Dienstag, 07. Mai 2024

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Ausstellung "Degas in der Oper"
Mehr als nur der Ballettmaler

Der französische Maler Edgar Degas war Naturalist und Impressionist mit einem Lieblingsthema: die Pariser Oper. Mit Genauigkeit und bildnerischer Varianz widmete er sich dem Leben neben und hinter der Bühne. Nun zeigt eine Ausstellung im Pariser Musée d'Orsay die ganze Bandbreite seines Schaffens.

Von Robert Jungwirth | 09.12.2019
    Edgar Degas Bild: "Jeune fille spartiate"
    Edgar Degas Bild: "Jeune fille spartiate" (© RMN-Grand Palais (musée d'Orsay) / Gérard Blot)
    Oben auf der Bühne wirbeln Tänzerinnen in zartrosa und türkisfarbenen Tutus umher, unten im Orchestergraben fiedeln und blasen die Musiker in großer Enge in ihren steifen schwarzen Fräcken. Nicht das Geschehen auf der Bühne ist im Zentrum des Bildes - man sieht von den Tänzerinnen nur Beine und Röcke -, sondern die vor sich hinwerkelnden Musiker an Flöten, Geigen, Celli und Kontrabässen. Jeder Musiker ist individuell porträtiert – mal angestrengt, mal genießerisch, aber immer konzentriert auf die Noten blickend. Edgar Degas macht sie - die unscheinbaren und fast unsichtbaren Musiker in der Oper - in seinem Bild von 1870 zu den Hauptdarstellern.
    Während vieler Jahre war der Maler Edgar Degas mehrmals in der Woche zu Besuch in der Pariser Oper. Er liebte die Musik und den Tanz, aber er liebte auch das Geschehen neben und hinter der Bühne, die Oper als Gesamtkunstwerk inklusive der Zuschauer, die er ebenfalls porträtierte. Als Abonnent hatte Degas auch Zutritt zu den Probenräumen, zur Bühne und zu den Balletträumen. So entstanden von 1860 bis zu seinem Tod 1917 zahllose Zeichnungen, Öl- und Pastelbilder aus den verschiedenen Bereichen der Pariser Oper. Edgar Degas war eben nicht nur der Ballettmaler, als den man ihn gemeinhin kennt. Während seine impressionistischen Kollegen Manet, Monet oder Pissarro nach draußen in die Natur drängten, suchte und fand er seine Motive in der Pariser Oper.
    Eine Welt der Formen, der Musik und der Sinne
    Degas hat sich aus verschiedenen Gründen für die Welt der Oper interessiert. Zum einen ist er in einem musikalischen Umfeld aufgewachsen. Sein Vater war ein großer Musikliebhaber. Diese Vorliebe hat sich auf Edgar Degas nicht nur durch seinen Vater übertragen, sondern auch durch die Musiker und Sänger, die in seinem Elternhaus ein- und ausgingen. Der kleine Edgar wurde oft in die Oper mitgenommen. Diese überwältigende Ausdruckskraft der großen französischen Oper der damaligen Zeit faszinierte ihn: die pompöse Bühnenausstattung, die vielen Menschen auf der Bühne, die Sänger, die Balletttänzer. All das zusammen genommen hat eine starke Anziehungskraft auf den jungen Mann ausgeübt. Für ihn als angehenden Künstler gab es in dieser Opernwelt viel zu entdecken. Sie bestand auf der einen Seite aus Dekor und Bühnenbild. Dahinter jedoch fand das andere, das reale Leben mit all seinen Problemen und Täuschungen statt. Hier eröffnete sich ihm eine ganze Welt – eine Welt der Formen, der Musik und der Sinne. Das alles ließ sich immer wieder neu darstellen und gestalten. Deshalb wurde die Oper zu Degas Passion.
    Marine Kisiel ist die Kuratorin der Ausstellung "Degas in der Oper" im Pariser Musée d’Orsay. Rund 200 Bilder, Zeichnungen und Skulpturen hat sie für die Ausstellung zusammengetragen. Viele stammen aus Museen in den USA, einen großen Bestand hat freilich auch das Musée d’Orsay selbst. Die Oper von Paris war im 19. Jahrhundert das kulturelle und auch gesellschaftliche Zentrum der Stadt.
    Einfühlungsvermögen in Gefühle und Stimmungen
    Ihre Ausstrahlung erstreckte sich über ganz Europa. Wer es auf dem Gebiet der Oper zu etwas bringen wollte, der musste in Paris Erfolg haben – Rossini gelang dies, Wagner nicht. Degas liebte die Grand Opera, deren erfolgreichstes Werk Meyerbeers "Robert le diable" mit vielen hundert Aufführungen war, und er liebte das Ballett. Das berühmte Nonnenballett aus "Robert le diable" malte Degas ebenso wie eine Hommage an die Tänzerin Eugenie Fiocres – ein geradezu symbolistisches Gemälde, das eine Szene aus dem Ballett "La Source" von Leo Delibes zeigt, jedoch so wie sie sich Degas vorstellt mit einem Pferd und barfuß im Fluss badend. Die Ballettschuhe liegen neben der Tänzerin. Was man auf den millionenfach reproduzierten Ballettbildern Edgar Degas nicht wirklich wahrnimmt, aber in der Ausstellung sehr gut beobachten kann, ist die Exaktheit der Porträts, das Einfühlungsvermögen in Gefühle und Stimmungen der Tänzerinnen.
    "Im 19. Jahrhundert und auch heute gilt Degas als der Maler der Tänzerinnen. Wenn man an diese Tänzerinnen denkt, kommen einem sofort die außerordentliche Schönheit, die Anmut und die Leichtigkeit in den Sinn. Diese Ballettszenen sind von einer großen Intensität. Degas hat hier sehr genau gearbeitet, weil er nicht nur an der Schönheit und der Anmut interessiert war, sondern überhaupt an der Oper und am Tanz ganz allgemein. Über bestimmte Blicke oder ungewöhnliche Bewegungen hinter oder auf der Bühne hat Degas Figuren und Situationen ins Bild gerückt wie kein anderer Maler sonst. So kann man auf einem Bild zum Beispiel einen Abonnenten im schwarzen Frack erkennen, auf einem anderen die Mütter der Tänzerinnen im Probenraum. Degas zeigt uns also nicht nur die Welt auf der Bühne, sondern auch die Welt des Übens und der Proben – eine sehr viel grausamere und trivialere Welt", sagt Kuratorin Marine Kisiel.
    Und Degas zeigt auch, was damals Teil der Oper war, dass manche dieser Abonnenten im noblen Frack sich diesen Balletttänzerinnen mit eindeutigen Absichten annäherten.
    Junge Frauen, die hart arbeiten mussten
    "Die Abonnenten in ihren Smokings, die teils als Beschützer auftreten und sich teils wie Raubtiere gebärden. Degas ist also nicht davor zurückgeschreckt, die Tänzerinnen auf seinen Bildern als Prostituierte darzustellen, die manchmal auch von ihren eigenen Müttern dazu gemacht wurden. Er zeigt uns, dass diese Mädchen zu Opfern eines Systems wurden, das nicht allein der Anmut und der Schönheit diente. Man konnte diese Welt auf unterschiedliche Weise erleben. Dégas hat hier etwas deutlich gemacht, vielleicht hat er sogar manches aufgedeckt. Natürlich nicht so, wie man heute etwas aufdeckt. Er war ja keine NGO oder eine Partei. Aber immerhin hat er etwas öffentlich gemacht, was bis dahin noch nie gezeigt worden war. Seine Bilder zeigen keine Nymphen oder Göttinnen, sondern junge Mädchen, die hart arbeiten und sich teilweise prostituieren mussten."
    Für Degas bildete die Welt der Oper eine Art Mikrokosmos des menschlichen Lebens, dem er sich mit nie versiegender Neugierde und Hingabe widmete, der ihn auch zu immer wieder neuen Gestaltungstechniken und Blickwinkeln animierte. Faszinierend ist es zu sehen, mit welcher Genauigkeit und bildnerischen Varianz er sich dem Leben auf, neben und hinter der Bühne widmete – ob in Bleistift- oder Kohlezeichnungen, Ölgemälden oder den berühmten Pastellbildern, die Degas ab den 1870er-Jahren malte, da er damit schneller als mit Öl seine Eindrücke umsetzen konnte.
    "Degas drückt sich über seine Malerei und seine Zeichnungen aus. Er verwendete sehr viel unterschiedliche Techniken. Das zeigen wir in der Ausstellung in dem Bereich "Technisches Labor". Er hat sich im Hinblick auf seine Darstellung der Opernwelt mit der Bildhauerei, mit der Fotografie und mit der Monotypie beschäftigt. Er hat da also sehr viel experimentiert. Auch in Bezug auf Formate. So hat er Fächer bemalt, Seide oder Metall. Er war also ein vielseitiger Künstler. Mit einer solchen Ausstellung kann man die ganze Bandbreite seines Schaffens zeigen. Es ist wirklich faszinierend, auf welch geniale Weise er Formen und Materialien verwendet hat, um zum Beispiel Anmut, Schönheit oder Bewegung auszudrücken."
    So vermittelt die Pariser Ausstellung ein sehr viel differenzierteres Bild des Malers Edgar Degas als man es für gewöhnlich von ihm hat. Die Faszination Oper spiegelt sich in seinem gesamten Œuvre mit einer bildnerischen Meisterschaft, die auch seine Zeitgenossen und später noch zum Beispiel Picasso beeindruckte. Durch seine Studien der Welt der Oper wurde Degas zudem zu einer der wichtigsten Inspriationsquellen für Henri Toulouse-Lautrec, der sich dann freilich einem anderen Genre bevorzugt widmete: dem der Varietés und der Halbwelt.
    Die Ausstellung im Pariser Musée d'Orsay ist noch bis zum 19. Januar 2020 zu sehen.