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Außerlegales System

Der Zweck die Mittel, zumindest für jene, die derzeit die Weltmacht USA regieren. Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man die gerade erschienene Dokumentation von Stephen Grey: "Das Schattenreich der CIA. Amerikas schmutziger Krieg gegen den Terror" liest.

Von Hans-Peter Riese |
    Die Meldung Anfang Oktober wird in Europa auf wenig Interesse gestoßen sein, vor allem, weil sie mit der Überschrift versehen war: "Bush erringt beim Thema Antiterrorkampf einen Sieg im Kongress". Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein unglaublicher Vorgang. Nachdem der Supreme Court der USA den Häftlingen in Guantanamo das Recht zugebilligt hatte, ihre Haft vor einem ordentlichen Gericht anzufechten, hatte der Senator McCain einen Antifolter-Zusatz zur Verfassung eingebracht.

    Der Sieg des Weißen Hauses besteht nun darin, dass beide Gesetze so verwässert worden sind, dass der Präsident auch weiterhin in seinem so genannten "Krieg gegen den Terrorismus" Methoden anordnen kann, die sowohl amerikanischen Gesetzen als auch internationalen Verpflichtungen der USA eklatant zuwider laufen. Eine dieser Methoden ist die "Überstellung". Dahinter verbirgt sich ein weltumspannender Gefangentransport, organisiert und durchgeführt vom amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA und – natürlich – höchst geheim.

    "Der Begriff ‚Überstellung’ bedeutet in diesem Zusammenhang die Verlegung eines Häftlings durch Agenten von US-Behörden ohne förmliches Abschiebungsverfahren und ohne Gerichtsverhandlung. Ein solches Vorgehen ist nach US-Recht seit etwa 1880 möglich. Das Ergreifen, - 'snatch' - wie es häufig genannt wurde, war jedoch in aller Regel dazu da, einen Häftling für ein Gerichtsverfahren zurück in die USA zu bringen."

    Wir kennen das Verfahren aus Western, in denen US-Marshals die Grenzen zu Mexiko überschreiten, um einen Verbrecher seiner, wie es dann immer heißt, gerechten Strafe zuzuführen. Daraus ist im "Krieg gegen den Terrorismus" allerdings etwas ganz anderes geworden. Unter dem erweiterten Begriff der "Sonderüberstellung" (extraordinary rendition) wurde eine Praxis der weltweiten Verschiebung von des Terrorismus` Verdächtigten etabliert, deren ganzes Ausmaß erst jetzt bekannt wird.

    "Ziel des neuen außerlegalen Systems war es, Häftlinge der Kontrolle durch Anwälte, US-Gerichte und sogar Militärtribunale zu entziehen."

    Der britische Journalist Stephen Grey hat eine Reihe solcher Fälle recherchiert und das ganze Netz an Überstellungen aufgerollt. Dabei kam vor allem heraus, warum diese Gefangenen verlegt wurden und wohin man sie gebracht hat. Beispielsweise den gebürtigen Äthiopier Binyam Mohamed, der im April 2002 in Pakistan verhaftet wurde und heute in Guantanamo inhaftiert ist, wo er erstmalig Kontakt zu einem Anwalt aufnehmen konnte, dem er nach den Stephen Greys Recherchen von seiner "Überstellung" erzählte.

    "Insgesamt war er 18 Monate in Marokko festgehalten worden, fünf Monate in einem CIA-Gefängnis in Kabul und weitere vier Monate auf der Luftwaffenbasis Bagram nördlich der afghanischen Hauptstadt, bevor man ihn schließlich nach Guantanamo Bay brachte."

    Binyam ist nur einer von Hunderten, vielleicht Tausenden von CIA-Gefangenen, die mangels ausreichender Kapazitäten von amerikanischen Spezialisten nicht verhört werden können, und deshalb von der CIA zu Verhören in Gefängnisse überstellt werden, die sich in Ländern befinden, in denen gefoltert wird. Was diesen Männern dort zugefügt wird, lässt einem Schauer über den Rücken laufen. Das Muster ist überall gleich, ob in den berüchtigten Folterkellern Syriens, Marokkos oder Ägyptens – den bevorzugten Verbringungsorten. Binyam erzählte erst in Guantanamo von seinen Leiden in Marokko.

    "Einer der Männer nahm meinen Penis in die Hand und begann ihn anzuritzen. Er machte einen Einschnitt, dann warteten sie einen Augenblick, um zu sehen wie ich reagierte. Ich wand mich vor Schmerzen, weinte und versuchte an mich zu halten, musste aber laut schreien. … Die wiederholten das vielleicht zwanzig oder dreißig Mal in etwa ein bis zwei Stunden. Alles war voller Blut."

    Stephen Grey hat sich einer recht simplen Methode bedient, um das Netz dieser schrecklichen Verschiebungen von Gefangenen, von denen viele unschuldig waren, aufzudecken. Er identifizierte und verfolgte die Flugzeuge, die die CIA – als zivile Maschinen getarnt -, für die Transporte benutzte. Die Spuren waren eigentlich so leicht zu verfolgen, dass sich der Autor manchmal fragte, warum die CIA sie nicht sorgfältiger verwischt hatte.

    Der Grund war wohl, dass der Geheimdienst mit der vollen Rückendeckung der US-Regierung handelte, die sich ihrerseits wenig darum scherte, dass sie fortlaufend sowohl internationales als auch nationales US-Recht brach. Da sich diese Gefangenen-Transporte weltweit abspielten, mussten auch Flughäfen z.B. in Europa benutzt werden. Darunter auch Frankfurt am Main. Grey zitiert einen der amerikanischen Informanten:

    "Bei den Europäern, und insbesondere bei den Deutschen, lief es immer nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Sie kannten keine Details, aber sie wussten, worum es uns ging."

    In Deutschland, wo die CIA-Maschinen nachweislich 94 Landungen durchgeführt haben, erregte aber das US-Gebaren besonderes Aufsehen dadurch, dass ein deutscher Moslem von der CIA auf dem Balkan verschleppt und schließlich in ein Foltergefängnis in Syrien verbracht wurde: Khaled el-Masris. An den Aussagen dieses Mannes kann man besonders genau ablesen, worum es den Amerikanern bei dieser ganzen Aktion ging. Als er im berüchtigten Foltergefängnis in Damaskus ankam, spielte sich dort folgender Dialog ab:

    "Der Verhörbeamte, so Khaled, fing an mich anzuschreien und hat gesagt: ‚Weißt du, warum du hier bist?’ Da habe ich ihm gesagt, das ist eigentlich meine Frage, das wollte ich ja wissen, warum ich hier bin. Da hat er mir gesagt: ‚Du bist hier in einem Land, wo es keine Gesetze gibt. Und keiner weiß von dir, wo du bist. Weißt Du was das heißt?’ Da habe ich gesagt: ja."

    Stephen Grey hat herausgefunden, dass in solche Foltergefängnisse nur relativ unbedeutende Verdächtige überstellt wurden. Die mittlerweile inhaftierten, höheren Verantwortlichen für die Anschläge, etwa die des 11. September, wie Shah Mohammed, werden von CIA-Personal verhört. Seit dem Skandal im Gefängnis Abu Gruahib weiß man außerdem, dass es dort ebenfalls alles andere als rechtsstaatlich zugeht. Mittlerweile haben die USA alle diese Gefangenen nach Guantanamo verlegt. Sie wollen sie dort vor die umstrittenen Militärtribunale stellen. Grey bilanziert nüchtern:

    "Einige Punkte im Zusammenhang mit den Sonderüberstellungen sind zwar noch ungeklärt, aber mittlerweile ist deutlich geworden, dass die Praxis zu den wichtigsten Maßnahmen im Krieg gegen den Terror zählt."

    Zu den herausragenden Merkmalen des amerikanischen Krieges gegen den Terrorismus gehört seit den Anschlägen von New York und Washington, dass die Regierung in Washington offenbar fest davon überzeugt ist, dass mit den normalen, zumal rechtsstaatlichen Methoden des amerikanischen Gerichtssystems dem Phänomen des Terrors nicht beizukommen ist. Kein einziger der im Ausland gefassten Verdächtigen wurde bisher vor ein ordentliches amerikanisches Gericht gestellt.

    Der bedauernswerte Binyam Mohamed war als Helfer von Jose Padilla verhaftet worden, dem zur Last gelegt wurde, eine so genannte "schmutzige Bombe" in den USA zünden zu wollen. Aber genau wegen dieses Deliktes konnte er nicht angeklagt und schon gar nicht verurteilt werden. Er ist amerikanischer Staatsbürger und genießt die Vorzüge des amerikanischen Rechtssystems, sein angeblicher Helfer Binyam nur ein Äthiopier ohne Rechte. Haben diese Verletzungen des Völkerrechtes und – man muss das klar sagen – auch der amerikanischen Verfassung den erwünschten Erfolg gebracht? Grey stellt der Behauptung des amerikanischen Präsidenten, das Terrornetzwerk El Quaida sei seiner wichtigsten Führer beraubt und geschwächt, die nüchternen Zahlen gegenüber.

    "Auf der ganzen Welt ging der Terror dennoch ungebremst weiter. Im Jahre 2005 wurden laut offiziellen amerikanischen Angaben weltweit 5000 Terroranschläge verübt, gegenüber gut 3000 im Jahr 2004. Bei diesen Anschlägen kamen 6728 Menschen ums Leben, und 11.877 wurden verletzt."

    Dennoch: der Einsatz von Folter, davon sind nicht nur Gutmenschen überzeugt, die von Regierungen, gleichgültig welchen Landes, sowieso nie ernst genommen werden, zahlt sich am Ende nicht aus. John McCain, der die nun verwässerte Anti-Folter-Resolution im amerikanischen Senat eingebracht hat, darf da aus eigener Anschauung sprechen. Sechs Jahre mit schwerster Folter hatte er in einem Folter-Käfig des Vietkong verbracht. Wie hat er das überstanden? Man baute, darauf, wie McCain betont,

    "…dass jeder von uns – jeder Einzelne von uns – sich sicher war und große Kraft aus dem Glauben schöpfte, dass wir uns von unseren Feinden unterschieden, dass wir besser waren als sie, dass wir uns im Falle vertauschter Rollen nicht dadurch entehren würden, dass wir dieselben Misshandlungen an ihnen vornehmen oder gutheißen würden."

    Dieses Bewusstsein scheint in den USA unter der Regierung des Parteifreundes von McCain, George W. Bush, und unter dem Schock des 11. September verloren gegangen zu sein.

    Stephen Grey: Das Schattenreich der CIA. Amerikas schmutziger Krieg gegen den Terror. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006, 432 S., 17,90 Euro, ISBN 10: 3-421-04226-8, ISBN 13: 978-3-421-04226-2