantasien, die sich daran festmachten. Er erzählt von der Kongokonferenz 1884/1885 in Berlin, die nicht nur der Aufteilung des Kolonialreichs dienen sollte, sondern auch dem Schutz der afrikanischen Bevölkerung. Dieses zweite Ziel wurde jedoch, ebenso wie gegenwärtige Versuche, dem Kontinent zu helfen, gründlich verfehlt. Buch eröffnet den Roman mit einem Text über das Floß der Medusa. Er ist, genauso wie die Geschichte der Hottentotten-Venus in Ich-Form verfasst. In lakonischer Sprache, hingeworfenen Satzfetzen ohne Anfang und Ende, einzelnen Aussagesätzen wie "Sie lassen uns im Stich!", "Welch schreckliche Nacht!", "Was für ein Schauspiel bot sich unseren Augen!" protokolliert er eine längst vergangene Katastrophe, legt den in ihr wohnenden Zynismus offen und rückt sie zugleich unmittelbar an die Gegenwart heran. Sie wird zur Metapher, wie die Hottentotten-Venus, die erst 2002 in ihrer Heimat beigesetzt wurde. So wird der Leser mitten hinein geführt in die Tragödie Afrikas, die mit dem Kolonialismus ihren Anfang nahm und nach dessen Ende immer noch nicht aufhörte, die, so heißt es gegen Ende des Romans, "gegen meinen Willen Teil meiner Geschichte geworden ist". Auf das Entree folgt eine groteske Geschichte darüber, wie der teils absolut desinteressierte Tross Horst Köhlers dessen Staatsbesuch in verschiedenen afrikanischen Ländern im Jahr 2008 erlebt hat: Sie haben Fußball an der Hotelbar geguckt, einem Ballett sexuell missbrauchter Mädchen applaudiert, einer hat eine Prostituierte als Geburtstagsgeschenk aufs Zimmer geschickt bekommen. Der Autor gehörte zu dieser Reisegruppe, schafft aber literarisch die nötige Distanz, erzählt aus auktorialer Perspektive und persifliert die eigene Rolle.

    "'Apokalypse Afrika' ist der dritte Teil einer Afrika-Trilogie, aber alle Romane von mir, speziell diese, enthalten Reportageelemente. Und gleichzeitig kann ich über mein subjektives Befinden, über die Absurdität des Ausgesetztseins in einer fremden Kultur, wo man zwischen Elend und Luxus pendelt, dem Luxus der Hotels, der diplomatischen Empfänge, und dem Elend der Einheimischen, kann ich viel besser Auskunft geben in fiktiver Form. Ich greife auch noch mal auf, was ich schon in 'Kain und Abel in Afrika" geschildert hatte, das Massaker im Flüchtlingslager Kibeho, das ist sozusagen die Urzelle meines Schreibens über Afrika gewesen, denn wenn man Augenzeuge eines Massakers wird mit Tausenden, wie ich heute weiß, Tausenden von Toten, vergleichbar Srebrenica, das kann man nie mehr vergessen, das ist auch nicht in einem Buch oder einem Zeitungsartikel abhandelt oder abgehakt."

    Das Massaker in Kibeho hat Buch 1995 erlebt. Jetzt taucht es erneut auf - eingekapselt in der Erinnerung, bei einem Besuch im Museum des Genozids im Jahr 2005. "Monrovia, mon amour" heißt ein Kapitel im Zentrum des Buchs. Schon die Anreise, die Landung mit dem Hubschrauber auf dem Dach der amerikanischen Botschaft, gleicht einem Abenteuer. Mit einem "Good luck" aus den temperierten Luxus-Räumen hinauskomplimentiert, begegnet er dem nackten Grauen. Das Nebeneinander von Luxusabsteigen, Bürgerkrieg und ökologischer Katastrophe, von der Ausbeutung kostbarer Bodenschätze und Hinrichtungen auf der Straße, vom Duft des Hummers und dem Geruch von Sperma, bestimmen die gegenwärtigen Passagen des Buchs. Erklären kann und will der Autor das Geschehen jedoch nicht.

    "Ich versuche Texte zu schreiben, die politische, auch philosophische, religiöse Dimensionen verbinden mit Alltagsbeobachtungen, mit Details, mit auch Gefühlen und Reaktionen aufseiten des Beobachters, die alle eigentlich gar nicht zusammenpassen. Und gerade das nicht zusammenpassende ist der Antrieb beim Schreiben."

    Disparate Bilder aus Bürgerkriegen, Flüchtlingslagern, von Hungersnöten und gelungenen Hilfsprojekten bestimmen das Bild Zentralafrikas in den Medien. Das Geschehen ist weit weg. Es geht den Betrachter kaum etwas an. Diese Distanz zu durchbrechen, ist das große Verdienst des Autors. Die offene Form dieser Montage, die Präsenz des Autors und die Metaphorik der Geschichte schaffen eine Nähe, die Gratwanderung zwischen realistischen, reportagehaften Elementen und fiktionaler, literarischer Durchdringung lässt ein Ausweichen nicht zu. Der Bogen schließt sich, wenn Hans Christoph Buch im letzten Kapitel - "Aurelia" - von der Beerdigung einer afrikanischen Menschenrechtskämpferin in Berlin erzählt. In diesem Text treten die Geschichte Aurelias und die des Autors in einen Dialog, werden sie eins, eine, so wörtlich, "Geschichte blutiger Verstrickungen, bis heute fortdauernd und so ausweglos, dass sie sich kaum in Worte fassen lassen." Am Ende nimmt der Atheist Buch am Abendmahl teil, empfängt die Oblate in der Hoffnung auf die Vergebung der Sünden.

    "Die Ausweglosigkeit ist ja Thema in diesem Buch und auch die Ratlosigkeit, meine eigene, aber auch die der Experten. Es gibt keine einfachen Antworten, es ist aber schon viel erreicht, wenn mal das Ausmaß der Tragödie überhaupt wahrgenommen wird. Es ist noch nicht einmal eine Anklage gegen den Kolonialismus, auch diese Antwort wäre zu einfach, denn das Elend, das sich heute fortsetzt, ist schwer zu erklären aus Vorgängen von vor über hundert Jahren, obwohl es damit ganz sicher zu tun hat, sogar viel zu tun hat, aber nicht nur."

    Hans Christoph Buch: "Apokalypse Afrika"
    Die andere Bibliothek im Eichborn-Verlag 2011, 252 Seiten, EUR 29,00