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Außergewöhnliche Rekordflut bei Schwimm-WM

Bei der Schwimm-WM in Rom hat der deutsche Schwimmer Paul Biedermann zwei beeindruckende Weltrekorde aufgestellt. Dank seines High-Tech-Schwimmanzuges? Etwa dank lascher Dopingkontrollen? Sicher ist: In Rom werden so viele Rekorde aufgestellt wie noch nie.

Von Jens Weinreich | 29.07.2009
    Vor zwei Jahren in Melbourne standen am Ende der Schwimm-WM 15 Weltrekorde – das war schon viel. Rom aber toppt das Ganze noch: Nach nur der Hälfte der Wettbewerbe verzeichnet die Halbzeitbilanz schon 22 Weltbestzeiten. Unglaublich mutet dabei die Leistung des Chinesen Zhang Lin über 800 m Freistil an, der die alte Bestmarke um 6,53 Sekunden unterbot. Die Hightech-Schwimmanzüge, die ab 2010 wieder verboten werden, sind ein Grund für die explodierenden Leistungssteigerungen. Ein anderer könnten die laschen Dopingkontrollen sein, die auch den deutschen Doppel-Weltmeister Paul Biedermann in Erklärungsnot bringen.

    Paul Biedermann hat oft damit kokettiert, dass er besser trainieren können und noch schneller sein werde, wenn er daheim endlich eine moderne Halle habe. Die Startblöcke in der Anlage in Halle an der Saale sind schon 40 Jahre alt, hat er moniert. Nun, demnächst bekommt er seine neue Halle. Wer allerdings denkt, dies sei ein Geschenk der Stadt für seine beiden Weltmeistertitel und Weltrekorde, irrt sich. Die Entscheidung über den Bau der Schwimmhalle steht schon lange fest – die Anlage wird vom Bundesinnenministerium aus Mitteln des Konjunkturpakets II gebaut. Parlamentarischer Staatssekretär im BMI und Präsident des Biedermann-Vereins SV Halle ist übrigens Christoph Bergner (CDU) in Personalunion. Aber das nur am Rande. Die Schwimmwelt verhandelt derzeit nicht derartige Interessenskonflikte, sondern die Frage: Warum ist dieser Biedermann so verdammt schnell?

    Liegt das wirklich nur am mit Polyurethan beschichteten Hightech-Schwimmanzug, den Biedermann nur noch bis Ende des Jahres tragen darf, was er übrigens ausdrücklich begrüßt?

    Sein Trainer Frank Embacher sagt, der Anzug habe über die 200 Meter etwa 1,5 Sekunden Zeitvorteil im Vergleich zum 13-maligen Olympiasieger Michael Phelps gebracht. Der langjährige Bundestrainer Manfred Thiesmann schätzt gar rund eine halbe Sekunde pro 50-m-Bahn Zeitvorteil. In Rom wurden zur Halbzeit der WM schon 22 Weltrekorde pulverisiert. Nur noch eine Bestmarke, die über 1500 Meter Freistil der Männer, wurde nicht mit neuem Material aufgestellt.

    Bei seinem Europarekord im Juni bei der Deutschen Meisterschaft in Berlin ist Biedermann noch in einem alten Anzug gekrault. Normalerweise gilt als Faustformel eine Steigerung von rund zwei Prozent bis zum Saisonhöhepunkt. Darauf ist Schwimmtraining angelegt. Das wären schon zwei Sekunden über die 200 Meter von Berlin bis Rom – den Rest macht der Anzug. Ist das wirklich so einfach? Die Athleten liegen hoch im Wasser und können ihre Kraft voll auf den Vortrieb konzentrieren. Es ist eine völlig neue Art des Schwimmens, eine unnatürliche. Viele Athleten legen extrem an Muskelmasse zu.

    "Man geht nicht unter",

    sagt Biedermann.

    "Schwimmer-Körper werden in geschmeidige Kajaks verwandelt",

    schreibt die "New York Times". Die italienische Zeitung "Il Giornale" vergleicht den 22-jährigen Biedermann mit der Comic-Figur Hulk:

    ""Er ist physisch ein Gigant. Natürlich gibt es Bedenken","

    notiert das Blatt. Natürlich. Denn die Steigerungen sind märchenhaft. Man weiß allerdings, dass es im Sport keine Wunder gibt. Vieles lässt sich erklären, manchmal erst Jahre später anhand von Dopingproben, Steroid- oder Blutprofilen. Doch derlei Profile, die in anderen Sportarten wie Radsport, Skilanglauf und Eisschnelllauf an der Tagesordnung sind, kennen die Schwimmer nicht.

    Paul Biedermann sagt, er sei allein in diesem Jahr etwa 20 Mal zur Dopingkontrolle gebeten wurden. Belegen kann er diese Zahlen nicht. Die Spurensuche beim Weltverband FINA ergibt lediglich: Biedermann hatte von Dezember 2004 bis Ende 2008 acht Trainings- und drei Wettkampfkontrollen. Das ist wenig. In Deutschland ist er im höchsten Testpool der Nationalen Antidopingagentur Nada angesiedelt. Das heißt: Mindestens sieben unangemeldete Trainingskontrollen und zwei Blutkontrollen pro Jahr. Wie viel es wirklich sind, verraten weder Nada noch der Deutsche Schwimmverband, der durchaus eine Fürsorgepflicht für seinen neuen Starschwimmer hat. Nur die Offenlegung und Dokumentation von Kontrollen und möglichen Profilen schafft Vertrauen. Daran wird sich Paul Biedermann gewöhnen müssen.