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Auslandseinsätze
Ost-Pfarrer gegen Gauck

Erfordert der Einsatz für Menschenrechte auch den Griff zu den Waffen? Ja, sagt Bundespräsident Joachim Gauck und erntet dafür heftige Kritik. Jetzt mischen sich rund 65 ostdeutsche Pfarrer in die Debatte ein: Sie werfen Gauck eine Abkehr von christlichen Friedensidealen vor.

Von Sandra Stalinski | 04.07.2014
    Bundespräsident Gauck im Gespräch mit Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im Jahr 2012
    Bundespräsident Gauck im Gespräch mit Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im Jahr 2012 (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Die Verfasser des Briefes, Siegfried Menthel und Klaus Galley aus Berlin, sind wie Joachim Gauck Pfarrer in der DDR gewesen. In ihrem Schreiben werfen sie dem Bundespräsidenten vor, einer Verstärkung von Militäreinsätzen das Wort zu reden. Ihre Kritik stützen sie vor allem auf Gaucks Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar. Damals sprach der Bundespräsident von der Notwendigkeit militärischer Konfliktlösungen.
    Was er damit meinte, erklärte er kürzlich auch im Interview mit dem Deutschlandfunk. Deutschland müsse im Kampf für Menschenrechte an der Seite der Unterdrückten stehen:
    "Und in diesem Kampf ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen. So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen. Deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen."
    Appell für Gewaltlosigkeit
    Die 65 ostdeutschen evangelischen Pfarrer, die den Protestbrief an den Bundespräsidenten unterzeichnet haben, haben beinahe alle die friedliche Revolution in der DDR erlebt - und argumentieren aus ihrer ganz persönlichen Lebensgeschichte heraus. Siegfried Menthel:
    "Wer einmal in seinem Leben miterleben durfte, dass mit Gewaltlosigkeit große gesellschaftliche Veränderungen bewirkt werden können, der ist aus Dankbarkeit für diese Erfahrung eigentlich den Rest seines Lebens dazu verpflichtet, an diese Erfahrung anzuknüpfen, auch unter gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen."
    In dem Brief erinnern die Pfarrer an die Ökumenische Versammlung der DDR-Kirchen im Jahr 1989, an der auch Gauck teilgenommen hatte. Im Abschlussdokument der Versammlung hieß es damals:
    "Umkehr zum Frieden muss deshalb für uns heute die Mitwirkung an der Überwindung der Institution des Krieges einschließen. Im Verzicht auf militärische Gewalt als Mittel der Politik sehen wir einen notwendigen Schritt zur Schaffung einer europäischen und weltweiten Friedensordnung."
    Von diesem Konsens von 1989 verabschiede sich der Bundespräsident nun, so die Pfarrer.
    Ost gegen West?
    Eine solche Argumentation hält der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk für unsauber. Hier werde die Geschichte instrumentalisiert, um in Debatten der Gegenwart zu punkten. Die Forderungen der damaligen Friedensbewegung seien unter völlig anderen Voraussetzungen entstanden als heute, kritisiert Kowalczuk, der die Geschichte der DDR-Friedensbewegung erforscht hat:
    "Die Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden in 70er- und 80er-Jahren war eine Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West, zwischen zwei großen Blöcken, in einer Zeit, in der in Europa Frieden herrschte. Das ist eine gänzlich andere Situation als heute, wir haben heute nicht mehr diese großen Blöcke und vor allem leben wir nicht in einer Zeit, die vor allem von Frieden - auch in Europa - geprägt ist."
    Ähnlich sehen das Geistliche der katholischen Kirche: Man könne sich nicht 25 Jahre nach der Ökumenischen Versammlung auf deren Abschlussdokument berufen, so der Dresdner Prälat Dieter Grande, der als Vertreter der Bischofskonferenz an der Versammlung teilgenommen hatte. Die katholische Kirche habe immer gesagt, dass es Situationen geben könne, in denen militärische Mittel notwendig würden.
    Historiker Kowalczuk hält die Empörung der ostdeutschen Pfarrer schlicht für überzogen.
    "Gauck ruft hier nicht zu aktiven Kriegseinsätzen oder sonst was auf, sondern er stellt letztendlich für mich die Frage, würden und dürfen wir es ein zweites Mal zulassen, wie Anfang der 90er-Jahre, dass die Welt ohnmächtig zuschaut, wie innerhalb weniger Wochen eine Million Menschen abgeschlachtet werden in Ruanda. Seither gibt es eben die Frage, darf man so etwas noch mal machen. Da gibt es kein falsch und kein richtig, glaube ich, und da gibt es keine pauschale Antwort, sondern immer nur die Antwort im Einzelfall."
    Briefschreiber kritisieren Akzentverschiebung in der Politik
    Über solche Einzelfälle müsse man nachdenken, sagen auch die Verfasser des Protestbriefes. Es gebe aber zu viele Beispiele, bei denen militärische Konfliktlösungen - auch mit UN-Mandat - falsch gewesen seien. Deshalb gehe es ihnen um eine generelle Akzentverschiebung in der Politik.
    "Man könnte ja auch sagen, wir leben in einer Welt, in der eine Milliarde Menschen hungern. Und das ist ein Mord, der dauernd still stattfindet. Und wir haben damals 89 schon gewusst, dass Waffen auch dann töten, wenn sie gar nicht eingesetzt werden, das heißt, das Vertrauen auf das Militärische zur Konfliktlösung, ist ein Vertrauen, das viele Opfer fordert, bevor es zum ersten Schuss kommt."
    Rückenwind bekommen die Theologen von der früheren EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann, die sich ebenfalls in dem Konflikt positioniert hat. Es sei Aufgabe der Kirchen, so Käßmann, gegen Anfeindungen die Friedensbotschaft Jesu zu setzen. Gauck müsse sich fragen lassen, ob er noch in dieser Tradition stehe.