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Außereuropäisches Kulturerbe

Buddhistische Klöster in Laos, Thailand und anderen südostasiatischen Ländern bergen einen großen Schatz: Tausende wertvolle Handschriften. Die meisten der alten Originaltexte lagern jedoch von Mönchen und Gläubigen unbeachtet in Holzkisten. Nicht selten sind sie verstaubt, angeschimmelt oder von Mäusen und Termiten angefressen. In den 70er Jahren hielt sich Prof. Harald Hundius, der heute an der Universität Passau lehrt, im Rahmen einer Forschungsarbeit in Thailand auf und stieß dabei zum ersten Mal auf die alten buddhistischen Schriften. Seither lassen sie ihn nicht mehr los. Seit 1992 leitet er ein deutsch-laotisches Projekt, das die Handschriften vorm Zerfall bewahren und ihre Existenz wieder publik machen will. Zweimal im Jahr, in den Semesterferien, hält Harald Hundius sich für längere Zeit in Laos auf, um das Palmblatt-Projekt zu leiten:

Von Katharina Borchardt |
    In der übrigen Zeit haben die Laoten in eigener Verantwortung und in eigener Regie die Klöster besucht und dort die Texte gesichtet, gereinigt, geordnet und bibliographisch erfasst und dann vorgemerkt für Mikroverfilmungen, wenn es sich um kulturgeschichtlich bedeutende Manuskripte gehandelt hat. Das Team, es ist ein so genanntes mobiles Einsatzteam von drei Hauptkräften, also drei Laoten: ein älterer laotischer Gelehrter, der sich in der Literatur gut auskennt, die Texte eben sehr gut identifizieren kann, und zwei Gehilfen, die dann von freiwilligen Helfern in Klöstern, in den Dörfern unterstützt worden sind.

    Die Texte sind oft mehrere hundert Jahre alt und in die Palmblätter eingeritzt. Die Herstellung dieser Blätter war aufwändig: 5 bis 6 Wochen dauerte es, bis die Mönche die Palmblätter gesammelt, das innere Stück des Blattes herausgeschnitten und diese Stücke dann getrocknet, ausgekocht und gepresst hatten. Erst dann konnten sie Buchstaben in die bearbeiteten Blätter einritzen. Die fertigen Texte wurden mit Bändern zusammen gebunden, so dass der Mönch, der in ihnen las oder aus ihnen vorlas, die Blätter wie ein Buch mit mehreren Seiten bequem in der Hand halten konnte.

    Das Gros der Texte in den buddhistischen Klöstern hier in Südostasien besteht aus religiösen Schriften. Das ist ja kein Wunder, dass zuallererst das Wort Buddhas in diesen Schriften überliefert wird seit alter Zeit. Die Handschriften selber wurden über Jahrhunderte fortlaufend abgeschrieben – und zwar kann man unterscheiden zwischen den kanonischen Schriften, die also in den anderen buddhistischen Ländern ebenfalls anzutreffen sind – das sind vor allen Dingen Sri Lanka, Birma, Thailand und Kambodscha und zwischen außer-kanonischen Überlieferungen, die wahrscheinlich lokalen Ursprungs sind. Diese Texte sind natürlich besonders interessant hinsichtlich der kulturellen Merkmale, die typisch sind für diese Region, für das, was man früher Hinterindien nannte, heute Festlandsüdostasien.

    Neben reinen Abschriften bereits bekannter religiöser Texte oder durch die Erzähltradition überlieferter Geschichten bergen die Handschriften möglicherweise noch einige Überraschungen für die Wissenschaft:

    Wir haben eine ganze Reihe sehr, sehr seltener Texte wieder entdeckt, zum Beispiel mehrere Fassungen der Sammlung der apokryphen 50 Dschatakas, das ist eine sehr berühmte Sammlung von Geschichten aus den früheren Existenzen des Buddha, deren Ursprung in Chiang Mai vermutet wird und die in der Region selbst, in Nord-Thailand, heute nur noch in wenigen Fragmenten auffindbar ist. Und dann gibt es noch eine ganze Menge andere, viele auch in Pali, in der heiligen Sprache des Buddhismus abgefasste Texte, historische Geschichten, Legenden und auch lokale Chroniken, die hier die lokale Geschichte von Nord-Thailand und von Laos beleuchten.

    Das auch heute noch verbreitete Erzählen der Legenden bei Festen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Interesse an traditionellem Wissen nicht mehr allzu groß ist. Von den französischen Kolonialherren lernten die Laoten im 20. Jahrhundert, dass ihre Sprache weniger wert sei als die französische. Mit der politischen Machtübernahme der Kommunisten im Jahre 1975 wurde dann die religiöse Kultur als Opium fürs Volk deklassiert. In den letzten 10 Jahren nun hat sich das zuvor recht abgeschlossene Laos der globalisierten Welt geöffnet. Seither will jeder das stupide Fernsehprogramm aus Thailand sehen und Englisch lernen – wieder nicht die besten Voraussetzungen für ein Aufleben der Beschäftigung mit überliefertem Wissen, wie es die Palmblatt-Schriften vermitteln könnten.

    Damit dieses Wissen aber nicht verloren geht, hat das Palmblatt-Projekt in den vergangenen zehn Jahren den Schriftbestand in 830 laotischen Klöstern gesichert. Das Projekt geht nun in seine Endphase. Damit auch der Bestand von den knapp 2.000 weiteren Klöstern in Laos, die bislang nicht berücksichtigt werden konnten, nicht verloren geht, wurde mit größeren Klöstern vereinbart, dass diese den kleineren bei der Restaurierung und Erfassung der Texte in Zukunft zur Seite stehen sollen. Außerdem soll ein internationaler Kongress Anfang nächsten Jahres in Vientiane die Bedeutung der Originale beleuchten. Damit beginnt dann das, was mit den Handschriften europäischer Klöster bereits seit langem geschieht: die wissenschaftliche Auswertung und speziell für Laos auch die Erforschung der Geschichte, Kultur und Religion eines bislang wenig beachteten Landes.