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Ausnahmen über Ausnahmen

Seit der Einführung der Studiengebühren in Bayern wird beständig nachgebessert, um die Gebühren sozialverträglich zu gestalten. Es wurden bereits Familien mit drei Kindern und sozialschwache Familien von den Gebühren befreit. Nun regelt eine neue Novelle zum Hochschulgesetz, dass Familien mit zwei gleichzeitig studierenden Kindern nur für eines zahlen müssen. Wer noch Studiengebühren zahlt, fühlt sich meist betrogen.

Von Susanne Lettenbauer | 02.02.2009
    "Ja, grundsätzlich begrüßen wir natürlich, wenn Menschen von Studiengebühren befreit werden","

    sagt Adrian Breul, Studierendenvertreter an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

    ""Aber wir sehen in dieser Neuregelung keine wirkliche Lösung, weil natürlich da nicht nach dem ökonomischen Status gefragt wird, sondern schlicht und einfach nach dem Elternhaus, das heißt, reiche Eltern mit drei Kindern bekommen die Gebühren erlassen, arme Eltern mit einem Kind müssen aber zahlen."

    Die Verwirrung ist groß an Bayerns Hochschulen. Keiner will die soziale Komponente in der Novelle des Hochschulgesetzes akzeptieren. Die Studierenden nicht, weil die Studiengebühren nicht gleich komplett abgeschafft werden, und die Universitätsrektoren und -präsidenten auch nicht.

    Karl-Dieter Grüske, Rektor der Uni Nürnberg-Erlangen, sieht gleich das ganze System der Studiengebühren ad absurdum geführt:

    "Nicht die Familien sollten zahlen, sondern die jungen Erwachsenen sollten in ihre Zukunft investieren. Daher kam die Darlehenslösung, die völlig risikolos war, weil man ja nur einkommensabhängig zurückzahlt. Die Familien sollten nicht belastet werden, sondern die angehenden Akademiker über die Studiendarlehen."

    Bis zu 50 Millionen Euro wird den Hochschulen in Bayern durch das neue Gesetz fehlen, hat der Präsident von Uni Bayern, dem Zusammenschluss aller bayerischen Universitäten, ausgerechnet. Schon jetzt würden seinen Universitätsrektoren durch Kürzung der öffentlichen Gelder 25 Prozent weniger Mittel zur Verfügung stehen, kritisiert Alf Zimmer. Hinzu kommt, dass durch die unterschiedlichen Ausnahmeregelungen bereits fast 50 Prozent der Studierenden keine Studiengebühren mehr zahlen. Von einer Verbesserung der Lehre könne keine Rede mehr sein, weil:

    "Gleichzeitig aus den Studienbeiträgen, die eine Studierendengruppe A zahlt, eine Studierendengruppe B aus sozialen Gründen subventioniert wird, das heißt, es wird Sozialpolitik auf dem Rücken der Studierenden betrieben, die eigentlich für die Verbesserung der Studien gewesen wäre."

    Der Präsident der Uni Passau, Walter Schweitzer ist ebenfalls der Ansicht,

    "dass es eigentlich nicht Aufgabe der anderen Studierenden, die Studienbeiträge zahlen, ist, hier einen Solidaritätsbeitrag zu leisten und soziale Probleme auf diese Art und Weise zu lösen. Dass man etwas tun musste, war uns klar, aber wir gingen davon aus, dass dies der Staat leisten sollte und nicht die Studierenden."

    Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch lässt diese Argumente nicht gelten. Die von dem Zusammenschluss aller bayerischen Universitäten angegebene Fehlsumme wären viel zu hoch und übertrieben:

    "Ja natürlich fehlen da Gelder, aber doch nicht in der Größenordnung. Wenn man mal genauer hinsieht, und schaut, wie viele Familien da in Frage kommen, dann wird die Zahl plötzlich sehr, sehr klein. Ich glaube, dass es eine Größenordnung von circa drei bis fünf Prozent ausmacht. Das ist einfach ein sozialer Aspekt, den müssen die Hochschulen intern abfangen."

    Schon jetzt sehen die Universitäten wie die von Karl-Dieter Grüske, Rektor der Uni Nürnberg-Erlangen, einen Wust von Bürokratie auf sich zukommen. Ein "Monster" werde da geboren, für das man eigens neue Verwaltungsstellen schaffen müsse, fordert Grüske:

    "Denken Sie an sogenannte Patchwork-Familien oder abgegebene Kinder, denken Sie an die EU-Regelung. Wir müssten dann prüfen, ob jemand der in Spanien, in Griechenland oder wo immer studiert, noch ein anderes Geschwisterkind hat, das auch studiert und Studiengebühren zahlt, was machen sie mit Kindern, die in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Studienbeiträgen belastet werden, was machen sie mit Geschwistern, die an Fachhochschule und Universität studieren, 300 Euro gegen 500 Euro, wer zahlt."

    "Da haben wir uns natürlich Gedanken gemacht","

    sagt Wissenschaftsminister Heubisch kopfschüttelnd:

    ""Im Grunde ist das doch ganz einfach: Wenn einer befreit werden will von den Studiengebühren, dann muss eine Bescheinigung vorliegen, dass seine Schwester oder ihr Bruder Studiengebühren woanders bezahlt, egal, ob das in München, Bayreuth oder England ist."

    Martin Diehl von der Studierendenvertretung der Technischen Uni München beobachtet das Hick Hack und wartet eigentlich nur noch auf eines:

    "Man merkt, die neue Regierung erkennt nach und nach, was alles nicht sozial verträglich ist. Sozial verträglich sind Studiengebühren aus meiner Sicht eigentlich nie. Der entscheidende Schritt fehlt natürlich noch, aber ich glaube, die nähern sich dem Ziel immer mehr an, die Studiengebühren ganz abzuschaffen."

    Einen Schritt in diese Richtung hat die Gesetzesnovelle vorgezeichnet: Ab Wintersemester 2009/2010 dürfen die Studierenden in Bayern mit bestimmen, wie hoch die Studiengebühren an ihrer Hochschule sein sollen. Die Fachhochschule Ingolstadt hat daraufhin als erste ihre Studiengebühren um 200 Euro gesenkt.