Sonntag, 19. Mai 2024

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Ausstellung
Der Status der Wirklichkeit

Bilder sind längst nicht mehr nur Bilder, sondern Konstruktionen in Raum und Zeit: Videos, Installationen, Environments, Performances, die Grenzen werden immer fließender. Daran arbeitet sich die Ausstellung "Propaganda für die Wirklichkeit" im Leverkusener Museum Morsbroich ab.

Von Georg Imdahl | 01.02.2014
    Die Bilder könnten aus einer jener Talkshows stammen, die täglich überall auf der Welt die Fernsehprogramme füllen. Eine Amerikanerin mittleren Alters schildert die dramatische Geschichte ihres Ehemannes, der 2005 als Journalist im Irak über den Krieg berichtete. Der Mann war hinterrücks erschossen worden, während sich seine irakische Dolmetscherin soeben noch retten konnte. Emotionsgeladen, aber gefasst berichtet die Frau vom Tod ihres Gatten und der Flucht der Übersetzerin von Basra nach New York. Als sie ihre Geschichte zu Ende erzählt hat, wechselt sie ihren Platz mit dem nächsten Talk-Gast, und zur Überraschung des Publikums ist es nun die Moderatorin, die dem neuen Gast dieselbe herzzerreißende Geschichte als ihre Eigene erzählt. Ein Rollentausch, der sich so mehrfach wiederholt und jene Story, die man eben noch als authentisch aufgenommen hat, als fiktiv erscheinen lässt. Wenn nicht gar als Farce.
    Mit seinem Video "Talk Show" schuf der israelische Künstler Omer Fast 2009 eine Parabel über die Verformung und die Verfügbarkeit dessen, was als "Wirklichkeit" gelten kann. Zur Pointe seines Loops zählt die Tatsache, dass die Geschichte, derer sich der Teilnehmer der letzten Documenta bedient, auf einer wahren Begebenheit beruht.
    Der Wirklichkeit und ihrer Wahrnehmung widmet sich eine Gruppenausstellung in Leverkusen mit Arbeiten, die möglichst viele Aspekte dieses Themas abklopfen sollen, wie Stefanie Kreuzer, die Kuratorin der Schau, erklärt. "Die Ausstellung selbst wirft ganz viele Fragen auf, denn wir haben vielleicht eine Idee, wenn wir uns im Alltag bewegen, über einen Konsens von Wirklichkeit, aber sobald wir anfangen, das ein bisschen zu hinterfragen: Wie habe ich Wirklichkeit wahrgenommen, wie verschiebt sich das, wie nimmt ein anderer diese Wirklichkeit wahr oder wie kann ich sie überhaupt erst wahrnehmen? Es ist auch die Frage: Kann ich Wirklichkeit immer nur vermittelt durch bestimmte Medien wahrnehmen? Was leistet das Medium und was kann es nicht leisten? Also auch diese Frage kommt dann ins Spiel."
    Von Alÿs bis Turner
    So versucht sich die Ausstellung an einem breiten Panorama der Gegenwartskunst. Der Maler MichaëlBorremans lässt eine Gruppe von Männern auf eine düstere Modelllandschaft schauen. Ein eher unheilschwangeres Traumbild. Rodney Graham posiert in zwei fotografischen Selbstporträts als Flötist und als Punker, womit er denkbar unterschiedliche Identitäten konstruiert. Bethan Huws wiederum befragt in spröden Schrifttafeln den Realitätsgehalt der Sprache, und Francis Alÿs belebt den Mythos des Sisyphos: In einem kurzen Video von 1997 sehen wir den Künstler, wie er einen Eisblock durch die Straßen von Mexiko City schiebt, bis dieser geschmolzen ist. Was von der körperlichen Arbeit an Mehrwert bleibt, ist am Ende: nichts.
    Die rund fünfzig Werke der 24 Künstler sind über weite Strecken klar und vorteilhaft eingerichtet. Wie die große Sonne, die Paul Pfeiffer in einer raffinierten filmischen Montage zugleich auf- und untergehen lässt. Womit er auf die Malerei des späten William Turner anspielt.
    Doch was in Leverkusen insgesamt an Arbeiten zusammengetragen wird, ist nur ein Bruchteil dessen, was sich in der zeitgenössischen Kunst zum Thema Konfrontation mit der Wirklichkeit einsammeln ließe. Was soll ein vernünftiger Künstler heute auch anderes machen, als sich mit der Realität auseinanderzusetzen? So philosophisch sich die Schau in ihrer Begründung geriert, so unbestimmt bleibt ihr Begriff von Wirklichkeit. Diese steht letztlich in erhabener Allgemeinheit für alles und nichts: für die Schönheit der Natur wie für die Vergeblichkeit menschlichen Tuns, für den surrealen Charakter der Dinge wie für die Manipulation des Sichtbaren. Genau hier liegt der Schwachpunkt der Schau. Sie müsste sich stärker auf einzelne Aspekte der zahlreichen Realitätsebenen konzentrieren, um sich selbst ein Profil zu geben. So bleibt der Erkenntnisgewinn, von dem im Katalog so viel die Rede ist, vage und begrenzt.