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Ausstellung in Paris
Die Internierung der „Nomaden" - eine französische Geschichte

Mit der Geschichte der Verfolgung der Roma und Sinti in den 40er-Jahren beschäftigt sich jetzt eine Ausstellung im Pariser Mémorial de la Shoah. Es ist ausdrücklich eine "französische Geschichte", denn die Repressalien gab es schon vor der deutschen Besatzung - und sie dauerten auch nach Kriegsende an.

Von Jürgen König | 15.11.2018
    Sinti-und-Roma-Lager in den 50er-Jahren bei Paris
    Sinti-und-Roma-Lager in den 50er-Jahren bei Paris (akg-images)
    Über zwei Etagen Fotos von Familien, unterwegs mit Pferd und Wagen, Fotos von Lagerbaracken und Stacheldraht, Briefe und Polizeiakten, behördliche Bekanntmachungen - so umfassend wie bisher noch keine französische Ausstellung dokumentiert das Pariser Mémorial de la Shoah die Geschichte der Verfolgung der Roma und Sinti in Frankreich, Letztere nennen sich dort Manouches. Ihre Familien lebten oft seit Jahrhunderten schon im Land, nur die wenigsten waren sesshaft, die meisten zogen von einem Ort zum anderen, verdingten sich als Saisonarbeiter, auf Märkten und Volksfesten. Die Behörden führten für sie 1912 den Begriff "Nomaden" ein. Théophile Leroy vom Wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung:
    "Die 'Nomaden' waren das, was man in Frankreich bis dahin die 'gens de voyage', das 'fahrende Volk' genannt hatte. Sie wurden durchweg sehr negativ angesehen; schon allein, weil sie ständig unterwegs waren, galten sie als kriminell, als asozial, als Überträger von Krankheiten. Man hat sie als 'Nomaden' kategorisiert, um sie zu überwachen, um den Polizeibehörden Mittel an die Hand zu geben, sie zu kontrollieren. Sie wurden von der ganzen Gesellschaft nicht wirklich akzeptiert, vor allem die Landbevölkerung lehnte sie ab – während der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
    Verfolgung aus eigenem Antrieb
    Und die Polizei kam den behördlichen Vorgaben umgehend nach: Die "Nomaden" wurden fotografiert und vermessen, als eine Art Ausweis musste, wer 13 Jahre alt geworden war, ein Heft mit seinen biometrischen Daten bei sich tragen, das bei jedem Ortswechsel der Gendarmerie vorzulegen war. In der Zeit des 1. Weltkriegs wurden viele umherreisende Roma und Manouches als Spione verdächtigt, verhaftet und in eigens für sie errichtete kleine Internierungslager gebracht. Die Repressalien wurden in den 20er- und 30er-Jahren noch verschärft, schon vor der deutschen Besetzung Frankreichs verbot die französische Regierung den "Nomaden", sich im Land frei zu bewegen. Die von den Deutschen eingesetzte Vichy-Regierung baute sehr bald schon größere Lager - begünstigt durch den Rassenwahn der Nazis – aber doch aus eigenem Antrieb. Théophile Leroy:
    "Die Internierungen wurden ausschließlich vom französischen Innenministerium durchgeführt – auch zu Zeiten des Vichy-Regimes. Ob das der juristische Bereich war, die Verwaltung, der Polizeiapparat - das waren alles Franzosen. Es war also nicht so, dass die Deutschen die Lager angeordnet hätten. Wir haben Interviews mit früheren Lagerhäftlingen geführt, die sagen, sie hätten nie auch nur einen Deutschen gesehen. Nur Franzosen hätten sie überwacht. Darum haben wir das in den Titel genommen: 'eine französische Geschichte'."
    Lager auch nach Kriegsende
    Ab Oktober 1940 wurden in ganz Frankreich in zeitweise mehr als 30 Lagern etwa 6.500 Angehörige der Roma, der Manouches und anderer Gruppen inhaftiert, mehr als die Hälfte von ihnen waren Kinder. Schlecht ernährt, starben nicht wenige in den Lagern, viele wurden deportiert. Und die Lager sollten die Befreiung Frankreichs 1944, sollten sogar das Kriegsende überdauern. Sophie Nagiscarde vom Mémorial de la Shoah:
    "Sie sagten: ‚Was haben wir gemacht, dass wir noch hier sind? Wir wollen weg!‘ Es gibt sehr viele Briefe aus dieser Zeit, Anfragen an die Behörden, was aus den Ehepartnern, den Kindern geworden sei, die man deportiert hat oder wie es weitergehen soll. Nach dem Krieg wurden die Lager dann allmählich aufgelöst - aber die Freigelassenen bekamen nichts von dem wieder, was man ihnen abgenommen hatte, die Pferde, die Wagen, die Ersparnisse – so gut wie alle hatten nichts mehr, nicht einmal eine Adresse. Viele gingen wieder auf Reisen, arbeiteten auf Jahrmärkten zum Beispiel. Und die Solidarität war groß unter den Familien und deren Freunden – also die Gesetze der Menschlichkeit, immerhin, die haben funktioniert."
    Heute sind die meisten in Frankreich lebenden Roma gesellschaftlich integriert, wenn auch infolge der Zuwanderung vieler Roma aus Osteuropa in den letzten Jahren, alte Vorurteile wieder zu hören sind. So kommt die Ausstellung vielleicht gerade recht: mit ihrer Erinnerung an ein bitteres Kapitel der französischen Geschichte.