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Ausländische Medien
Das positive Deutschlandbild leidet

Die Deutschland-Korrespondenten ausländischer Medien reiben sich die Augen: Der Unionsstreit zeuge von Sachferne und sei so unangemessen, dass sie ihr Berichtsgebiet kaum wiedererkennen, sagen eine Journalistin aus Österreich und ihre Kollegen aus Polen und Frankreich.

Von Peter Sawicki | 05.07.2018
    03.07.2018, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, nehmen an der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag teil. Im Mittelpunkt der 44. Sitzung der 19. Wahlperiode stehen die Schlussberatungen über den Bundeshaushalt für das laufende Jahr.
    Dauerzank in der Union: Das frühere Bild von der tadellos funktionierenden Berliner Politik-Maschine ist ins Wanken geraten (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Europa blickt in diesen Tagen gebannt auf die deutsche Innenpolitik. Und ist nicht selten ratlos: "Ein ziemliches Durcheinander, ein ziemliches Tohuwabohu… was passiert da gerade in Deutschland?" Birgit Schwarz muss diese Frage immer häufiger beantworten. Die Journalistin arbeitet für den ORF, den öffentlich-rechtlichen Sender in Österreich.
    "Also neben der beruflichen Erschöpfung, die natürlich alle Journalisten auch haben in den letzten Tagen, bin ich fassungslos darüber, dass ein großes, wichtiges Land wie Deutschland es sich gestattet, wegen eines – wie ich meine – vergleichsweise kleinen Problems ein solches Bild und Gefühl von Instabilität zu vermitteln."
    Streit, Chaos, Instabilität – Begriffe, die lange niemand mit der Bundesrepublik assoziiert hat. In den Tagen, in denen die Schwesterparteien bis an den Rand des Zusammenbruchs miteinander zanken, ist das frühere Bild von der tadellos funktionierenden Berliner Politik-Maschine ins Wanken geraten. Eine Entwicklung, die auch die erfahrene Politikbeobachterin Schwarz trotz gewisser Anzeichen so nicht vorhergesehen hat:
    "Also hätten Sie mich vor ein bis zwei Jahren gefragt, hätte ich das für absolut unmöglich gehalten. Aber wie gesagt: In den letzten zweieinhalb Jahren, seit der großen Flüchtlingszuwanderung, erlebe ich, dass die CSU sich in immer kürzeren Abständen an dem immer gleichen Thema abarbeitet und es immer weiter eskaliert."
    Wielinski: Überrascht über die neuen Berliner Zustände
    Überrascht über die Zustände in der Berliner Bundeskoalition ist auch ein langjähriger Beobachter aus Polen. Bartosz Wielinski schreibt für die liberale Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" und kennt die Bundesrepublik bestens. Das überwiegend positive Deutschlandbild östlich der Oder leide zurzeit. Denn, so Wielinski, für viele Polen "war immer Deutschland das Vorbild für die Entwicklung in der Wirtschaft, in der Gesellschaft teilweise, wie die Politik aussehen sollte. Also Ordnung, Vernunft, Konstruktivität. Und plötzlich kommt Herr Seehofer mit seiner Forderung und verhält sich, als ob er diese Regierung einfach kippen wollte."
    Was Wielinski darüber denkt?
    "Also, ich bin erstaunt, zunächst mal. Und dann bin ich erschrocken."
    Wielinskis Analyse führt ebenso wie bei Birgit Schwarz unweigerlich zum Thema Asylpolitik und dem Spätsommer 2015. Den häufigen Vorwurf, Merkels Flüchtlingspolitik sei falsch und ignoriere deutsche Interessen, will der Warschauer Reporter nicht gelten lassen. Dafür spannt er einen weiten historischen Bogen bis hin zu Willy Brandts Ostpolitik:
    "Damals war die Entscheidung von Brandt, sich mit den östlichen Nachbarn zu versöhnen, so spektakulär auch der Kniefall war, sehr schwer. Sie hat eine Menge von Streitereien verursacht. Und damals hatte ich den Eindruck, dass die Angela Merkel ebenso agiert."
    Sprich: Merkel setze auch unpopuläre Maßnahmen durch, weil sie der Überzeugung sei, dass das Land langfristig profitiere. Flüchtlinge und Zuwanderer seien eben auch Arbeitskräfte. In erster Linie aber, betont Wielinski, gehe es der Kanzlerin um europäische Werte.
    Schwarz: Merkel erklärt ihre Politik nicht gut genug
    Das glaubt auch ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz. Trotzdem kommt sie zu einem insgesamt kritischeren Fazit:
    "Die deutsche Erzählung müsste eigentlich tatsächlich sein: Wir haben unglaublich viel geschafft und haben das besser geschafft als jedes andere Land in Europa. Und gerade die Bayern müssten eigentlich stolz auf sich sein, was sie damals an ihren Grenzen hinbekommen haben. Auf der ganzen Welt ist Deutschland dafür anerkannt worden. Nur im eigenen Land hat sich eine andere Erzählung durchgesetzt. Und das ist der Fehler von Angela Merkel. Dass sie und ihre Partei es nicht geschafft haben, die eigene Erzählung in Deutschland mehr in den Vordergrund zu stellen."

    Eine Kanzlerin, die ihre Politik nicht gut genug erklärt und sich so schwächt. Was die Schwesterpartei ausnutzt und versucht, dauerhaft die Autorität der Regierungschefin zu untergraben. So die Lesart der Österreicherin.
    In eine ähnliche Richtung geht auch die Einschätzung von Pascal Thibaut. Er berichtet seit vielen Jahren für den französischen Sender Radio France Internationale. Auch er reibt sich in diesen Tagen mitunter die Augen:
    "Die Krise der letzten Tage und Wochen war relativ seltsam. Weil man an sich als ausländischer Beobachter den Eindruck hat, dass die deutsche Innenpolitik relativ langweilig ist."
    Thibaut: Eine Detailfrage hält die Berliner Politik auf Trab
    Davon könne momentan keine Rede sein. Allerdings kaum im positiven Sinn, wie Thibaut ergänzt. Es sei schwer verständlich, dass eine Detailfrage – also die sogenannte "Sekundärmigration", die Berliner Politik derart auf Trab halte.
    "Mit Sicherheit ist die Situation der Kanzlerin weniger stabil, als sie es mal war. Man merkt, welche Zuspitzung die Streitigkeiten zwischen CDU und CSU erreicht haben. Das ist ein Maß, das man vorher nicht kannte."
    Eine Ursache für die Eskalation findet sich aus Thibauts Sicht auf der EU-Ebene. Merkel falle es zunehmend schwerer, in Brüssel Kompromisse zu finden. Was vor allem in der Asylpolitik viel Dampf aus dem nationalen Kessel hätte nehmen können:
    "Deutschland ist isolierter, als es noch vor ein paar Jahren war. Wo vielleicht es manche nicht wagten zu rebellieren, wenn man eher die Rolle Deutschlands als eine Dominanz versteht."
    Dieses negative Bild habe sich vor allem in der Eurokrise verfestigt. Und sei Merkel später beim Asylthema auf die Füße gefallen. Ob Thibaut dem jetzt demonstrierten Frieden zwischen CDU und CSU Glauben schenkt? Der Korrespondent ist skeptisch:
    "Ich glaube schon, dass dieser neue Kompromiss nicht dazu führen wird, dass morgen alles reibungslos verläuft in der Koalition. Bis zum 14. Oktober, bis zu den bayerischen Landtagswahlen sowieso."

    Ähnlich fällt die Einschätzung in Warschau aus. Bartosz Wielinski glaubt nicht, dass die Unionsparteien gegenwärtig vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Der Schaden, ist sich auch die Österreicherin Birgit Schwarz sicher, gehe dabei über den aktuellen Streitfall und die Protagonisten hinaus:

    "Diese Parteien wirken auf einmal nicht mehr verlässlich, sondern sie wirken erratisch, opportunistisch, nicht mehr auf die Sache bezogen. Sondern auf einen persönlichen Konflikt konzentriert. Und das schadet insgesamt dem Ansehen der Politik in Deutschland. Davon bin ich fest überzeugt."