Zehn Pferdeköpfe, von Schneewehen geweißt, ragen aus dem Eis heraus. Zum Teil sind ihre Münder noch aufgerissen vom Schrecken ihrer Todessekunden.
Das ist eines der eindrücklichsten Bilder in Guy Maddins "My Winnipeg" einem komplexen Film-Essay des Regisseurs über seine Heimatstadt, voller Nostalgie und Sehnsucht - der Eröffnungsfilm des diesjährigen "Internationalen Forums des Neuen Films". Die Berlinale, die am Sonntag nach der Verleihung der Goldenen Bären zu Ende geht, ist weit mehr, als das Rennen nach den begehrten Trophäen, erst recht in Jahren wie diesen, in denen der biedere Wettbewerb trotz einzelner starker Filme doch viele Wünsche offen lässt.
Da hält man sich lieber an die Nebenreihen des Panorama und des Forum, wo oft das wildere, gefährlichere, herausforderndere Kino zu sehen ist, zudem Filmwerke, die man wirklich hier sehen muss, weil sie nicht oft den Weg ins normale Kino finden. Das "Panorama" glänzte vor allem durch bekannte Namen und bedeutende Themen. Neben dem Dänen Soeren Kragh-Jacobsen, einst für "Mifune im Wettbewerb gefeiert, der in seinem Film passend zur Francesco-Rosi-Hommage das totgeglaubte Genre des europäischen Politthrillers wieder zum Leben erweckt, war es der französische Film "Coupable" von Laetitia Masson und Kino aus Nahost, das herausstach: Etwa der israelische Film "Lemon Tree" von Eran Riklis. Er zeigt anhand eines Grundstücks neben der Grenze zu Palästina höchst anschaulich das ganze Dilemma des Nahostkonflikts.
Wer aber echte künstlerische Grenzerfahrungen sucht, der muss sich im traditionsreichen Forum umsehen, wo man schon viele Meister der Zukunft entdeckte. Einer der hier besten Filme war der deutsche Film "Nacht vor Augen" von Brigitte Maria Bertele. Die Regisseurin packt ein Tabuthema an: Deutsche Soldaten, die Dienst in Krisenregionen getan haben. Was geht eigentlich in ihren Köpfen vor, wenn sie nach Tod- und Gewalterfahrungen zurück in die friedlich-wattierten Verhältnisse der deutschen Mittelstandsgesellschaft kommen? Die Regisseurin zeigt es am Beispiel von David, der sich nicht mehr in die alten Verhältnisse zurückfinden kann. Ein intensives Heimkehrerdrama und die beklemmend inszenierte Geschichte einer Verstörung.
Einen ungewöhnlichen Blick nach China wirft "Sweet Food City" von Gao Wen-dong. Er zeigt das China abseits von faszinierendem Wirtschaftswunder-Boom und der Exotik alter Kaiserpaläste. Die sexlose Liebesgeschichte zwischen einer Prostituierten und einem Arbeitslosen in einer heruntergekommenen Trabantenstadt wird erzählt als Parabel kleine Hoffnungen inmitten sozialer Ödnis. Halbdokumentarisch inszeniert, gefällt der Film durch nüchterne Beiläufigkeit und viel Gefühl
"Summer Book" vom türkischen Regisseur Seyfi Teoman stellt einen Jungen ins Zentrum. Mit seinen Augen lernt man während der Sommerferien seine Familie kennen - und auf diese Weise auch viel über die ganze türkische Gesellschaft - ein heller Sommerfilm mit Tiefgang.
Die größte Sensation eines starken Forumsjahrgangs war aber der Tribut für den japanischen Regisseur Koji Wakamatsu. Drei ältere Filme des heute 74-jährigen Outsiders wurden gezeigt, darunter sein Klassiker "Secrets behind the Wall", der 1965 auf der Berlinale ausgezeichnet wurde, und in Japan durch seine kraftvolle Kritik an der japanischen Nachkriegsgesellschaft einen großen Skandal verursachte.
Wakamatsus neuester Film heißt "United Red Army" und hatte im Forum Premiere. Das Werk handelt von dem Pendant zur deutschen RAF. Auch der japanische Linksterrorismus entwickelte sich als radikaler Ausläufer der Studenten- und Bürgerrechtsbewegung der Sechziger. In drei Akten zeichnet Wakamatsu ihre Geschichte in einer Mischung aus Spielfilm und Dokumentation nach:
"Ich wollte fair sein. Keiner weiß heute noch, was damals geschehen ist. Wir müssen die Erinnerung wach halten."
Wakamatsus Film startet schnell geschnitten, mit zahlreichen Überblendungen, und präsentiert in einer Stunde die Geschichte der japanischen Studentenbewegung und ihrer Radikalisierung im Schnelldurchlauf. Der zweite Akt beginnt am 1. Januar 1972. Auf einer Hütte in den verschneiten Bergen bereiten sich knapp 30 Angehörige der Untergrundgruppe "Vereinte Rote Armee" zum Kampf gegen das Kaiserreich vor. Schnell eskaliert die Gruppendynamik dieser Isolierten zur Selbstkritik mit tödlichen Folgen, der 14 Menschen zum Opfer fallen.
Vor allem als Psychogramm einer Gruppe von Eingeschlossenen, als Untersuchung über Klaustrophobie und Verschwörungstheorie bezwingt der Film. Auch der letzte Akt, in dem man fünf Übriggebliebenen bis zum Showdown mit der Polizei folgt, zeigt die Geschehnisse konsequent aus der Innensicht der Gruppe, ohne sich je mit ihr gemein zu machen. "United Red Army" ist ein Meisterwerk des politischen Kinos und ein Highlight im Berlinale-Forum.
Das ist eines der eindrücklichsten Bilder in Guy Maddins "My Winnipeg" einem komplexen Film-Essay des Regisseurs über seine Heimatstadt, voller Nostalgie und Sehnsucht - der Eröffnungsfilm des diesjährigen "Internationalen Forums des Neuen Films". Die Berlinale, die am Sonntag nach der Verleihung der Goldenen Bären zu Ende geht, ist weit mehr, als das Rennen nach den begehrten Trophäen, erst recht in Jahren wie diesen, in denen der biedere Wettbewerb trotz einzelner starker Filme doch viele Wünsche offen lässt.
Da hält man sich lieber an die Nebenreihen des Panorama und des Forum, wo oft das wildere, gefährlichere, herausforderndere Kino zu sehen ist, zudem Filmwerke, die man wirklich hier sehen muss, weil sie nicht oft den Weg ins normale Kino finden. Das "Panorama" glänzte vor allem durch bekannte Namen und bedeutende Themen. Neben dem Dänen Soeren Kragh-Jacobsen, einst für "Mifune im Wettbewerb gefeiert, der in seinem Film passend zur Francesco-Rosi-Hommage das totgeglaubte Genre des europäischen Politthrillers wieder zum Leben erweckt, war es der französische Film "Coupable" von Laetitia Masson und Kino aus Nahost, das herausstach: Etwa der israelische Film "Lemon Tree" von Eran Riklis. Er zeigt anhand eines Grundstücks neben der Grenze zu Palästina höchst anschaulich das ganze Dilemma des Nahostkonflikts.
Wer aber echte künstlerische Grenzerfahrungen sucht, der muss sich im traditionsreichen Forum umsehen, wo man schon viele Meister der Zukunft entdeckte. Einer der hier besten Filme war der deutsche Film "Nacht vor Augen" von Brigitte Maria Bertele. Die Regisseurin packt ein Tabuthema an: Deutsche Soldaten, die Dienst in Krisenregionen getan haben. Was geht eigentlich in ihren Köpfen vor, wenn sie nach Tod- und Gewalterfahrungen zurück in die friedlich-wattierten Verhältnisse der deutschen Mittelstandsgesellschaft kommen? Die Regisseurin zeigt es am Beispiel von David, der sich nicht mehr in die alten Verhältnisse zurückfinden kann. Ein intensives Heimkehrerdrama und die beklemmend inszenierte Geschichte einer Verstörung.
Einen ungewöhnlichen Blick nach China wirft "Sweet Food City" von Gao Wen-dong. Er zeigt das China abseits von faszinierendem Wirtschaftswunder-Boom und der Exotik alter Kaiserpaläste. Die sexlose Liebesgeschichte zwischen einer Prostituierten und einem Arbeitslosen in einer heruntergekommenen Trabantenstadt wird erzählt als Parabel kleine Hoffnungen inmitten sozialer Ödnis. Halbdokumentarisch inszeniert, gefällt der Film durch nüchterne Beiläufigkeit und viel Gefühl
"Summer Book" vom türkischen Regisseur Seyfi Teoman stellt einen Jungen ins Zentrum. Mit seinen Augen lernt man während der Sommerferien seine Familie kennen - und auf diese Weise auch viel über die ganze türkische Gesellschaft - ein heller Sommerfilm mit Tiefgang.
Die größte Sensation eines starken Forumsjahrgangs war aber der Tribut für den japanischen Regisseur Koji Wakamatsu. Drei ältere Filme des heute 74-jährigen Outsiders wurden gezeigt, darunter sein Klassiker "Secrets behind the Wall", der 1965 auf der Berlinale ausgezeichnet wurde, und in Japan durch seine kraftvolle Kritik an der japanischen Nachkriegsgesellschaft einen großen Skandal verursachte.
Wakamatsus neuester Film heißt "United Red Army" und hatte im Forum Premiere. Das Werk handelt von dem Pendant zur deutschen RAF. Auch der japanische Linksterrorismus entwickelte sich als radikaler Ausläufer der Studenten- und Bürgerrechtsbewegung der Sechziger. In drei Akten zeichnet Wakamatsu ihre Geschichte in einer Mischung aus Spielfilm und Dokumentation nach:
"Ich wollte fair sein. Keiner weiß heute noch, was damals geschehen ist. Wir müssen die Erinnerung wach halten."
Wakamatsus Film startet schnell geschnitten, mit zahlreichen Überblendungen, und präsentiert in einer Stunde die Geschichte der japanischen Studentenbewegung und ihrer Radikalisierung im Schnelldurchlauf. Der zweite Akt beginnt am 1. Januar 1972. Auf einer Hütte in den verschneiten Bergen bereiten sich knapp 30 Angehörige der Untergrundgruppe "Vereinte Rote Armee" zum Kampf gegen das Kaiserreich vor. Schnell eskaliert die Gruppendynamik dieser Isolierten zur Selbstkritik mit tödlichen Folgen, der 14 Menschen zum Opfer fallen.
Vor allem als Psychogramm einer Gruppe von Eingeschlossenen, als Untersuchung über Klaustrophobie und Verschwörungstheorie bezwingt der Film. Auch der letzte Akt, in dem man fünf Übriggebliebenen bis zum Showdown mit der Polizei folgt, zeigt die Geschehnisse konsequent aus der Innensicht der Gruppe, ohne sich je mit ihr gemein zu machen. "United Red Army" ist ein Meisterwerk des politischen Kinos und ein Highlight im Berlinale-Forum.