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Ausstellung in Friedrichshafen
Die Natur unter Einfluss des Menschen

Die Künstlerin Mariele Neudecker macht mit ihrem Werk die menschlichen Spuren in der Natur sichtbar. Sie will zeigen, aber nicht belehren. In ihrer Ausstellung "Some Things Happen All at Once" im Zeppelin Museum Friedrichshafen schafft sie das mit opulenten Sound- und Videoinstallationen.

Von Julian Ignatowitsch | 01.02.2016
    Manche Eisberge schimmern ganz blau, hat man Athena zumindest erzählt.
    Mariele Neudeckers Werk beschreibt den Einfluss des Menschen auf die Natur (picture alliance / dpa / Albert Nieboer)
    Mitten in der Ausstellung steht ein imposanter Eisberg. Mannshoch, über vier, fünf Meter erstreckt er sich im Raum. Am Ende zerbröselt er, bricht, die Brocken säumen den Boden. Auf Bildschirmen dahinter schwimmen abgebrochene Eiskappen übers Polarmeer.
    "There Is Always Something More Important", es gibt immer etwas Wichtigeres, heißt dieses Kunstwerk von Mariele Neudecker.
    Der Eisberg, aus Fiberglas und Sperrholz gefertigt, symbolisiert für die Künstlerin das ständige Dilemma zwischen individuellen Alltagsproblemen und kollektiven Herausforderungen, wenn man mal wieder im Flugzeug sitzt oder ein Steak verdrückt und eigentlich doch die Welt retten sollte:
    Neudecker: "Diese Problematik, wie man jetzt tatsächlich eine Änderung im eigenen Leben herbeiführen kann, weil es ja irgendwie doch immer wichtig ist, mit dem Auto zum Atelier oder mit dem Flieger zur Ausstellung zu kommen. Und dieses Dilemma, dass ich selber sehr viel dazu beitrage, dass ich viel Auto fahre, viel fliege, Kinder habe, Fleisch esse."
    Einfluss des Menschen auf seine Umwelt ist enorm
    Neudeckers ganzes künstlerisches Werk kreist um Natur, Landschaften, den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt. Selten allerdings so explizit wie im Falle des Eisbergs, der ja doch eine relativ platte Metapher ist.
    Da sind zum Beispiel die Videos einer Tiefseeexpedition am Meeresgrund, unterlegt mit sphärischer Musik: Ein Roboter sucht den Boden ab, wirbelt Staub auf, abgerissene Kabel- und Drahtstücke liegen dazwischen. Oder quadratische Aquarien, in denen Neudecker Gebirgslandschaften rekonstruiert hat: Langsam steigt Nebel hoch und nähert sich den Berggipfeln, diese sind mit kleinen Bäumen, aber auch Strommasten übersät. Menschliche Spuren in der gewaltigen Natur.
    "Wäre die Welt ohne die Menschen ein besserer, ein schönerer Ort?"
    Neudecker: "Das wüsste ja dann keiner..." (lacht)
    In Neudeckers Kunst sind Menschen abwesend und doch allgegenwärtig. Noch so ein Beispiel: Ein Schiff, ein Dreimaster, der wie versunken auf dem trüben Grund eines Glastanks liegt und inmitten der Blau- und Brauntöne mit dem Wasser zu verschmelzen scheint.
    Reiseerfahrungen als Sound- und Videoinstallationen
    Die Künstlerin selbst zieht es immer wieder in ganz entlegene Welten.
    "Die Sehnsucht in die Weite. Einfach mal von den ganzen verkabelten Daten und Informationen wegkommen."
    Neudecker war viel auf Reisen. Am Nordpol, in Grönland, am Südpol, im Dschungel, sie begleitete Forscher – und diese Erfahrungen rekapituliert sie medienübergreifend. Sie steckt sie in Plastiken, macht sie hör- und sichtbar in Sound- und Videoinstallationen.
    Neudeckers Werke vereinen Melancholie und Sehnsucht, Staunen und Grübeln. Die Künstlerin ist eine Romantikerin des 21. Jahrhunderts. Deshalb auch die vielen Anspielungen auf Caspar David Friedrich - in der Farbgebung, Bildkomposition und manch bekannten Motiven.
    Nur zeigen, nicht belehren
    Aber genau deshalb tut ihr das Zeppelin-Museum nicht unbedingt einen Gefallen, wenn es Neudecker den Anstrich einer "Klimamahnerin" gibt und die Ausstellung unter das Label "Klimawandel" stellt.
    Denn Neudecker will einfach nur zeigen, nicht belehren. Sie will mal verzücken, mal beeindrucken, mal traurig stimmen, oder alles zusammen: Some Things Happen All at Once, so der Titel der Schau. Neudeckers Oeuvre ist nicht moralisch, sondern empathisch, manchmal fast kitschig. Zum Beispiel, wenn sie an einer Stelle einfach nur Sonnenauf- und untergang filmt, ist das mehr als offensichtlich.
    Den Eindruck von Beliebigkeit wird man in der Ausstellung nie ganz los. Gerade noch am Nordpol ist man plötzlich am Meeresgrund und dann im Hochgebirge. Zu schnell wechseln Topos und Medium.
    Wer sich Haltung oder sogar Kritik zu gerodeten Wäldern, benzinfressenden Autos oder rauchenden Kohlekraftwerken erwartet, wird hier enttäuscht. Wer sich dagegen von der Opulenz eines Eisbergs und von anderen Naturspektakeln beeindrucken lassen will, auf globale Entdeckungsreise gehen will, der ist hier genau richtig.