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Ausgezeichnete Barock-Musik

Die weltgrößte Musikmesse in Cannes vergibt seit 1994 Preise für die besten Klassikproduktionen des Vorjahres , die von einer internationalen Jury ermittelt werden. Vergeben wurde der MIDEM Classical Award, in diesem Jahr für insgesamt 15 Sparten und 5 Spezialkategorien. Allein 5 der 15 Hauptauszeichnungen gingen diesmal erfreulicherweise an Aufnahmen aus dem Bereich der Alten Musik. In der Sparte Barock wurden René Jacobs, der Rias Kammerchor und Concerto Köln für die Einspielung von Georg Friedrich Händels Oratorium "Saul" ausgezeichnet.

Von Christiane Lehnigk |
    Und als "Oper des Jahres 2005" ging der Preis an die Einspielung des Opernpasticcios "Bajazet" von Antonio Vivaldi mit dem Ensemble Europa Galante unter der Leitung von Fabio Biondi.

    Doch zunächst zu Händels üppig ausgestattetem drei-aktigem Oratorium "Saul", das im Winter 2004 für Harmonia Mundi produziert wurde, das auf der MIDEM gekürte Label des Jahres. "Saul" ist Händels viertes englisch-sprachiges Oratorium und wurde 1739 im King’s Theatre in London uraufgeführt. Es ist ein dramatisches und opernhaft konzipiertes Werk, das jedoch ohne Intrigengewirr und Liebesverwicklungen auskommt. Einen Schwerpunkt hat Händel in diesem Werk, dessen Titelpartie erstmals mit einem Bass besetzt ist, auf die Charakterbeschreibung der Protagonisten gelegt. Das zentrale Thema ist die vernichtende Kraft der Eifersucht, die schließlich zum Ende einer Dynastie und der Niederwerfung einer ganzen Nation führt. König Saul kann es nicht ertragen, dass David, dem jugendlichen Bezwinger Goliaths die ganze Zuneigung des Volkes zuteil wird und dass auch seinem Sohn Jonathan die Freundesliebe über die Vaterliebe geht. Er trachtet dem Konkurrenten mehrmals nach dem Leben, geht aber schließlich selbst daran zugrunde. Angelegt ist Saul als dominanter, grüblerischer Charakter, aber die eigentliche Hauptrolle kommt dem Chor, dem Volk Gottes zu.

    Die Orchesterpartitur ist überaus vielgestaltig und in keinem anderen Werk hat Händel so viele verschiedene, auch exotische Instrumente eingesetzt. René Jacobs gelingt es, die dramatische Dichte des Geschehens sehr packend darzustellen, wobei er auf das "Da capo" in den Arien verzichtet, um den Handlungsfluss nicht zu unterbrechen. Dies ist ein, nach puristisch historisch-aufführungspraktischen Gesichtspunkten, zweifelhaftes Unternehmen, macht er doch damit das, was in der Romantik auch praktiziert wurde, um die Werke auf eine vermeintlich erträgliche Länge zu reduzieren.

    Dennoch gelingt ihm dadurch ein stringenter Handlungsbogen, wenn er auch so nicht authentisch ist. Der RIAS-Kammerchor besticht in dieser Aufnahme einmal mehr durch seine vorbildliche Artikulation und Intonation und auch die Chorsolisten sind sehr souverän.

    Das Solisten-Ensemble, das schon viele Jahre mit Jacobs zusammenarbeitet, ist ausgezeichnet, wenn auch nicht überragend. Aber es gelingt den Sängern, einen Ensembleklang zu schaffen, obwohl die Ensembles in diesem Händeloratorium rar gesät sind. In der Titelpartie ist der wandlungsfähige und kraftvolle Bass-Bariton Gidon Saks zu hören. Sein Gegenspieler David wird von Lawrence Zazzo gesungen, dem die dramatischen Partien zwar sehr überzeugend gelingen, der aber in den lyrischen Arien nicht ganz an den innigen Ausdruck von Andreas Scholl in McCreeshs Aufnahme heranreicht. Die Frauenpartien Mical und Merab sind mit Rosemary Joshua und Emma Bell konstrastreich besetzt und auch der Tenor Jeremy Ovenden als Jonathan überzeugt durch seine bestechende Präzenz.

    Concerto Köln spielt unter seinem Konzertmeister Werner Ehrhardt wie immer überaus engagiert und stilsicher und vermag jeden Impuls des Dirigenten umzusetzen.

    Hier Quartett und Chor aus der ersten Szene des 1.Aktes, der Triumphgesang für den Sieg über Goliath und die Philister.

    * Musikbeispiel: G.F.Händel: Saul, 1.Akt, 1.Szene "The youth inspired by Thee, O Lord"

    Hören Sie aus dieser Aufnahme von Händels Oratorium "Saul" mit dem RIAS-Kammerchor und Concerto Köln unter der Leitung von René Jacobs nun noch das Duett Michal – David sowie den anschließenden Chor "Is there a man" aus dem 2.Akt, in der der junge Held gefeiert wird, was schließlich bei dem alternden Herrscher Saul zum Auslöser seiner rasenden Eifersucht werden soll.

    * Musikbeispiel: G.F.Händel: Saul, 2.Akt, 4.Szene "O fairest of ten thousand fair"

    Der diesjährige MIDEM Classical Award ging in der Kategorie Oper ebenso an eine Produktion aus dem Bereich der Alten Musik. Hier erhielt den Preis die fulminante Einspielung der Oper "Bajazet" von Antonio Vivaldi mit Europa Galante unter der Leitung von Fabio Biondi, erschienen bei Virgin Classics. Vivaldi stellte dieses Pasticcio zum Karneval 1735 zusammen und präsentierte damit zugleich ein Stück Operngeschichte. Im Mittelpunkt steht der osmanische Sultan Bajazet, der von dem Tyrannen und Tartarenfürsten Tamerlan 1402 in Ankara in einer grausamen Schlacht besiegt und daraufhin gefangen gehalten wird. Um dieses Ereignis herum entwickelt sich eine verzweigte Liebes- und Eifersuchtsgeschichte, die den sechs Sängern Gelegenheit gibt, sich in überaus virtuosen Arien zu entfalten, die alle Affekte von rasender Wut bis zu verzweifelter Trauer abdecken.

    Vivaldi hat hier in einer Art Parabel eigene Arien mit Stücken aus Opern anderer Komponisten wie Hasse oder Giacomelli kombiniert. Er nimmt damit Bezug zur damals aktuellen Opernsituation in Italien, in der sich die neapolitanische Oper auf dem Vormarsch befand und er in Venedig sozusagen abgemeldet war. So wies hier Vivaldi seinem Alter Ego, dem weisen Bajazet, sowie Asteria und Idaspe eigene Arien zu und bestückte die Nummern für den herrschsüchtigen Tamerlano sowie Andronico und Irene mit Musik seiner neapolitanischen Kollegen. Fabio Biondi setzte dieses Werk so eindrucksvoll und mitreißend um, dass hier absolut keine Wünsche offen bleiben.

    Ihm gelang es, ein Sängerensemble zusammenzustellen, das die besten Interpreten dieses Genres aufzubieten hat. David Daniels als Tamerlano, Ildebrando D’Arcangelo als Bajazette, Mirjana Mijanovic als Asteria, Elina Garanca als Andronico, Vivica Genaux als Irene sowie Patrizia Ciofi als Idaspe.

    Hier die einzige größere Ensemblenummer der Oper, das Quartett aus dem 2.Akt.

    * Musikbeispiel: Antonio Vivaldi, aus: Bajazet, 2.Akt, 9.Szene Quartett "Sì crudel"

    Diese Einspielung aus dem Vorjahr von Vivaldis "Bajazet” mit Europa Galante unter der Leitung von Fabio Biondi gehört zu den beeindruckendsten Produktionen im Bereich der Barockoper der letzten Zeit. Eine hinzugefügte DVD gibt zudem einen interessanten Einblick in die Probenarbeit der Musiker und zeigt auch das Können der Sänger, wenn sie "live" und unkorrigiert singen. Hören Sie hier zum Abschluss noch die Arie der Asteria aus dem 3.Akt , gesungen von Mirjana Mijanovic.

    * Musikbeispiel: Antonio Vivaldi, aus: Bajazet, 3.Akt, 10.Szene "Svena, uccidi”

    Georg Friedrich Händel: Saul. Oratorium
    Rosemary Joshua,Sopran
    Emma Bell, Sopran
    Lawrence Zazzo, Countertenor
    Jeremy Ovenden, Tenor
    Michael Slattery, Tenor
    Gidon Saks, Bass-Bariton
    Rias-Kammerchor
    Concerto Köln
    Leitung: René Jacobs
    Label: Harmonia Mundi
    LC 00761
    Bestell-Nr.: HMC 801877.78


    Antonio Vivaldi: Bajazet. Opernpasticcio
    Ildebrando D’Arcangelo, Bariton
    Elina Garanca, Mezzosopran
    Marijana Mejanovic, Mezzosopran
    David Daniels, Countertenor
    Vivica Genaux, Mezzosopran
    Patricia Ciofi, Sopran
    Europa Galante
    Leitung: Fabio Biondi
    Label: Virgin Classics
    LC 07873
    Bestell-Nr.: 7243 5 45676 2 9