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Ausschreitungen in Nigeria
Ein Ressourcenkampf wird zum Religionskonflikt

In Nigeria reißt die Welle der Gewalt nicht ab. Und die Religion spielt dabei eine Rolle. Etwa bei der Terrorgruppe Boko Haram. Oder bei einem Konflikt zwischen sesshaften Farmern und Viehhirten, in dem in den vergangenen Monaten einige hundert Menschen ums Leben gekommen sind. Christen und Muslime bekämpfen sich gegenseitig.

Von Katrin Gänsler | 21.02.2017
    Bis heute ziehen Viehhirten mit ihren Tieren durch Nord- und Zentralnigeria
    Bis heute ziehen Viehhirten mit ihren Tieren durch Nord- und Zentralnigeria (Deutschlandfunk/Katrin Gänsler)
    Es ist ein vertrautes Bild in Zentral- und Nordnigeria: Wer mit dem Auto auf dem Land unterwegs ist, muss immer wieder anhalten: wegen riesiger Rinderherden, die sich nicht fortbewegen. Um die Tiere kümmern sich junge Viehhirten. In aller Regel sind es Fulani, die auch Fulbe oder Peulh genannt werden. Sie leben in großen Teilen Westafrikas und waren ursprünglich Nomaden. Die Rinder sind ihr ganzer Reichtum. Viele sind zwar sesshaft geworden, doch sie treiben weiter ihre großen Herden durch die Region. Genau diese Lebensweise führt dazu, dass sie im Süden des Bundesstaates Kaduna mehr denn je verhasst sind. Auch Chom Isa Dang, Pastor der Baptistenkirche in Kachia, einer Kleinstadt im Bundesstaat Kaduna, wird wütend, wenn er auf die Fulani angesprochen wird:
    "Die Fulani überfallen unsere Leute, ja, ermorden sie sogar. Früher haben wir zusammen gelebt. Doch dann wurden sie plötzlich unsere Feinde. Sie bringen uns in der Nacht um und greifen unsere Dörfer an."
    Im Süden Kadunas sind zahlreiche Gebäude zerstört worden, wie diese Tankstelle
    Im Süden Kadunas sind zahlreiche Gebäude zerstört worden, wie diese Tankstelle (Deutschlandfunk/Katrin Gänsler)
    In den vergangenen drei Monaten sollen je nach Quellenangabe zwischen 200 und 800 Menschen gestorben sein, mehr Todesopfer als im gleichem Zeitraum durch die Terrorgruppe Boko Haram.
    Es ist ein Konflikt, der sich zuspitzt. In Nigeria, Afrikas einwohnerreichstem Staat, leben 186 Millionen Menschen. Das macht Land zum kostbaren Gut. Die Fulani konkurrieren mit ihren riesigen Herden und der ständigen Suche nach Futter mit den sesshaften Ackerbauern. Auch sie brauchen Land. Der Ressourcenkampf eskaliert und endet immer häufiger tödlich. Viele Beteiligte - gerade im Süden Kadunas - bewerten den Ressourcenkampf allerdings als einen Konflikt zwischen Christen und Muslimen. Denn während die Bauern überwiegend Christen sind, bekennen sich die allermeisten Fulani zum Islam.
    "Ich habe meinen Leuten gesagt: Tötet jeden Fulani, den ihr seht!"
    In einem YouTube-Video, mitgeschnitten in einem Gottesdienst, ruft ein Prediger, der sich Apostle Johnson Suleman nennt, dazu auf, Fulani zu ermorden. Der Gründer der Kirche "Omega Fire Ministries" hat sich von seiner mörderischen Botschaft inzwischen distanziert. Die Sätze seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Solche Hasspredigten heizen die Auseinandersetzung weiter an, findet Mohammed Bello Tukur. Der Rechtsanwalt ist selbst Fulani und Vorsitzender eines Zusammenschlusses afrikanischer Viehhalter-Organisationen.
    "Wir müssen dringend mehr gegen Hassprediger unternehmen", sagt Mohammed Bello Tukur. "Menschen, die Hass predigen, spüren wenig von den Konsequenzen. Aber was ist mit jemandem, der nicht mal ein Moped hat, um damit zu fliehen? Wenn er so etwas hört - was macht dieser Mensch?"
    "Statt etwas gegen die Krise zu unternehmen, wird sie angeheizt"
    Religion ist in Nigeria hochsensibel. Seit Jahrzehnten wird damit Stimmung gemacht. Es ist nicht klar, ob es mehr Christen oder mehr Muslime gibt in Nigeria. Und der Kampf um die Vormacht macht Angst. Besonders zu spüren ist die Angst in Kafanchan. Seit fast 30 Jahren kommt es hier, in dieser Stadt im Süden Kadunas, immer wieder zu Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen. Am Ortseingang erinnert eine ausgebrannte Tankstelle an die Unruhen. Die Polizei ist präsenter als anderswo in der Region, bringt jedoch nur wenig Sicherheit. So empfinden es jedenfalls viele Bewohner. In Kafanchan lebt Mohammed Kabir. Er ist stellvertretender Präsident der muslimischen Jama'a-Stiftung. Auch er ist besorgt, wie die Krise von Predigern und Politikern dargestellt wird:
    "Leider sagen sie der Welt, es sei ein Problem zwischen Christen und Muslimen. Statt etwas gegen die Krise zu unternehmen, wird sie angeheizt: Wenn man an einer Straßensperre angehalten und als Muslim identifiziert wird, wird man zur Zielscheibe."
    Mohammed Kabir ist stellvertretender Präsident der muslimischen Jama'a-Stiftung in Kafanchan und beklagt die Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen
    Mohammed Kabir ist stellvertretender Präsident der muslimischen Jama'a-Stiftung in Kafanchan und beklagt die Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen (Deutschlandfunk/Katrin Gänsler)
    Das ist die muslimische Lesart des Konflikts, die Christen meist als Täter sieht. Eine zu simple Sicht, kritisiert Jurist Mohammed Bello Tukur, der selbst Moslem ist:
    "In den ländlichen Gemeinden sind alle Verlierer. Menschen sterben, Häuser werden vernichtet, Tiere abgeschlachtet. Bestimmte Kreise nutzen den Konflikt aus. Die können dann sagen: Schaut her! Ihr leidet, aber wir kümmern uns um euch!"
    Matthew Man-oso Ndagoso ist katholischer Erzbischof in Kaduna
    Matthew Man-oso Ndagoso ist katholischer Erzbischof in Kaduna (Deutschlandfunk/Katrin Gänsler)
    Ein Rettungsanker im Meer der Angst - wer so etwas verspricht, findet Anhänger in Nigeria. Politiker setzen gern auf diese Karte. Ihre Unterstützer stammen oft aus derselben ethnischen Gruppe und haben dieselbe Religion. Ethnie und Religion - das sind die Faktoren, mit denen sich immer mehr Nigerianer identifizieren. In einem Staat, der wenig tut gegen die zahlreichen wechselseitigen Übergriffe von islamischen Fulani und christlichen Bauern in Kaduna. Matthew Man-oso Ndagoso ist katholischer Erzbischof von Kaduna und will die Mord-Welle stoppen.
    "Was wir gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass wir alle Nigerianer sind. Katholik, Christ, Muslim oder Anhänger einer traditionellen Religion zu sein, das ist nebensächlich. Solange wir das nicht begreifen, werden wir uns gegenseitig bekämpfen."