Ein "Handbuch" verspricht der neue Gedichtband von Martina Hefter zu sein. Allerdings steht die Bezeichnung "Handbuch" nicht als Gattungsbezeichnung in der Unterzeile, sondern gehört zum Titel: "Vom Gehen und Stehen. Ein Handbuch" heißt der schmale Band. Damit ist schon recht genau bezeichnet, worum die Gedichte von Martina Hefter kreisen. Hefter, die nicht nur Lyrikerin ist, sondern auch Tänzerin und Performerin, versucht in ihrer Arbeit – der schreibenden und darstellenden – die Überschneidungen und Verbindungen dieser beiden Kunstformen auszuloten. Wie lässt sich sprachlicher Ausdruck in körperlichen Ausdruck überführen? Wie setzt sich die Bewegung der Körper in der Bewegung des Denkens und des Schreibens fort?
Bereits in ihrem ersten Lyrikband "Nach den Diskotheken" erprobte sie die Möglichkeiten, Tanz in Worte zu fassen. In ihrem neuen Buch nun geht Hefter noch ein wenig programmatischer, fast schon analytisch vor. Ohne allerdings, dass ihre Gedichte dadurch an Sinnlichkeit und Witz verlieren würden. Was auch daran liegen mag, dass nicht nur Tanz in den Blick genommen wird, mithin nicht nur das, was anmutig und choreographiert ist.
Der erste Teil des Bandes ist mit "Bewegungen" überschrieben. Jedes der Gedichte hat eine zumeist alltägliche und sehr unspektakuläre Bewegung zum Gegenstand. Das Kopfschütteln beim Gedanken an den Traum von vergangener Nacht. Das Humpeln, simuliert auf dem Fußballfeld. Das Kratzen am eigenen Kopf während eines Gesprächs. Das Staubwischen. Das Stehen im überfüllten U-Bahn-Waggon. Oder das Stolpern.
Und immer bedichtet Martina Hefter das Gehen. Etwa das Gehen neben jemandem, in den man heimlich verliebt ist.
gehen
"neben jemandem, in den man heimlich verliebt ist"
Wie das Angestupstwerden puscht. Ich pulse.
Bleib so, ich kaufe, surfe – Surplus – auf Trugblüten,
dufte, koste von diesem ausgesprochnen Gold.
Der Trick mit dem Schwanenhals.
Schaffe das noch mal so rasch,
ich fahre per Tacker die Umrisse nach.
Immer das ganze Meer trinken, immer mich werfen
in uraltes Repertoire: gehen wie unter Wolken,
das muss ich endlich verlernen.
Einfach spazieren. Gern patzen. Mitten spinnen im Reden
über Wertpapiere und Flieder. Ich zeige dir im Gehen
das Glimmen.
Bis auf wenige Ausnahmen finden sich immer zwei Gedichte, die zwei unterschiedliche Bewegungen vermessen, auf einer Buchseite. Was man zunächst nur unbewusst wahrnimmt, dann aber als eine genauso erhellende wie belustigende Erkenntnis wahrnimmt: Martina Hefter hat den Gedichten, die auf einer Seite stehen, jeweils dasselbe Sprachmaterial zugrunde gelegt. Die Wörter etwa, mit denen Hefter das Stampfen in den Fässern während der Weintrauben-Ernte beschreibt, sind auch diejenigen, aus denen sich – verschoben, durchmischt, bewegt – das Gedicht über das Posieren auf einem Stehempfang zusammenfügt. Und die Wörter, mit denen das nachdenkliche Aufstützen des Kopfes in der Hand beschrieben wird, erzählen, in anderer Anordnung, das Springen über eine Pfütze.
Funktioniert es mit dem Körper genauso wie mit der Sprache? Sind die scheinbar noch so verschiedenen Bewegungen – die eine elegant, die andere täppisch – eigentlich dasselbe, nur hat sich hier das Material ein wenig anders zusammengesetzt als dort?
Aus dem Gehen neben jemandem, in den heimlich man verliebt ist, kann bei Hefter durch ein neues Arrangement unversehens das Gehen zweier Betrunkener werden. Wobei in diesem Fall die Ähnlichkeit der beiden Ereignisse gar nicht so überraschend ist.
gehen
betrunken, zu zweit, nachts eine Straße entlang
Ich zeige dir gehen als Trick. Schaffen wir das ohne Patzer?
Gern in den Flieder, mit Trinken.
Ich bin nicht aus Papier.
Wertsachen wären jetzt dufte. Bleib in den Puschen,
dein Puls wirft dich um, hier sind festgetackerte Blüten,
die kannst du verkaufen.
Reden wir einfach nie wieder.
Immer surfen wir gleich
mitten unter die Schwäne, was kostet uns das?
Was wir spinnen, ist etwas zu golden.
Ich verlernte, durch Repertoires zu spazieren,
jetzt stupsen wir an die Umrisse der Wolken.
Auf spielerische Weise vermisst Martina Hefter in ihren Gedichten den Alltag genauso wie die Sprache. Jedes Gedicht ist dabei wie ein kleines Experiment: Was geschieht, wenn etwas angestoßen, verrückt, in Schwingungen versetzt wird? Den Abschluss vom Handbuch vom Gehen und Stehen bilden Gedichte, in denen Hefter ihre eigene feste, vermeintlich sichere Perspektive aufgibt.
Man könnte es ein produktives Irren nennen, das Hefter hier betreibt. Wie verändert sich Bedeutung, wenn man sich absichtlich verhört, was für ein neuer Sinn erschließt sich – erschließt sich überhaupt einer? –, wenn die Laute ein Stückchen in die eine oder die andere Richtung verschoben werden? Eine Variation des Kinderspiels "Stille Post", wie diese Gedichte auch überschrieben sind.
o Brillanz,
deine etlichen Fangarme
nesseln wie Hölle
/
o Brisanz
diene entsetzlichen Farngarne
nässen die Hölle
/
o Prinz Hans,
deine lässige Umarmung
presst die Öle
/
Oberin, hams
eine Lessikium-Marmor-
presse? Nöle!
Nicht jedes Gedicht in diesem Band überzeugt vollends, mitunter scheint das ästhetische Programm die suggestive Kraft der einzelnen Texte ein wenig zu dämpfen. Es braucht deshalb den Zusammenhang, das Agieren der Texte untereinander. Wenn man aber diese Wechselwirkung sich entfalten lässt, wird die Lektüre von Hefters Gedichten eine beglückende, weil das eigene Sprachempfinden, die eigene Wahrnehmung plötzlich auch elastisch werden, geschmeidig und durchlässig.
Und großartig ist zweifelsohne nicht zuletzt, wenn das dichtende Erkunden der Sprache auch mal so lustig sein kann, wie das trunkene Stolpern durch eine Sommernacht.
Martina Hefter: "Vom Gehen und Stehen. Ein Handbuch." Gedichte. kookbooks, Berlin 2013. 80 Seiten, broschiert, 19,90 Euro
Bereits in ihrem ersten Lyrikband "Nach den Diskotheken" erprobte sie die Möglichkeiten, Tanz in Worte zu fassen. In ihrem neuen Buch nun geht Hefter noch ein wenig programmatischer, fast schon analytisch vor. Ohne allerdings, dass ihre Gedichte dadurch an Sinnlichkeit und Witz verlieren würden. Was auch daran liegen mag, dass nicht nur Tanz in den Blick genommen wird, mithin nicht nur das, was anmutig und choreographiert ist.
Der erste Teil des Bandes ist mit "Bewegungen" überschrieben. Jedes der Gedichte hat eine zumeist alltägliche und sehr unspektakuläre Bewegung zum Gegenstand. Das Kopfschütteln beim Gedanken an den Traum von vergangener Nacht. Das Humpeln, simuliert auf dem Fußballfeld. Das Kratzen am eigenen Kopf während eines Gesprächs. Das Staubwischen. Das Stehen im überfüllten U-Bahn-Waggon. Oder das Stolpern.
Und immer bedichtet Martina Hefter das Gehen. Etwa das Gehen neben jemandem, in den man heimlich verliebt ist.
gehen
"neben jemandem, in den man heimlich verliebt ist"
Wie das Angestupstwerden puscht. Ich pulse.
Bleib so, ich kaufe, surfe – Surplus – auf Trugblüten,
dufte, koste von diesem ausgesprochnen Gold.
Der Trick mit dem Schwanenhals.
Schaffe das noch mal so rasch,
ich fahre per Tacker die Umrisse nach.
Immer das ganze Meer trinken, immer mich werfen
in uraltes Repertoire: gehen wie unter Wolken,
das muss ich endlich verlernen.
Einfach spazieren. Gern patzen. Mitten spinnen im Reden
über Wertpapiere und Flieder. Ich zeige dir im Gehen
das Glimmen.
Bis auf wenige Ausnahmen finden sich immer zwei Gedichte, die zwei unterschiedliche Bewegungen vermessen, auf einer Buchseite. Was man zunächst nur unbewusst wahrnimmt, dann aber als eine genauso erhellende wie belustigende Erkenntnis wahrnimmt: Martina Hefter hat den Gedichten, die auf einer Seite stehen, jeweils dasselbe Sprachmaterial zugrunde gelegt. Die Wörter etwa, mit denen Hefter das Stampfen in den Fässern während der Weintrauben-Ernte beschreibt, sind auch diejenigen, aus denen sich – verschoben, durchmischt, bewegt – das Gedicht über das Posieren auf einem Stehempfang zusammenfügt. Und die Wörter, mit denen das nachdenkliche Aufstützen des Kopfes in der Hand beschrieben wird, erzählen, in anderer Anordnung, das Springen über eine Pfütze.
Funktioniert es mit dem Körper genauso wie mit der Sprache? Sind die scheinbar noch so verschiedenen Bewegungen – die eine elegant, die andere täppisch – eigentlich dasselbe, nur hat sich hier das Material ein wenig anders zusammengesetzt als dort?
Aus dem Gehen neben jemandem, in den heimlich man verliebt ist, kann bei Hefter durch ein neues Arrangement unversehens das Gehen zweier Betrunkener werden. Wobei in diesem Fall die Ähnlichkeit der beiden Ereignisse gar nicht so überraschend ist.
gehen
betrunken, zu zweit, nachts eine Straße entlang
Ich zeige dir gehen als Trick. Schaffen wir das ohne Patzer?
Gern in den Flieder, mit Trinken.
Ich bin nicht aus Papier.
Wertsachen wären jetzt dufte. Bleib in den Puschen,
dein Puls wirft dich um, hier sind festgetackerte Blüten,
die kannst du verkaufen.
Reden wir einfach nie wieder.
Immer surfen wir gleich
mitten unter die Schwäne, was kostet uns das?
Was wir spinnen, ist etwas zu golden.
Ich verlernte, durch Repertoires zu spazieren,
jetzt stupsen wir an die Umrisse der Wolken.
Auf spielerische Weise vermisst Martina Hefter in ihren Gedichten den Alltag genauso wie die Sprache. Jedes Gedicht ist dabei wie ein kleines Experiment: Was geschieht, wenn etwas angestoßen, verrückt, in Schwingungen versetzt wird? Den Abschluss vom Handbuch vom Gehen und Stehen bilden Gedichte, in denen Hefter ihre eigene feste, vermeintlich sichere Perspektive aufgibt.
Man könnte es ein produktives Irren nennen, das Hefter hier betreibt. Wie verändert sich Bedeutung, wenn man sich absichtlich verhört, was für ein neuer Sinn erschließt sich – erschließt sich überhaupt einer? –, wenn die Laute ein Stückchen in die eine oder die andere Richtung verschoben werden? Eine Variation des Kinderspiels "Stille Post", wie diese Gedichte auch überschrieben sind.
o Brillanz,
deine etlichen Fangarme
nesseln wie Hölle
/
o Brisanz
diene entsetzlichen Farngarne
nässen die Hölle
/
o Prinz Hans,
deine lässige Umarmung
presst die Öle
/
Oberin, hams
eine Lessikium-Marmor-
presse? Nöle!
Nicht jedes Gedicht in diesem Band überzeugt vollends, mitunter scheint das ästhetische Programm die suggestive Kraft der einzelnen Texte ein wenig zu dämpfen. Es braucht deshalb den Zusammenhang, das Agieren der Texte untereinander. Wenn man aber diese Wechselwirkung sich entfalten lässt, wird die Lektüre von Hefters Gedichten eine beglückende, weil das eigene Sprachempfinden, die eigene Wahrnehmung plötzlich auch elastisch werden, geschmeidig und durchlässig.
Und großartig ist zweifelsohne nicht zuletzt, wenn das dichtende Erkunden der Sprache auch mal so lustig sein kann, wie das trunkene Stolpern durch eine Sommernacht.
Martina Hefter: "Vom Gehen und Stehen. Ein Handbuch." Gedichte. kookbooks, Berlin 2013. 80 Seiten, broschiert, 19,90 Euro