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Auslese kompakt
Der Mensch - ein Leben wider die Natur

Der Rücken schmerzt, es drohen Übergewicht, Diabetes und Bluthochdruck. Unser Körper ist einfach nicht gemacht für einen Leben zwischen Büro, Auto und Fernsehsessel. Um das besser zu verstehen, blickt der Anthropologe Daniel E. Lieberman weit zurück in die menschliche Geschichte - in seinem Buch "Unser Körper – Geschichte, Gegenwart, Zukunft."

Von Michael Lange | 03.07.2015
    Belgische Pommes Frites in einer Schale mit Mayonaise und einer Dose Coca Cola auf einem Tablett, aufgenommen am 08.03.2014 auf einem Rastplatz in Belgien.
    Daniel E. Lieberman: "Leider hat die natürliche Selektion uns nie darauf vorbereitet, mit endlosen Phasen des Überflusses zurechtzukommen, von Fastfood-Restaurants ganz zu schweigen." (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans. Unsere Verwandten, die Menschenaffen, haben es gut. Sie leben in den Baumkronen, und in ein paar hundert Metern Umkreis finden sie fast alles, was sie zum Leben brauchen. Scheinbar mühelos. Warum nur sind wir so anders, fragt sich Daniel E. Lieberman in seinem Buch "Unser Körper – Geschichte, Gegenwart, Zukunft."
    "Menschen sind seltsame Affen: Wir verbringen wenig oder gar keine Zeit auf Bäumen. Wer von uns hat heute schon zwischen Zweigen gehockt?"
    Die Suche nach Erklärungen führt den Anthropologen von der Universität Harvard weit zurück in die Vergangenheit.
    "Als es in Afrika vor vielen Millionen Jahren kühler und trockener wurde, waren Früchte irgendwann spärlicher verteilt, und das begünstigte jene Vorfahren, die aufrecht stehen und gehen konnten, so dass sie besser in der Lage waren, herumzustreifen."
    Und unsere Vorfahren hatten Erfolg. Je weiter sie liefen, umso mehr Essbares entdeckten sie: Tierkadaver, jagdbares Wild, leckere Früchte oder nahrhafte Wurzeln. Der Körper passte sich über Jahrmillionen an das Leben auf dem Boden an. Ein Leben als Läufer. Und alle Anpassungen an den Lebensraum "Baum" gingen nach und nach verloren. Daniel E. Lieberman präsentiert die gesamte Menschheitsgeschichte aus der Sicht der Evolutionsbiologie: Runter von den Bäumen, auf den Boden, und von dort schließlich herauf auf das Sofa.
    "Leider hat die natürliche Selektion uns nie darauf vorbereitet, mit endlosen Phasen des Überflusses zurechtzukommen, von Fastfood-Restaurants ganz zu schweigen."
    Das Sofa bleibt oft Sieger
    Die Evolution hat uns zu Lebewesen gemacht, die so viel Zucker essen wollen wie irgend möglich. Wer Hunger hat und die Wahl zwischen Schokolade und Sellerie, dem empfiehlt der Verstand Sellerie, aber Millionen Jahre Evolution drängen den Körper in Richtung Schokolade. Und meistens siegt die Evolution – genauso bei Sport und Bewegung: Das Sofa bleibt oft Sieger.
    Wer wissen will, warum der eigene Körper ist wie er ist, und wie die Evolution ihn formte, ist mit diesem Buch gut bedient.
    Erkenntnisgewinn:
    Lesen bildet – und diese mehr als 500 Seiten ganz besonders. Wer dabei gesund bleiben will, muss allerdings zwischendurch unbedingt an die frische Luft – und laufen, laufen, laufen.
    Spaßfaktor:
    Menschen sind schon komisch. Von Natur aus wahre Bewegungsmonster, sitzen sie doch lieber auf dem Sofa mit einer Flasche Bier.
    Daniel E. Lieberman: "Unser Körper - Geschichte, Gegenwart, Zukunft"
    Verlag S. Fischer
    560 Seiten, 24, 99 Euro
    Programmtipp:
    Noch mehr Lesenswertes stellt unser Sachbuchtrio vor; am Sonntag um 16.30 Uhr in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt – Auslese"