Donnerstag, 25. April 2024

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Ausschreibungen bei medizinischen Hilfsmitteln
"Strenges Verfahren sichert Fairness"

Die DAK-Gesundheit hat Ende 2014 eine Ausschreibung für die Anfertigung von Rollstühlen gemacht - und damit etwa bei Betreibern von Sanitätshäusern und Patienten für Verunsicherung gesorgt. Jörg Bodanowitz, Sprecher des Krankenversicherungsträger, verteidigt das Vorgehen gegenüber dem Deutschlandfunk: Man habe die bisherigen Versorgungsstandards in etlichen Bereichen sogar verbessern können.

28.05.2015
    Passanten gehen in Hamburg auf den Eingang der Zentrale der DAK zu.
    Die Krankenkasse DAK-Gesundheit hat ihre Zentrale in Hamburg. (picture alliance / dpa/ Angelika Warmuth)
    1. Frage: Warum wird auf Ausschreibungen im Bereich medizinischer Hilfsmittelbereich gesetzt?
    Jörg Bodanowitz (Unternehmenssprecher): Die DAK-Gesundheit ist als Körperschaft öffentlichen Rechts gesetzlich verpflichtet, die Ihnen anvertrauten Beiträge wirtschaftlich und effizient zu verwenden. Der wohldosierte Einsatz von Selektivverträgen in Form von Ausschreibungen gehört dazu. Er ist politisch gewollt und zählt zu den zielführenden wettbewerblichen Elementen unserer sozialen Krankenversicherung.
    Bei der Hilfsmittelversorgung handelt es sich um einen sensiblen Bereich. Das gilt für die Betroffenen selbst, wie auch für die Angehörigen. Aus diesem Grund führt die DAK-Gesundheit Ausschreibungen nur in dafür geeigneten Produktbereichen durch. Die meisten Hilfsmittelverträge bei der DAK-Gesundheit sind Verhandlungsverträge. Vor jedem neuen Vertragsabschluss prüfen wir, ob ein Verhandlungsvertrag oder eine Ausschreibung sinnvoll ist. Dort, wo individueller Anpassungsbedarf oder eine hohe Serviceintensität die Versorgung prägen, sind Ausschreibungen ungeeignet. Deshalb wurden bei der DAK-Gesundheit zum Beispiel nur Standard-, Leichtgewicht- und Toilettenrollstühle und keine Aktiv-, Kinder- oder Multifunktionsrollstühle ausgeschrieben. Insgesamt sind so Dreiviertel aller Versorgungsfälle im Rollstuhlbereich von Ausschreibungen ohnehin ausgenommen.
    2. Frage: Wie bewerten Sie diese Praxis? Werden Menschen mit Behinderung hierdurch zusätzlich belastet?
    Bodanowitz: Der Leistungsumfang und die Qualitätsanforderungen der Ausschreibungen entsprechen mindestens den bisherigen Versorgungsstandards und konnten sogar in etlichen Bereichen für den Kunden verbessert werden. Lediglich das Leistungserbringer-Wahlrecht des Versicherten wird im Regelfall eingeschränkt. Aber auch bei Verhandlungsverträgen ist dies auf die Vertragspartner der jeweiligen Krankenkasse eingeschränkt.
    Jörg Bodanowitz, Sprecher der DAK-Gesundheit
    "Vor jedem neuen Vertragsabschluss prüfen wir, ob ein Verhandlungsvertrag oder eine Ausschreibung sinnvoll ist." (DAK-Gesundheit)
    3. Frage: Zur Begründung der Petition wird darauf hingewiesen, dass die Vorgaben aus dem SGB V, § 127 Abs. 1 (Sicherstellung der Qualität, wohnortnahe Versorgung) durch solche Ausschreibungen nicht gewährleistet sei. Ist das der Fall?
    Bodanowitz: Nein, dies ist nicht der Fall. Die Qualitätsanforderungen an Produkte, persönliche Anpassung, Beratung sowie Lieferzeiten haben sich durch die Ausschreibung nicht verändert - im Vergleich zu den bisherigen Verträgen wurden sogar weitere Anforderungen aufgenommen. Selbstverständlich ist eine wohnortnahe Versorgung und Beratung vorgesehen. Die Beratung/Einweisung erfolgt bedarfsabhängig im Haushalt/am Aufenthaltsort des Kunden. Zudem haben die Vertragspartner - renommierte und erfahrene Sanitätshäuser - meist Niederlassungen oder Kooperationspartner in der Region.
    4. Frage: Stimmt es, dass die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln wie Rollstühlen durch Ausschreibungen länger dauert? Kommt es dadurch zu einer Verlängerung der Lieferzeiten? Gibt es Verzögerungen bei Reparaturen, weil nicht mehr immer wohnortnah repariert werden kann?
    Bodanowitz: Nein. Unsere Vertragspartner müssen unsere Kunden umgehend kontaktieren und innerhalb von drei Tagen mit den notwendigen Hilfsmitteln versorgen. Zum Service gehören auch die Versorgung mit Zubehör, ein technischer Notdienst, eine kostenlose Telefonhotline, Reparaturen und, falls nötig, ein Austausch des Rollstuhls.
    5. Frage: Weiter wird bemängelt, dass bereits durchgeführte Ausschreibungen gezeigt hätten, sollte ein Versicherter eine an seine Behinderung besser angepasste Versorgung einfordern, gehe dies zulasten des Versicherten. Es werde über den Weg der Zuzahlung durch den Patienten eine Kostenbeteiligung eingefordert, die oft viel höher als marktüblich seien. Haben Sie eigene Hinweise auf diese Praxis? Wird über Zuzahlungen tatsächlich die Versorgungsanpassung gesteuert? Und wenn ja, liegen diese über einem marktüblichen Niveau?
    Bodanowitz: Der Kunde erhält die medizinisch notwendigen und eine auf seine individuellen Bedürfnisse angepasste Versorgung aufzahlungsfrei. Nur besondere und medizinisch nicht begründete Produktwünsche können zu privaten Aufzahlungen führen. Die Möglichkeit, dass der Kunde eine sogenannte Mehrkostenregelung mit dem Vertragspartner treffen kann, ist gesetzlich vorgesehen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Wir können diese Regelung in Verträgen nicht ausschließen. Wir haben in unseren Verträgen Regelungen gefunden, die die Rechte der Versicherten schützen. So muss der Ausschreibungsgewinner den Versicherten ausdrücklich über sein Recht auf eine aufzahlungsfreie Versorgung informieren. Nur wenn der Patient trotzdem eine Versorgung mit Aufzahlung ausdrücklich wünscht, ist diese durchführbar. Da es sich um private Vereinbarungen zwischen Kunden und Lieferanten handelt, dürfen wir Angaben hierzu weder vom Kunden noch vom Vertragspartner fordern.
    6. Frage: Wie lässt sich verhindern, dass durch Ausschreibungen und die damit verbundene Unterbietung der Preise die Einnahmen des Ausschreibungsgewinners so weit gedrückt werden, dass dies zulasten der Produktqualität geht?
    Bodanowitz: Die Qualitätsanforderungen an Produkte, Service und Beratung sind im Vertrag von vornherein klar definiert. Ausschreibungen haben das Ziel, durch die Vergabe des Auftrages an die wirtschaftlichsten Lieferanten öffentliche Mittel ökonomisch rational einzusetzen. Das strenge Verfahren sichert Fairness zwischen den Anbietern und einen diskriminierungsfreien Zuschlag.
    7. Frage: Sehen Sie die Gefahr, dass durch Preisunterbietungen kleinere Anbieter von Produkten im medizinischen Hilfsmittelbereich aus dem Markt gedrängt werden?
    Bodanowitz: Der Hilfsmittelmarkt befindet sich seit einigen Jahren auch ohne Zutun der Krankenversicherung im Umbruch. Die Verbände der Hilfsmittelerbringer weisen ihre Mitglieder seit längerem sehr deutlich darauf hin, sich auf die neue Marktsituation einzustellen.
    Im Ausschreibungsverfahren sind mittelständische Interessen zwingend zu berücksichtigen. Dazu sind die Leistungen in Regional- oder Fachlosen auszuschreiben. Sanitätshäuser können sich auch zu Bietergemeinschaften zusammenschließen oder auch Subunternehmer nutzen. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben zum Beispiel zwei Bietergemeinschaften (mit je drei bis fünf Betrieben) Lose der DAK-Gesundheit im Bereich der Rollstuhlversorgung gewonnen. Es ist also auch für kleinere Betriebe möglich, sich aktiv an Ausschreibungen zu beteiligen und zu den Gewinnern zu gehören.
    Die Fragen wurden schriftlich beantwortet.