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Ausstellung
Gerhard Seyfried im Caricatura-Museum

Gerhard Seyfried gilt als Star des deutschen Underground-Comics. Seit Anfang der 1970er begleitet und inspiriert er die deutsche Protestkultur zeichnerisch. Das "Caricatura"-Museum für Komische Kunst in Frankfurt am Main widmet ihm nun eine Ausstellung - die nach seinen Angaben - "größte und schönste", die er je hatte.

Von Peter Backof | 25.09.2015
    Gerhard Seyfried
    Gerhard Seyfried (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Na bitte. Geht doch. Die kapitale Skyline der Frankfurter Bankenwelt bröckelt und stürzt ein. Zumindest auf dem Plakat zur Ausstellung, die schlicht und markant "Seyfried" heißt, wenige hundert Meter Laufweg von den echten Wolkenkratzern entfernt, in der Caricatura. Ein düsteres Rumpelstilzchen von Gestalt räumt in Frankfurt mal so richtig auf.
    "Das ist Zwille. Meine zentrale Comicfigur sozusagen, durch und durch anarchistisch. Hier agiert er ein bisschen grobmotorisch gerade."
    Das Euro-Wahrzeichen flüchtet Hals über Kopf vor Zwille in seinem schwarz-roten Autonomen-Dress.
    Keine Demo ohne Zwille
    "Ja, das tut´s auch besser, weil er drauftreten will."
    Keine Demo ohne Zwille: Die Figur ist ein Alter Ego von Gerhard Seyfried und entstand als Sponti mit Post-68er Spirit in München, etwa 1973. Dann ging die Reise über Gorleben und Wackersdorf – Ortsnamen, die sofort an Protestzüge denken lassen - nach Berlin Kreuzberg, Seyfrieds, inzwischen langjährige Heimat.
    "Ich bin natürlich ein politischer Zeichner, immer schon, seit Anfang der Siebziger, in der Münchner Zeit."
    Als er für "das Blatt", das wohl erste deutsche alternative Stadtmagazin zeichnete, das auch …
    "…durch und durch anarchistisch war und unendlich Ärger mit den Behörden hatte, also es kam immer zu Beschlagnahmungen, Hausdurchsuchungen. Da habe ich angefangen, mich gegen die Polizei zu wehren mit meinen Zeichnungen, die lächerlich zu machen."
    Das Cover zu dem Comicband "Freakadellen und Bulletten" destilliert – oder frittiert - das heraus: Da sind zwei Imbissbuden aufgestellt, links gibt es internationales Fingerfood für Freaks, die wie auf Droge "tierisch abgehen" und rechts: Gedrungene deutsche Bulletten für Polizisten, die entsprechend auch aussehen: Du bist, was du isst!
    Punker oder Popper
    Das Weltbild war früher bipolar, in den 1970ern und 80ern.
    "Wo die Fronten auch klar waren. Da war man eben Freak oder Bulle."
    Punker oder Popper, entschieden für oder gegen etwas. Das fällt an Gerhard Seyfrieds Comics und Karikaturen gleich auf: Sie erfassen den Zeitgeist und seinen Wandel im Lauf der Jahrzehnte. Aus heutiger Sicht stimmt das oft nostalgisch.
    Wir sind auf einer Demo für die "AL", sagt sich eine Horde Demonstranten, aber "AL", was ist das noch mal? Und dann kommen zehn Interpretationen, für AL, die Alternative Liste, Vorgänger der Grünen. "AL", das heißt: Armer Lenin, Armer Lummer, Adieu Luxus oder – wie ein Dreijähriger, der noch kein "R" aussprechen kann, beisteuert: "Aaaaa-Loch" - die Sprechblaseninhalte sind oft echt, selbst erlebt und auch die Polizeisternsammlung, die Gerhard Seyfried angeblich besitzen soll, gibt es. Wo bitte bekommt man Polizeisterne her?
    "Auf Demos, wo sonst. Die meisten sind selbstgepflückt, das ist Voraussetzung für die Polizeisternsammlung."
    Seyfried bedient einige Genres
    Umso mehr sticht in der Frankfurter Werkschau dann ein Plakat für die Polizei heraus: Porträt der Kiezpolizei Berlin, Abschnitt 53, gezeichnet als Knubbelmännchen, die mit Strafzetteln Karten spielen. Die Polizei hatte angefragt und Seyfried hatte sich auf diese Image-Kampagne "Mehr Grün auf die Straße!" in den 1990ern gerne eingelassen. Radikal verhärtet oder ideologisch aufgeladen sind die Fronten im Verlauf seiner Karriere längst nicht mehr. So wie er auch inzwischen als Autor heute dem Anarcho-Comic zum Teil entwachsen ist und in Frankfurt aus seinem neuen Roman "Verdammte Deutsche" über die Entstehung des britischen Geheimdiensts MI 5 lesen wird.
    Seyfried bedient einige Genres. Von der blödelnden Karikatur, über den präzise recherchierten politischen Roman bis zur Graphic Novel. "Kraft durch Freunde" heißt, ziemlich lapidar, eine Arbeit zusammen mit Ziska Riemann. Über: Facebook!
    "Es geht um diese ganze Ausschnüffelei. Der ist von 2010 als das noch gar nicht so bekannt war, wie die Leute ausspioniert werden. Der kam ein bisschen zu früh raus. Die Botschaft ist: Fälsch deine Daten!"
    In der Ausstellung sehr gut gelöst. Wir sehen die Story abgefilmt und vertont auf einer Screen - Seyfrieds Stil, in Wimmelbildern Inhalte, Ansichten zu verdichten. Ansonsten sind Comics ja oft schwer ins Museum zu bringen. - Wer will schon stundenlang lesen? Am meisten imponiert, wie hier Zeitgeist über die Jahrzehnte eingefangen ist. Vom Gefühl der 70er, unter den Notstandsgesetzen zu leben über Innenansichten der alljährlichen Krawalle am 1. Mai bis zu Angela Merkels abgehörtem Handy.
    "Ich bin dankbar für unsere dummen Politiker, die mir jede Menge Stoff liefern."
    Ach ja, und Merkel, neuerdings "Flüchtlings-Mutti", das wäre auch noch mal etwas für Seyfried.