Donnerstag, 18. April 2024

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Ausstattungsoper höheren Grades

Sie hat schon was, die Grundidee des Regisseurs Laurent Pelly: Die alte Geschichte von Eroberung und Liebe zwischen Julius Cäsar, der ägyptischen Königin Kleopatra und ihrem Bruder Ptolemäus, sie spielt im Depot eines Museums.

Von Christoph Schmitz | 18.01.2011
    Archivare von heute hüten dort Skulpturen der ägyptischen und römischen Antike. Die Steinplastiken historischer Figuren werden plötzlich lebendig. Sie streifen den Staub von sich und spielen ihr altes Drama unter den Augen der immer erstaunteren Depotarbeiter. Die Pariser Oper hat viel Geld, und so sieht es auf der Bühne wirklich aus wie in den Magazinen eines Louvre. Pharaonen, Sphinxe, Katzen, Obeliske, Säulen und römische Feldherrn und Kaiser wie Julius Cäsar und Pompeius stehen und liegen eingewickelt oder sichtbar auf Paletten und in raumhohen Stahlregalen. Dort werden sie von emsigen Arbeitern hin- und hergeschoben und restauriert.

    Gleich zu Beginn beim Jubelchor auf den siegreichen Cäsar fängt eine Riege steinerner Denkerbüsten an zu singen. Dieser Abend soll lustig werden, ist das Signal. Regisseur Laurent Pelly und seine Ausstatterin Chantal Thomas nehmen Händels Eroberungs- und Liebesdrama komödiantisch, was dem Schmerzpotenzial der Oper nicht so gut bekommt. Das Mitleiden hält sich in Grenzen. Natalie Dessay als Kleopatra gibt den Bühnenzampano. Sie hüpft und tanzt wie ein Showgirl über die Riesenskulpturen, spinnt als raffiniertes Biest ihre Machtintrigen, um den Bruder vom Thron zu schubsen. Natalie Dessay ist ein quirliges Energiebündel. Ihre Bewegungen pulsieren nur so vom Rhythmus der Musik. Ihr klarer, tänzerischer Sopran vermag aber auch im Largo den ganzen Saal in ihren Bann zu ziehen, wenn Kleopatra den Tod ihres geliebten Cäsar fürchten muss.

    "”Se pietá di me non sinti, giusto ciel io moriò.”"

    Die große Überraschung des Abends ist die Mezzosopranistin Isabel Leonard in der Rolle von Pompeius Sohn Sextus mit dunkelsamtiger Stimmtönung. Doch so schön sie singt, so zeigt sich bei ihren, aber auch bei sämtlichen Arien aller Solisten immer wieder eine große Schwäche der Inszenierung: Diese langen Partien des Kunstgesanges mit den zahlreichen Wiederholungen sind szenisch nicht gestaltet. Sie werden ausschließlich mit ewigem Schwerter Ein- und Auspacken oder alpiner Skulpturenkletterei überbrückt. Das ist umso ärgerlicher, als Händel die reine Nummernoper teils überwunden und ein wirkliches Drama komponiert hat. Dabei steht Pelly mit den Gesangssolisten auch ein vortreffliches Schauspielerensemble zur Verfügung. Darunter Christophe Dumaux als katzenhafter Ptolemäus. Athletisch springt er herum und nimmt als Countertenor mühelos die diese Rolle kennzeichnenden Intervallsprünge.

    "Tolmeo: "L’empio, sleale, indegno vorria rapirmi il regno, e disturbar così la pace mia.""

    Das Drama der Geschichte ereignet sich trotz sängerischer Schauspielkunst und opulentem Requisitenreichtum vor allem in der Musik. Zu danken ist dies Emmanuelle Haïm, Dirigentin, Cembalistin, Leiterin und Gründerin des Alte-Musik-Ensembles Concert d’Astrée. Dabei geht Haïm die Sache gar nicht mal so musikantisch, zupackend und robust wie Altmeister René Jacobs an. Zur rhythmischen Prägnanz kommt bei ihr eine lyrische und melodische Formgebung. Den langsamen Schmerzensduktus und die Ritardandi kostet Haïm fast bis zum musikalischen Stillstand aus. Und kunstvoll verwebt sie den Sologesang mit den Girlanden der Soloinstrumente. Damit ist dieser Händel ja reich ausgestattet ist. Wie hier, wenn Cäsar die Begegnung mit Kleopatra erwartet und von paradiesischen Gefilden träumt.

    "Cesare: "Se in fiorito ameno prato l’augellin tra fiori e fronde si nasconde, fa più grato il suo cantar.”"

    Lawrence Zazzo als Julius Cäsar ist ein außerordentlich subtiler Künstler. Fein ziseliert sind seine Gesangslinien. Doch leider wird man trotz aller künstlerischen Qualitäten, üppiger Bühne und gewitztem Konzept nicht froh mit dieser Arbeit. Und das nicht nur wegen des szenischen Vakuums bei den Arien und des Komödiendrucks. Vor allem deswegen nicht, weil die Interaktion zwischen der alten Geschichte um Cäsar und Kleopatra und den heutigen Museumsarbeitern nicht wirklich in ihren Möglichkeiten ausgelotet wird. Die Heutigen werden zwar nach und nach vom Geist der Historie berührt, aber zu einem fantastischen Spiel, einem tanzenden Kosmos aus Gegenwart und Vergangenheit kommt es nicht. Pelly bleibt letztlich in einer Ausstattungsoper höheren Grades stecken.