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Ausrufer Gottes in Ägypten

Im Zentrum von "Radio Muezzin" der Gruppe Rimini Protokoll stehen vier ägyptische Muezzine. Im Theater Hebbel am Ufer werden sie zu Hauptdarstellern einer Rekonstruktion ihres Lebens. Nach drei Monaten Recherchen, Proben und einem Try-Out in Kairo wird "Radio Muezzin" in Berlin, wo laute Gebetsrufe verboten sind, mit deutschen Untertiteln uraufgeführt.

Von Eberhard Spreng |
    Abdelmoty Abdelsamia Ali war einmal Elektriker. Er hat auf Baustellen in Saudi-Arabien gearbeitet und dann in Kairo. Bei dem Kurzschluss einer Hochspannungsleitung hat er einen schlimmen Unfall erlebt und anschließend als Muezzin in einer Kairoer Moschee einen Job bekommen, weil er ein schöne Stimme hat. Gerade mal 380 ägyptische Pfund zahlt ihm das Religionsministerium für diesen Nebenjob, umgerechnet etwa 40 Euro. Er ist einer der über dreitausend Muezzine, die die Luft über der Stadt Kairo fünfmal am Tag mit einer polyphonen Klangwolke erfüllen.

    Zu Beginn seiner neuen Arbeit hat Stafan Kaegi versucht, diese auch in anderen Metropolen der islamischen Welt vorherrschende akustische Landmarke im Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) in Ansätzen zu rekonstruieren. Der immergleiche Text, zu der die Schahada, das islamische Glaubensbekenntnis gehört, je individuell moduliert in melismatischem Gesang, mischt sich zu chorischen Überlagerungen.

    Dann stellt Rimini, ganz wie in vorangegangenen Arbeiten, die einzelnen Biographien dieser Muezzine vor. Auf vier Leinwänden erscheinen einige Video-Stadtansichten, vor allem aber Bilder aus Kindheit und Privatleben der vier Moschee-Dienstleister. Zu ihnen gehört auch der weitgereiste Mohamad Ali Mahmoud, der vor Jahren bei einem Koran-Rezitier-Wettbewerb in Fernostasien den zweiten Platz belegt hat und der wegen seiner dezent kultivierten Koranrezitation demnächst als einer der 30 staatlich geprüften Muezzine übrig bleiben soll. Drahtlos zu den jeweiligen Moscheen übertragen, soll jeweils einer von ihnen demnächst in ganz Kairo zum Gebet rufen.

    Zentralorgan statt volkstümlichem Klangchaos, diese Entscheidung hat nicht nur akustische Auswirkungen und bringt nicht nur einige 1000 Muezzine um ihren transzendentalen Gewinn im Jenseits. Der staatliche Eingriff signalisiert der bunten, kleinteiligen, in ihren Stadtvierteln verhafteten und vernetzten islamischen Szene, dass der Staat in ihre Arbeit hineinregiert, in einem Land, das aus dem Westen viel Geld dafür bekommt, dass es seine religiöse Szene im Griff behält.

    Und das scheint das eigentliche Thema, das Riminis Dokumentartheater diesmal nicht auf die Bühne bringen kann. Bedroht von Zensur war der Probenprozess in Kairo ohnehin schon und Stefan Kaegi musste darauf achten, seine vier Ägypter nicht Gefährdungen auszusetzen.

    So erfährt der Zuschauer, wie bei Rimini üblich, wieder einmal viel über die Dinge des Alltags. Er lernt zum Beispiel eine in China hergestellte Digitaluhr kennen, in die man Städte-Codes eingeben kann und dann die jeweils richtigen Gebetszeiten angezeigt bekommt, oder dass man früher fast nur blinde Muezzine einsetzte, damit die nicht vom Minarett in die Wohnungen ringsum schauen können.

    Alles gut und schön, aber was diesen Abend wirklich zu einer spannenden interkulturellen Veranstaltung macht, ist die ungemein großzügige Ausstrahlung, mit der die vier und allen voran der fast völlig erblindete Hussein Gouda Hussein das Publikum in die Welt der Moscheen einführt, die immer gleich und für jeden immer anders ist.

    Damit wird der Abend dann doch noch zu einem politischen Bekenntnis für die Polyphonie: Denn was ist der Islam, diese bilderlose Religion im gleichförmigen Säulen-Wald der Moscheen, wenn nicht der je individuelle Ausdruck für den immergleichen Text.