
Am Schluss dieser spätmittelalterlichen Sonderausstellung befindet sich ein buchstäblich erhellender Raum. Es ist ein Raum, der, hätte man sich noch etwas mehr Mühe gegeben, beinahe wirken könnte wie einer der Lichtorte des amerikanischen Raum-Licht-Künstlers James Turrell.
Gleißendes Licht statt dunkles Mittelalter
Ein klassischer White Cube beinahe, blendend hell, ein Freiraum. Hier kann der Besucher räsonieren über seine eigenen Vorstellungen von Wirklichkeit und Ideal, vielleicht sogar vom "Paradies". Akustisch bespielt wird der Ort bisweilen mit theologischen Texten, Paradiesvorstellungen im Islam, Buddhismus oder Christentum, zudem Einspielungen, wie sich Kinder heute das Paradies vorstellen, blau vielleicht oder mit sehr viel Zuckerwatte, nicht ganz konkret jedenfalls. Was sie mit den mittelalterlichen Künstlern verbindet, denn auch die illustrierten allein den Weg ins Paradies, ein Licht vielleicht, niemals aber das Paradies selbst.
Nürnberger Sonderausstellung vor Teil-Sanierung
Die aktuelle Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum "Helden, Märtyrer, Heilige, Wege ins Paradies" ist mit rund fünfzig Exponaten aus dem 13. bis 15. Jahrhundert allein aus den Beständen der Skulpturen- und Gemäldesammlung sowie den reichen Depots des Hauses komponiert. Dabei ist die Schau eigentlich eher einer Notlösung geschuldet. Denn die spätmittelalterliche Abteilung des Museums wird in den kommenden zwei Jahren einer Sanierung unterzogen. Das Museum wollte jedoch die "Highlights" mit den Arbeiten bedeutender Künstler wie Veit Stoß, Tilmann Riemenschneider oder Stefan Lochner der Öffentlichkeit für eine so lange Zeitspanne nicht vorenthalten.
Daher erfand man ein Konzept, das allerdings weniger kunsthistorisch oder stilkritisch ausgerichtet ist, sondern das die Vorstellungswelt des mittelalterlichen Menschen ganz allgemein näher bringen will, erklärt Kurator Markus Prummer:
"Hier ist es so, dass die einzelnen Kunstwerke in einem gesamten Zusammenhang zu lesen und zu sehen sind, denn sie erzählen, was denke ich auch Kunstwerke können und auch Museen sollen, Geschichten. Und diese Objekte werden jetzt nicht einzeln in den Raum gestellt, sondern auch mit einer besonderen Architektur, einer besonderen Farbigkeit, einer sehr modernen Auffassung von musealer Praxis, - dass wir diese Objekte in eine Geschichte, in eine Heldengeschichte stellen."
Sechs enge kabinettartige Räume erwarten den Besucher in farblicher Differenzierung, düster trotz der Wandgestaltung in Rot, Blau und Orangegold. Ein großes Kapitel ist der Figur Christi und seiner Heiligenreise gewidmet, gilt er doch als der Erlöser, der Held schlechthin.
Märtyrer als Vorbild?
Den Prolog der Ausstellung bildet leitmotivisch die übermächtig wirkende Rosenkranztafel aus der Werkstatt des Veit Stoß. In zahllosen Einzelszenen wird das christliche Heilsgeschehen von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht erzählt, eine Relief-Folge, die aus Sicht des Spätmittelalters die Heldenreise der gesamten Menschheit abbildete. Nur, wer sein Leben mitfühlend und als Wohltäter gestaltete, konnte wieder ins Paradies zurückkehren. In wahren Bilderfluten begegneten den Menschen der Zeit in den Kirchen Motive wie etwa die heilige Elisabeth, die ihr Vermögen an die Armen verteilte. Bilder als Vorbilder. Verinnerlichung und Nachahmung der Heiligengeschichten dienten als vermeintliche Versicherungen für den Weg in die Unsterblichkeit.
Nicht alle Werke der Ausstellung sind dabei absolut hochkarätig. Sogar Veit Stoß‘ etwas bacchushafter Märtyrer, der Heilige Veit im Ölkessel wirkt eher ein wenig drollig als märtyrerhaft tragisch. Daneben finden sich Arbeiten vieler namenloser Künstler des ausgehenden Mittelalters.
Identifikation wird erschwert
Das Ausstellungsexperiment allerdings funktioniert vor allem deshalb nicht, weil man sich mit den einzelnen Exponaten nur schwer identifiziert, eben weil alles einer übergeordneten Erzählung unterworfen ist. Auch, weil für einen interreligiösen Dialog, den das Museum doch ausdrücklich suchte, unbedingt Exponate aus anderen Kulturkreisen notwendig gewesen wären. Wer die 20 Quadratmeter große Tafel mit Heldencollagen, die ins 21. Jahrhundert führt, am Eingang der Ausstellung betrachtet, die Batmans und Avatare sieht, mag sich fragen, wie Pflegekräfte oder Flüchtlingshelferinnen heute reagieren würden, böte man ihnen die Begriffe Held, Märtyrer oder Heilige an. Vermutlich würden sie sie als antiquiert zurückweisen.