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Ausstellung im Lenbachhaus München
Bilder aus dem Jenseits

Das Münchner Lenbachhaus bietet in seiner Ausstellung "Weltempfänger" einen neuen Zugang zur Abstraktion. Es zeigt Werke von drei übersinnlich begabten Künstlerinnen: von Georgiana Houghton, Hilma af Klint und Emma Kunz. Sie alle haben Botschaften aus einer anderen Welt auf Papier und Leinwand gebracht.

Von Christian Gampert | 06.11.2018
    Abstrakt-lineare Malerei in Rot- und Gelbtönen.
    Georgiana Houghtons "Blume von Samuel Warrand" (VSU / Lenbachhaus München)
    Die abstrakte Malerei, behauptet das Münchner Lenbachhaus, fängt nicht erst bei Wassili Kandinsky an und nicht mit einem intellektuellen Prozess. Sie beginnt viel früher - und auf eine Weise, die mit unseren Vorstellungen von klassischer Moderne nicht unbedingt kompatibel ist. Die Abstraktion beginnt – in dieser Sicht - mit spiritistischen Séancen und dem Kontakt zu Geistern, die willenlosen Malerinnen die Hand führen, mit den Bewegungen von Pendeln, mit dem Wahrnehmen einer verborgenen Welt.
    Nehmen wir Georgiana Houghton: Sie war in London Mitte des 19. Jahrhunderts als ausgebildete Künstlerin, aber auch als Medium tätig. Nach dem Tod ihrer Schwester nahm sie mit der Verstorbenen im Jenseits Kontakt auf und hörte Klopfzeichen, sogenannte Kontrollgeister halfen ihr beim automatisierten Zeichnen mit technischer Apparatur, "Geisterführer" ermöglichten ihr freihändiges Malen mit Wasserfarben.
    "Mit großer Wucht"
    Wenig später, um 1900, gab in Stockholm die weithin anerkannte Portrait- und Landschaftsmalerin Hilma af Klint das gegenstandsbezogene Malen auf, beschäftigte sich mit Theosophie und empfing Botschaften aus dem Jenseits. Auch sie hatte eine geliebte Schwester verloren. Ihre "Malereien für den Tempel", 111 Werke, die sie in einem zweijährigen Schub fertigte, wurden "direkt durch mich hindurch gemalt", wie sie sagte, "ohne Vorzeichnungen und mit großer Wucht". Af Klint hatte keine Ahnung, was das darstellen sollte - es war halt abstrakt.
    Wenn man solche Geschichten hört, möchte man eigentlich den Arzt rufen. Andererseits ist der Schaffensrausch in allen Kunstgattungen weit verbreitet, von der Écriture automatique bis zu psychedelischen, drogeninduzierten Musik-Exzessen. Das Lenbachhaus tut nun etwas sehr Naheliegendes: Es nimmt die Bilder von Houghton, af Klint und auch die der Schweizerin Emma Kunz einfach als Kunstwerke ernst. Schließlich war auch Wassili Kandinsky auf der Suche nach der Darstellbarkeit des "Geistigen".
    "Was wir durchaus mit dieser Ausstellung hinterfragen wollen, ist, welche Wege es gibt, Kunst zu schaffen. Und dabei zeigt sich, dass zum Beispiel in mediumistischen Praktiken die Abstraktion eine formale Ausdrucksmöglichkeit sein kann, um Dinge zu zeigen, die man in einer anderen Form nicht zeigen könnte", das sagt Kurator Sebastian Schneider. "Mediumistische" Praktiken, also das, was einem Medium mitgeteilt wird, können durchaus eine eigene Ästhetik entwickeln.
    "Nämlich dass man versucht, eine bestimmte Form von Zeichen, einen Kanon der Zeichen zu entwickeln, die nicht nach der Logik der Mimesis funktionieren."
    Kosmisch inspirierte Innenschauen
    Seltsam ist, dass ja auch heute alle von "den Medien" reden, die unsere Weltwahrnehmung bestimmen, wenngleich in ganz anderer Form. Was heute als manipulativ empfunden wird, wurde von den Geisterseherinnen Houghton und af Klint als Brücke ins Totenreich oder in die Ewigkeit begriffen. Und ihre Bilder sind in der Tat eine kosmisch inspirierte Innenschau: Bei Houghton sind es farblich sehr originelle florale Elemente, die sich zu wilden organischen Mustern verflechten und von der Malerin als göttlich empfunden wurden. Bei af Klint ist es formal vielfältiger: zerlaufende, wabernde Farben, aber auch geometrische Elemente, Jugendstil-ähnliche Ornamentik, zwischendrin kleine Figuren.
    Viel technischer die Schweizerin Emma Kunz: Auf Millimeterpapier entwirft sie von einem Pendel vorgegebene, perfekte Muster. Manches wirkt, als hätte das ein Computerprogramm gezeichnet. Dabei stammen die spätesten Werke aus den 1960iger Jahren, und die Künstlerin begriff sich als telepathisch begabte Heilerin.
    Während heutige Künstlerinnen mit invasiven Kleinstkameras ihren Körper von innen erkunden, sahen sich Houghton, af Klint und Kunz als "Weltempfänger" – also nicht als Radiogerät, aber als Mittler zum kosmischen Jenseits. Dort, so viel wissen wir nun, geht es abstrakt zu. Ob man dort aber Erlösung findet, wie es Emma Kunz vorschwebte, ist ziemlich unsicher.