Dienstag, 16. April 2024

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Ausstellung der Royal Academy
In der Wunderkammer des Henri Matisse

Kakao-Kännchen, verschnörkelte Stühle, afrikanische Masken: Der französische Maler und Bildhauer Henri Matisse war ein leidenschaftlicher Sammler. Zu sehen sind diese Objekte auch auf seinen Bildern - in immer neuen Variationen. Die Royal Academy in London zeigt sie nun in der Ausstellung "Matisse in seinem Atelier".

Von Hans Pietsch | 09.08.2017
    Vor dem Stillleben mit Affodillen von Henri Matisse (1907) steht am Mittwoch (14.12.2011) im Essener Folkwang Museum der "kleine Frauentorso" von Wilhelm Lehmbruck (1910). Unter dem Titel "Im Farbenrausch" startet das Museum im Herbst 2012 eine große Expressionismus-Ausstellung mit etwa 100 Gemälden, darunter Leihgaben aus aller Welt.
    Manche Objekte seiner Sammlung malte Matisse immer wieder. (dpa / picture alliancen / Roland Weihrauch)
    Ein Foto aus dem Jahr 1946 zeigt 40 Objekte - Vasen, Kännchen, Teller, Schalen - auf einem Tisch aufgereiht wie für das Gruppenfoto einer Schulklasse. Auf die Rückseite des Fotos schrieb Henri Matisse: "Objekte, die mir mein Leben lang von Nutzen waren."
    Eines dieser Objekte ist eine grüne Glasvase aus Andalusien, die fast wie eine Flamencotänzerin ihre Arme in die Hüften stemmt. "Vase mit Blumen" von 1924 zeigt sie vor einem Fenster mit Blick aufs Meer. Ein Jahr danach malt Matisse "Safranrosen vor dem Fenster". Die weißen Blumen in der grünen Vase ersetzt er durch eine bunte Mischung, der Tisch, auf dem sie steht, ist etwas verschoben, und weil so, anders als zuvor, von hinten kein Licht einfällt, ist sie nicht mehr durchsichtig.
    Was sah Matisse in seinen Objekten?
    Da ist auch ein silbernes Kännchen auf drei Beinen, mit einem dunklen Holzgriff. Ein Hochzeitsgeschenk, in ihm wurde heiße Schokolade gereicht. Kurz nach 1900 entstehen einige Gemälde mit dem Kännchen als Mittelpunkt, noch mit der Schwere des 19. Jahrhunderts behaftet. Doch dann macht es eine dramatische Wandlung durch - "Interieur mit lesendem jungen Mädchen" von 1905/6 ist ganz in den starken Farben der Fauves gehalten, die sich in der glänzenden Oberfläche des Kännchens spiegeln. Jahre später, 1940, spielt es erneut eine Hauptrolle. Ehe er "Stillleben mit Muschel auf schwarzem Marmor" malt, fertigt er eine Maquette an: eine Leinwand, auf der zwei schwarze Schnüre die Kanten des schwarzen Marmortisches anzeigen, die sechs Gegenstände des Stilllebens sind auf Papier gemalt, ausgeschnitten und mit Stecknadeln befestigt. So kann er sie hin und her schieben - ein erster Schritt in Richtung seiner späten Scherenschnitte.
    Für Kuratorin Anne Dumas ist es wichtig, dass die Objekte nicht als Fotos, sondern leibhaftig neben den Gemälden und Zeichnungen gezeigt werden: "Ich glaube, man bekommt ein Gefühl für ihre Materialität, für ihre Präsenz", sagt die Kuratorin. "Er hat sie immer und immer wieder betrachtet, und so kann man sich, vor dem Objekt, besser vorstellen, was er in ihnen sah."
    Dass es in der Tat hilft, einen Teil seiner, wie er es nannte, "Arbeitsbibliothek" vor sich zu haben, zeigt ein besonders dramatisches Objekt: ein venezianischer Stuhl aus dem 19. Jahrhundert, Sitz und Rückenlehne in Form von Muscheln, die beiden Armlehnen Reptilien. Er liebt es, ist, wie er an einen Freund schreibt, "von ihm besessen". Und er malt es: 1942 noch ganz realistisch, 1946 als zweifarbiges Versatzstück auf "Interieur in Gelb und Blau", und dann im selben Jahr "Rocaille-Stuhl". Da rückt er den Stuhl bis an den Bildrand heran, Sitz und Lehne sind reine Form geworden.
    Afrikanische Kunst belebte seine Malerei
    Die in fünf Sektionen geteilte Schau kommt dann bei der afrikanischen Kunst an, die Matisse sammelte - Holz- und Metallplastiken sowie Masken. Diese Objekte hatten einen anderen Einfluss auf ihn - er lernte von ihrer Abstraktion, so Ann Dumas.

    "Er bewunderte die Energie afrikanischer Kunst, die Verzerrungen, die Fähigkeit der Künstler, die Stärke eines Materials wie Holz zu erkennen", so Dumas. "Für ihn war es ein Weg, die westliche Tradition zu überwinden, die er für kränklich hielt. Afrikanische Kunst belebte seine eigene Kunst."
    Die Wucht der afrikanischen Figuren scheint in seinen weiblichen Akten durch, die formale Qualität der Masken färbt auf die Gesichter der Porträts ab. Eines der schönsten Beispiele dafür ist "Marguerite" von 1906/7. Es zeigt seine 13-jährige Tochter, sein Freund Pablo Picasso kaufte das Bild und hängte es in seinem Atelier neben eine Maske aus Gabon.
    Die beiden letzten Räume gehören nordafrikanischen Textilien sowie chinesischen Schriftzeichen. Die durchlöcherten Fensterbehänge mit ihren delikaten abstrakten Mustern tauchen in seinen "Odalisken" der 20er-Jahre auf, ein Paneel mit vier chinesischen Schriftzeichen, das in seinen letzten Lebensjahren über seinem Bett hing, wird mit seinen späten farbigen Scherenschnitten gepaart. "Man muss die Gefühle darstellen, die ein Objekt in einem auslöst", schrieb er.
    Die Ausstellung: Matisse in seinem Atelier ist noch bis zum 12. November zu sehen.