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Ausstellung im Freud-Museum London
Freuds Couch analysiert

Die Idee, mit den heutigen Mitteln der Forensik den ikonischen Gegenstand der Psychoanalyse, Freuds originale Couch, untersuchen zu lassen, ist wunderbar doppelbödig und nicht frei von Ironie. Genau dies haben die Konzeptkünstler Adam Broomberg und Oliver Chanarin jetzt in London getan.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 19.10.2015
    Porträt von Sigmund Freud (1856 - 1939)
    Porträt von Sigmund Freud (1856 - 1939) (imago)
    Die berühmteste Couch der Welt steht im Erdgeschoss, gleich im ersten Raum rechts, wenn man den Flur betritt. Sigmund Freud hatte sie 1890, als er noch jung und ziemlich mittellos war, von einer Gönnerin geschenkt bekommen. Seitdem begleitete die Couch seinen Lebensweg. In der Wiener Berggasse legte er seine Patienten darauf, und bei seiner Flucht vor den Nazis nahm er das Möbel nach London mit. Dort, im nördlichen Stadtteil Hampstead, kann sie von Besuchern seines zum Museum umfunktionierten Hauses besichtigt werden – mitsamt der ebenfalls seit ewigen Zeiten darauf liegenden Persianer-Decke.
    Um diese Decke geht es bei dem jüngsten der mittlerweile zur Tradition des Hauses gehörenden Kunstprojekte. Immer wieder lädt das Freud-Museum Künstler zu Ausstellungen und Aktionen ein, diesmal das Londoner Duo Broomberg und Chanarin. Adam Broomberg und Oliver Chanarin arbeiten seit einem Vierteljahrhundert zusammen, sie stammen beide aus jüdischen Familien in Südafrika; kennengelernt haben sie sich in einem südafrikanischen Ort namens Wupperthal. Ihre meist fotografisch grundierten oder inspirierten Arbeiten sind mittlerweile in großen Kunstsammlungen weltweit vertreten und wurden schon in vielen internationalen Ausstellungen gezeigt.
    Verborgenes, Verdrängtes aufspüren
    Ein Grundzug ihrer Werke ist dabei der Recherche-Gestus: etwas Verborgenes, Verdrängtes aufspüren, das kommt der Psychoanalyse, mit der sie auch selbst Erfahrung haben, durchaus nahe. Und so haben sie sich Sigmund Freuds Couch vorgenommen, beziehungsweise die Persianer-Decke. – Adam Broomberg:
    "Wir konnten das beste Spurensicherungsteam von England gewinnen. Die machen nur ganz besonders schwierige Fälle. Sie waren ganz froh, es mal nicht mit Leichen zu tun zu haben. Was ich toll fand, war, dass sie Sigmund Freuds Büro als Tatort behandelt haben: Alles wurde abgesperrt und dann arbeiteten sie in weiße Anzügen eingepackt von Kopf bis Fuß. Sie nahmen auch DNA-Proben von Oliver und mir, um unsere eigenen Spuren auszuschließen."
    Wir sind keine Wissenschaftler
    Die Idee, mit den heutigen Mitteln der Forensik den ikonischen Gegenstand der Psychoanalyse, Freuds originale Couch, untersuchen zu lassen, ist wunderbar doppelbödig und nicht frei von Ironie. Zum einen kann man sich als Freud-Leser natürlich eines gewissen boulevardesken Sensationsinteresses kaum erwehren, wenn es darum geht, Spuren der weltberühmten Patienten des Professors, etwa Doras oder des Wolfmannes, zu finden: Ein Haar, eine Hautschuppe, ein Speichelfleck bekommen hier kulturgeschichtliche Bedeutung. Zum anderen geht gerade darum nicht, wie Adam Broomberg erläutert:
    "Wir sind ja keine Wissenschaftler und wollten auch nicht unbedingt die DNA des Wolfsmannes finden. Was uns interessiert, ist die Gegenüberstellung zweier grundverschiedener Erkenntnismethoden: die wissenschaftliche Objektivität auf der einen Seite und auf der anderen die objektive Erforschung der Subjektivität."
    Wie es sich für Konzeptkunst gehört, wurde die ganze Spurensicherung selbst spurengesichert – filmisch und fotografisch haben Broomberg und Chanarin ihre Aktion festgehalten und sie immerhin in ein ästhetisches Produkt überführt: Nach dem 2000fach vergrößerten Bild eines auf der Sofadecke gefundenen Haars ließen sie in Belgien eine neue Decke weben. Die liegt jetzt für die Dauer der Ausstellung auf der alten Couch – eine schockfarbene, fast psychedelisch anmutende Textilie. Ob das Haar nun vom Wolfsmann stammt, von Freuds Hausangestellten oder von Museumsleuten, ist ungeklärt, und auch die Frage nach der ästhetischen Qualität des Ergebnisses kann für Broomberg getrost offenbleiben.
    "Für mich sind Ideen schön. Wie etwas aussieht, ist unwichtig: Ob es schön oder hässlich ist, spielt keine Rolle. Uns ging es darum, dass Wissenschaftler das Bild erzeugt haben und dass es von Kunsthandwerkern umgesetzt wurde. Ich finde, das Ergebnis sieht wie ein riesiges Badetuch aus. Als Kunstwerk würde ich es nicht in meine Wohnung tun, aber das würde ich bei keinem meiner Werke.!