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Ausschreibungen bei medizinischen Hilfsmitteln
"Regelungen stellen per se keine zusätzliche Belastung dar"

300 Millionen Euro lassen sich laut dem Behindertenbeauftragten der Unionsfraktion, Uwe Schummer, pro Jahr durch die Ausschreibungspraxis einsparen. Denn sie stärke den Wettbewerb in der Hilfsmittelversorgung, sagte er dem DLF. Per se ergäben sich dadurch keine zusätzlichen Belastungen für Betroffene.

28.05.2015
    Uwe Schummer am Rednerpult im Bundestag
    Uwe Schummer bei einer Rede im Bundestag (dpa / Britta Pedersen)
    1. Frage: Warum wird auf Ausschreibungen im Bereich medizinischer Hilfsmittelbereich gesetzt?
    Uwe Schummer (CDU): Die Regelungen zu Ausschreibungen zur Hilfsmittelversorgung fördern einen verstärkten Vertrags- und Preiswettbewerb bei gleichzeitiger Erhaltung der Qualität der Produkte. Die Vorschrift gilt seit April 2007. Die Versorgung mit Hilfsmitteln erfolgt nur durch Anbieter, die Verträge mit den Krankenkassen abgeschlossen haben. Die Krankenkasse hat das Recht erhalten, eine Ausschreibung durchzuführen und anschließend einen Vertrag mit dem Ausschreibungsgewinner zu schließen. Das Recht der Krankenkassen auf Ausschreibungen gilt nicht nur für Hilfsmittel, die Menschen mit Behinderungen benötigen, sondern gilt für alle Hilfsmittel gleichermaßen.
    Der verstärkte Wettbewerb in der Hilfsmittelversorgung führt zu Einsparungen im Gesundheitsbereich von rund 300 Millionen Euro jährlich. Neben der Ausschreibung ist im Gesetzestext ausdrücklich der Hinweis auf die Verpflichtung zu den Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte mitaufgenommen (in § 127 SGB V). Dies soll ausschließen, dass Preisvorteile zulasten der Versorgungsqualität gehen. Ferner sieht die gesetzliche Regelung auch das Recht des Patienten vor, bei berechtigten Gründen auf einen anderen Produktanbieter der Krankenkasse auszuweichen oder gegebenenfalls sich das Produkt bei einem Anbieter seiner Wahl selbst zu beschaffen und sich die Kosten erstatten zu lassen.
    2. Frage: Wie bewerten Sie diese Praxis? Werden Menschen mit Behinderung hierdurch zusätzlich belastet?
    Schummer : Selbstverständlich ist es für die Betroffenen mitunter schwierig, wenn sie sich aufgrund einer erfolgten Ausschreibung und damit auf ein Produkt eines anderen Anbieters als bisher einstellen müssen. Bei einigen Hilfsmitteln gelingt die Umstellung ohne größere Probleme, bei anderen Hilfsmitteln – gerade im sensiblen Bereich – dauert die Umstellung länger. So war in der Vergangenheit die anfängliche Umstellung bei Menschen, die als Hilfsmittel Inkontinenzartikel benötigen, nicht reibungslos.
    Kritisch ist die mangelnde Transparenz bei den Ausschreibungen und ob die Qualitätsstandards klar definiert sind oder nur der Preis bewertet wird. Sinnvoll sind auch längere Ausschreibungsfristen.
    Ausgehend vom Grundsatz, dass der neue Anbieter die gleiche Qualität der Versorgung und der Produkte sicherstellen muss, ist eine solche Produktumstellung grundsätzlich keine Verschlechterung für die Betroffenen. Sollte es Probleme geben, sieht das gesetzliche Instrumentarium mit dem Recht des Patienten, bei berechtigten Gründen auf einen anderen Produktanbieter der Krankenkasse auszuweichen oder gegebenenfalls sich das Produkt bei einem Anbieter seiner Wahl selbst zu beschaffen und sich die Kosten erstatten zu lassen, Ausweichmöglichkeiten vor. Insoweit stellen diese Regelungen per se keine zusätzliche Belastung für Menschen mit Behinderung dar.
    Es könnte hingegen für diejenigen eine zusätzliche Belastung darstellen, die gerade aufgrund ihrer (psychischen) Behinderung besondere Probleme mit dem Umgang neuer Situationen oder veränderter Rahmenbedingungen haben. Hier könnte eine Umstellung auf ein neues Hilfsmittel problematisch sein, beispielsweise ein Mensch mit mehrfacher Behinderung, psychisch und auf einen Rollstuhl angewiesen.
    3. Frage: Zur Begründung der Petition wird darauf hingewiesen, dass die Vorgaben aus dem SGB V, § 127 Abs. 1 (Sicherstellung der Qualität, wohnortnahe Versorgung) durch solche Ausschreibungen nicht gewährleistet sei. Ist das der Fall?
    Schummer: Neben der Ausschreibung ist im Gesetzestext ausdrücklich der Hinweis auf die Verpflichtung zu den Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte mitaufgenommen (in § 127 SGB V). Sollte das Hilfsmittel des Anbieters nicht den qualitativen Vorgaben entsprechen, so kann der Patient einen anderen Leistungserbringer wählen, wenn ein berechtigtes Interesse besteht (§ 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V). Wann ein solches berechtigtes Interesse besteht ist nicht gesetzlich geregelt, um nicht durch eine Aufzählung einiger Fälle andere Fallkonstellationen hiervon auszuschließen. Das berechtigte Interesse muss medizinisch begründet sein. Ein solches berechtigtes Interesse zur Wahl eines anderen Anbieters besteht beispielsweise, wenn:
    • die Produkte des Ausschreibungsgewinners nur auf einen für den Versicherten unzumutbaren Vertriebsweg zu erlangen sind. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn die Produkte nicht fristgerecht geliefert werden könnten oder die Art und Weise der Lieferung den Versicherten in unzumutbarer Weise beeinträchtigt.
    • eine persönliche und wohnortnahe Beratung erforderlich ist, um die Versicherten mit einem geeigneten Hilfsmittel zu versorgen, und diese durch den Anbieter nicht gewährleistet ist.
    In diesen Fällen kann der Patient einen anderen Leistungserbringer wählen. Dadurch entstehende Mehrkosten hat er selbst zu tragen. Die Ausübung des Wahlrechts kann nur durch den Versicherten selbst, nicht aber durch den Vertragsarzt erfolgen.
    Wird ein unaufschiebbares Hilfsmittel nicht rechtzeitig geliefert, so hat der Patient nicht nur das Recht, einen anderen Vertragspartner der Krankenkasse als den Ausschreibungsgewinner zu wählen, sondern er kann sich das Hilfsmittel selbst beschaffen und sich die Kosten von der Krankenkasse erstatten lassen.
    4. Frage: Stimmt es, dass die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln wie Rollstühlen durch Ausschreibungen länger dauert? Kommt es dadurch zu einer Verlängerung der Lieferzeiten? Gibt es Verzögerungen bei Reparaturen, weil nicht mehr immer wohnortnah repariert werden kann?
    Schummer: Zur Frage, ob die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln wie Rollstühlen durch Ausschreibungen länger dauert, liegen bisher keine Erkenntnisse vor. Sollte ein Anbieter als Vertragspartner einer Krankenkasse zu lange Lieferzeiten haben, sieht das gesetzliche Instrumentarium mit dem Recht des Patienten, bei berechtigten Gründen auf einen anderen Produktanbieter der Krankenkasse auszuweichen oder gegebenenfalls sich das Produkt bei einem Anbieter seiner Wahl selbst zu beschaffen und sich die Kosten erstatten zu lassen. Ferner können Hilfsmittel für einige Zeit auch leihweise überlassen werden (§ 33 Abs. 5).
    5. Frage: Weiter wird bemängelt, dass bereits durchgeführte Ausschreibungen gezeigt hätten, sollte ein Versicherter eine an seine Behinderung besser angepasste Versorgung einfordern, gehe dies zulasten des Versicherten. Es werde über den Weg der Zuzahlung durch den Patienten eine Kostenbeteiligung eingefordert, die oft viel höher als marktüblich seien. Haben Sie eigene Hinweise auf diese Praxis? Wird über Zuzahlungen tatsächlich die Versorgungsanpassung gesteuert? Und wenn ja, liegen diese über einem marktüblichen Niveau?
    Schummer: Hierzu liegen mir keine Informationen vor. Bisher gibt es hierzu keine Eingabe, die an mich gerichtet wurde.
    6. Frage: Wie lässt sich verhindern, dass durch Ausschreibungen und die damit verbundene Unterbietung der Preise die Einnahmen des Ausschreibungsgewinners so weit gedrückt werden, dass dies zulasten der Produktqualität geht?
    Schummer: Indem bei der Ausschreibung die Qualitätskriterien vorrangig sind. Der Preis muss ein nachgeordnetes Kriterium sein.
    7. Frage: Sehen Sie die Gefahr, dass durch Preisunterbietungen kleinere Anbieter von Produkten im medizinischen Hilfsmittelbereich aus dem Markt gedrängt werden?
    Schummer: Kleinere Anbieter können durch Qualität der Produkte und/oder durch Zusammenschlüsse mit anderen Chancen erhalten. Wichtig ist aber auch die patientennahe Versorgung.
    Die Fragen wurden schriftlich beantwortet.