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Ausgezeichnete Ausbildungswerkstatt

Das Institut für Stahlbau an der TU Braunschweig wendet sich mit einer Ausbildung zum Feinwerkmechaniker speziell an gehörlose Menschen. Das einzigartige Projekt wurde jetzt vom Schuhunternehmen Deichmann mit Platz 5 seines Förderpreises gegen Jugendarbeitslosigkeit gewürdigt. Der Preis wird für bundesweite Initiativen verliehen, die schwer vermittelbare Jugendliche in Arbeit bringen sollen.

Von Janek Wiechers | 25.10.2006
    Die Drehbänke, Fräsen und Bohrmaschinen in der Metallwerksatt des Instituts für Stahlbau laufen auf Hochtouren. An einem der Geräte steht Benjamin Linz in Blaumann und Schutzbrille und arbeitet an einem Werkstück. Was auf den ersten Blick nicht auffällt: er ist gehörlos. Sein Ausbilder, Stefan Amelung, kann hören. Mit seinem Lehrling kommuniziert er per Gebärdensprache:

    " Es geht halt alles langsamer, damit es auch keine Missverständnisse gibt. Es gibt meistens für eine Gebärde viele Ausdrücke, oder ähnliche - und da muss ich höllisch aufpassen, dass wir uns nicht missverstehen. "

    Vier gehörlose Auszubildende und zwei nicht-hörende Meister arbeiten zusammen mit ganz normal hörenden Kollegen in der Metallwerkstatt. Welche Erfahrungen hat der zukünftige Feinwerkmechaniker Benjamin Linz mit dieser besonderen Situation gemacht? Sein Ausbilder übersetzt:

    " Wie ist Deine Erfahrung in der Zusammenarbeit? - Er hat gute Erfahrungen gemacht. Es macht ihm am meisten Spaß zu fräsen und so was. - Woran arbeiten Sie? - Er macht gegen Ende des Jahres Abschlussprüfung und er macht ein feinmechanisches Bauteil. "

    Für die hörenden Lehrlinge sei das Handicap ihrer Kollegen kein Problem, bestätigt der Auszubildende Frank Kuchnia. Im Arbeitsalltag falle der Unterschied kaum ins Gewicht:

    " Ich finde das nimmt sich nicht viel ob man Hör-, Seh- oder andere Schwächen hat. Man kann sich so oder so immer helfen. Ob man jetzt redet oder nicht. Man kann auch mit Händen und Füßen sich weiterarbeiten. Man kann Handzeichen geben, man kann mit Zettel und Stift aufschreiben - es ist wie ein normales Arbeitsklima. "

    Was auffällt ist, wie ausnehmend aufmerksam die Kollegen miteinander umgehen: Während des Gesprächs lassen sie sich nicht eine Sekunde aus den Augen, verfolgen konzentriert und bedachtsam jede gegenseitige Bewegung, jedes auch noch so feine Spiel der Minen. Werkstattleiter Amelung weiß, nur so kann Verständigung funktionieren:

    " Mit der Mimik sagt er mir wie was gemeint ist. Ob das jetzt böse gemeint ist, ob das fragend, bejahend, verneinend, oder so. ich muss ihn auch anschauen, wir müssen absolut Augenkontakt haben. Wenn ich mit ihm spreche, muss ich ihn auch direkt angucken. "

    Die spezielle Art der Kommunikation dauere zwar manchmal etwas länger als mit hörenden Kollegen, sagt Werkstattleiter Amelung. Dass hörgeschädigte Menschen aber so denkbar schlecht auf dem Arbeitsmarkt dastehen, häufig allenfalls als Hilfskräfte eingesetzt werden, ärgert ihn maßlos. Er setzt sich deshalb seit Jahren vehement dafür ein, gehörlosen Jugendlichen eine berufliche Perspektive zu schaffen:

    " Es ist noch schwieriger für diese Menschen einen Ausbildungsplatz zu bekommen, aber es ist noch viel schwieriger eine Festeinstellung zu bekommen. Die Leute, die haben eine Behinderung, die sind nicht dumm! Und wenn man die richtig ausbildet und in den richtigen Berufen schult, dann sind die unwahrscheinlich leistungsfähig. "

    Amelung schätzt die sorgfältige Arbeit und die hohe Motivation seiner behinderten Mitarbeiter. Aus seiner Erfahrung haben speziell diese Menschen große Stärken, über die sich viele potentielle Arbeitgeber viel zu häufig gar nicht bewusst seien:

    " Dass sie nach Zeichnungen eigenständig arbeiten können, wo sie nach kurzer Einweisung für sich alleine tätig werden können. Also, die sind weniger abgelenkt, sind dann konzentriert bei der Sache - und da sind die auch sehr, sehr gut drin. "

    Der Schuhunternehmer Heinrich Deichmann würdigte mit der Verleihung seines Förderpreises in Hamburg deshalb nicht zuletzt das große Engagement der Technischen Universität Braunschweig. Die dortige Integration gehörloser Menschen in den Arbeitsmarkt sei vorbildlich und nachahmenswert:

    " Es hat sich gezeigt, dass es Chancen gibt, auch für schwerbenachteiligte Jugendliche, auch für schwer körperlich oder auch geistig Behinderte. In jedem schlummern Talente, die entdeckt werden können - wenn man sie wirklich nur aufdeckt. Und das ist glaube ich die Botschaft: Es gibt eine Perspektive auch für Jugendliche mit großen Startschwierigkeiten. "