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Ausstellung in Bonn
"Deutschland ist ein Einwanderungsland"

"Immer bunter" - so heißt eine Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte, die neu eröffnet wird. Man wollte einen Perspektivwechsel, sagte Ausstellungsdirektor Jürgen Reiche im DLF. Viele Objekte zeigten auch das ambivalente Verhältnis vieler Zuwanderer.

    Eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge steht am 07.10.2014 auf der kleinen Insel Dänholm, einem Stadtteil von Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern). Das Asylbewerberheim in Container-Bauweise, ausgestattet mit Bädern und Küchen, ist seit 1996 geöffnet.
    Eine Gemeinschaftsunterkunft in Container-Bauweise in Stralsund. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Mascha Drost: Der Zeitpunkt hätte passender, aber auch brisanter nicht sein können – eine Ausstellung zum Thema Einwanderungsland Deutschland, zu einer Zeit, in der Tausende Menschen nach Deutschland kommen, auf der Suche nach Sicherheit, nach Frieden, nach einer Perspektive und natürlich, ganz klassisch auch nach Arbeit. Mit der Suche nach Arbeit fing alles an und mit der Suche nach Arbeitern – das war der Beginn des Einwanderungslandes Deutschland, auch wenn keiner der politisch Verantwortlichen es sogenannt hätte, selbst Jahrzehnte später nicht.
    "Immer bunter" – so heißt besagte Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte, heute wird sie eröffnet, Frage an den Ausstellungsdirektor Jürgen Reiche: Wie nötig haben die Deutschen eine solche Ausstellung gerade jetzt?
    Jürgen Reiche: Ich denke, unbedingt haben sie sie nötig. Das Thema, haben Sie eben schon gesagt, ist so aktuell wie nie. Allerdings haben unsere Ausstellungen immer einen Vorlauf von zwei Jahren oder zweieinhalb Jahren. Wir haben jetzt nicht auf diesen einen Termin hingearbeitet und konnten auch nicht wissen von dieser Aktualität.
    Das Thema passt immer, es ist immer aktuell. Aber wenn in Leipzig Zehntausende demonstrieren gegen Überfremdung, wenn in München darüber nachgedacht wird, einen Leitantrag zu stellen über das Sprechen zu Hause und im öffentlichen Raum, dann kriegt das natürlich noch mal eine besondere Brisanz.
    Drost: Es ist ja nicht die erste Ausstellung zu diesem Thema. Was soll denn das Besondere, auch das Neue dieser Schau sein?
    Reiche: Das ist wohl wahr. Aber wir haben uns bemüht, einen Perspektivwechsel einzubauen in diese Ausstellung, sodass mehr die Zuwanderer zu Wort kommen als die Menschen des Aufnahmelandes. Und wir haben uns bemüht, über Biografien auch die unterschiedlichen Lebenswege aufzuzeigen: Die einen, die als Arbeiter kommen, die anderen, die aus Liebe kommen, die dritten, die als Wissenschaftler kommen, oder Zuzug als Familienangehörige. Und diese Lebenswege sind halt so unterschiedlich wie die Wege, die sie zu uns geführt haben.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    António Eduardo Sá ist am 12.9.2014 am Bahnhof Köln-Deutz angekommen - 50 Jahre nachdem sein Großvater dort als "millionster Gastarbeiter" empfangen wurde. (Portugiesische Gemeinde/Cristina Krippahl)
    Objekte zeigen ambivalentes Verhältnis der Zuwanderer
    Drost: Sie haben ja über 800 Exponate zusammengetragen, habe ich gelesen, darunter das Moped des ein millionsten Gastarbeiters, das Kostüm des ersten schwarzen Karnevalsprinzen, aber eben auch die Gasflaschen vom gescheiterten Attentat im Kölner Hauptbahnhof. Das sind Dinge. Aber wie stellt man denn eigentlich das Wichtigste dar, das persönliche Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern?
    Reiche: Ich denke, das kann man ganz gut über die Biografien transportieren, wobei natürlich auch die Objekte dazu beitragen, dieses ambivalente Verhältnis der Zuwanderer zu den Menschen im Aufnahmeland aufzuzeigen. Es gibt zum Beispiel einen Ford Taunus. Ein Ford Taunus sagt erst mal gar nichts. Aber wenn Sie sehen, diesen Ford Taunus, wie er bespielt wurde von dem Eigentümer, einem türkischen Gemüsehändler, mit deutschen Nationalfarben, mit türkischen Nationalfarben, da drückt sich diese Ambivalenz aus in den Buttons, die er auf die Fensterscheiben geklebt hat, und in der Einrichtung dieses PKWs. Und zusätzlich haben wir versucht, über Interviews auch die Geschichte dieses Transit aufzuzeigen, wie er, der Eigentümer, mit diesem Auto in die Türkei gefahren ist, über die sogenannte Todesstrecke immer wieder, was er für Dinge mitgenommen hat und umgekehrt, welche Dinge er aus der Türkei mit nach Deutschland genommen hat. Das ist sehr spannend und interessant und erzählt viel von diesem Leben, aber es ist halt nur eine Biografie, und in der Summe der vielen Biografien ergibt sich dann auch eine, wie ich finde, außerordentlich interessante Gesamtschau.
    Drost: "Immer bunter" lautet der Titel der Ausstellung. Kann man denn auch anhand der Exponate ablesen, wann es Politikern und vielen Deutschen dann zu bunt wurde?
    Reiche: Dieser Begriff ist natürlich doppeldeutig. Das wussten wir und das war auch so gemeint. Aber eigentlich hatte ich da an einen Satz unseres Bundespräsidenten gedacht, der sagte, in unserer Welt, in der wir leben, ist die Vorstellung von einem homogenen, abgeschlossenen Deutschland, wo nichts zugelassen wird von außen, eigentlich undenkbar. Das ist ein einfarbiges Bild. Und das, was wir haben, das ist ein farbiges Bild, das ist ein buntes Bild, und dieses Bild ist bunt und wird auch immer bunter werden. Und das, würde ich mal in Abwandlung eines anderen Zitats sagen, das ist auch gut so.
    "Deutschland ist ein Einwanderungsland"
    Drost: Lassen sich denn, ausgehend von der Ausstellung, von der Entwicklung, die sie aufzeigt, auch mögliche Szenarien vielleicht für ein Einwanderungsland Deutschland in der Zukunft ableiten?
    Reiche: Zunächst erst mal müssen wir alle einsehen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das ist ja nicht immer so gewesen. Man hat sich ja lange geziert und lange gestritten: Ist Deutschland nun ein Einwanderungsland? Aber ich erinnere auch an Bilder, Karikaturen, auch Zeitschriftentitel: "Das Boot ist voll." Aber ich denke, wir müssen heute dazu kommen, darüber nachzudenken, dass dieses Boot - das wäre eine andere Metapher - auch keine Ruderer irgendwann mehr hat. Also wir brauchen auch Menschen, die zu uns kommen, die Teil dieser Gesellschaft sind, und die Aufnahmegesellschaft muss dafür sorgen, dass es Angebote gibt für Integration. Die anderen müssen auch bereit sein, diese Integration und diese Angebote wahrzunehmen.
    Drost: Jürgen Reiche, Ausstellungsdirektor der Stiftung Haus der Geschichte in Bonn, über die neue Ausstellung eben dort.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.