Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

Ausstellung in Rom
Erzählen vom faschistischen Italien

Thomas Manns Erzählung "Mario und der Zauberer" hat den italienischen Illusionskünstler Cesare Gabrielli zur Hauptfigur. Mann beschreibt darin einen gewissen "überspannten und fremdenfeindlichen Gemütszustand". Eine Ausstellung in Rom widmet sich jetzt dieser Erzählung und blickt auf das faschistische Italien.

Von Thomas Migge | 24.02.2015
    Porträtaufnahme von Benito Mussolini in Uniform
    Undatierte Aufnahme von Benito Mussolini: Die Ausstellung in Rom blickt auf das faschistische Italien (picture alliance / dpa)
    1943 drehte der italienische Regisseur Vittorio De Sica den Film "I bambini ci guardano". In einer Szene dieses neorealistischen Meisterwerks zeigte De Sica einen Zauberer, der eine Zuschauermenge in seinen Bann schlägt. Der Darsteller des Zauberers spielte sich selbst: Es war der Illusionskünstler Cesare Gabrielli, der vor allem mit dem Mittel der Hypnose arbeitete.
    Als sich Thomas Mann 1926 im toskanischen Badeort Forte dei Marmi zu Ferien aufhielt, erlebte er Gabrielli bei einer öffentlichen Hynosevorführung. Er war von der Darbietung so fasziniert, dass er den Darsteller zur Hauptfigur seiner 1929 erschienen Erzählung "Mario und der Zauberer" machte. In dieser vordergründig autobiografisch angehauchten Erzählung beschrieb Mann einen gewissen "überspannten und fremdenfeindlichen Gemütszustand", wie er schrieb.
    Der Literaturnobelpreisträger spielte damit auf das Italien jener Zeit an, in dem seit 1922 Diktator Benito Mussolini regierte. Es handelt sich somit um eine nicht offen ausgesprochene Kritik am italienischen Faschismus, doch Manns zum Teil spitze Bemerkungen und scharfe Beobachtungen blieben nicht ungehört und ungelesen, erklärt die in Rom lehrende Germanistin Elisabeth Galvan, Kuratorin der Ausstellung in der Casa di Goethe:
    "Dieser Text "Mario und der Zauberer" ist in Italien bis heute sehr wenig bekannt. Die italienische Erzählung von Mann ist immer wieder "Der Tod in Venedig", kennt hier jeder. Und die eigentliche italienische Erzählung ist aber "Mario und der Zauberer": Hier geht es um Italien, hier geht es um eine ganz bestimmte politische Situation, eine bestimmte politische Atmosphäre."
    Bis 1938, bis zur diplomatischen Achse Italiens mit Hitler-Deutschland, in deren Folge auch die Werke Manns in Italien verboten wurden, erschienen sämtliche Texte des Autors in italienischen Übersetzungen – bis auf "Mario und der Zauberer":
    "Das ist ein Text, der in Italien zunächst gar nicht erscheinen durfte, unter Zensur natürlich, weil man schon merkte, dass es hier eben um Politisches ging. Erst 1945 konnte dann eine italienische Übersetzung erscheinen."
    Extrem verführerische und starke Persönlichkeiten
    Die Ausstellung in der Casa di Goethe erklärt, dass sofort nach Erscheinen der deutschen Ausgabe der Mannschen Erzählung italienische Literaturkritiker und Germanisten den Text als antifaschistisch und antiitalienisch abstempelten. Diese Kritik führte schnell zum Veröffentlichungsverbot in Italien. Man hatte verstanden, dass der von Mann beschriebene Zauberer Cipolla, der fast alle seine Zuschauer mit Hypnose verzauberte und sie ihres Willens beraubte, ein Synonym für den Duce war. Ob Thomas Mann dem Illusionskünstler den Namen Cipolla, zu deutsch Zwiebel, gab, und damit auf etwas Abweisendes verweisen wollte, ist unbekannt. Sicherlich hat er in Cipolla und Mussolini extrem verführerische und starke Persönlichkeiten ausgemacht.
    Die Erzählung blieb auch nach Kriegsende in Italien weitgehend unbekannt. Italiens Literaturkritik, weiß Elisabeth Galvan, habe sich nie besonders für "Mario und der Zauberer" interessiert. Dafür aber, so die Ausstellungskuratorin, ein bedeutender Künstler:
    "Luchino Visconti hat genau aus dieser Erzählung Thomas Manns lange vor seiner Tod-in-Venedig-Verfilmung in den frühen 50er-Jahren ein Ballett geschaffen."
    Mit der Musik von Franco Mannino, einer Choreografie von Leonide Massine und nach einem Libretto von Visconti wurde dieses Ballett 1956 an der Mailänder Scala uraufgeführt. Bild- und Tonmaterial der Aufführung besitzt die Scala nicht, aber Elisabeth Galvan ist es gelungen, eine private Aufnahme aufzutreiben und in ihrer Ausstellung zu präsentieren. Gezeigt werden in den Räumen, in denen Goethe während seines Rom-Aufenthalts wohnte, auch die Skizzen für die Bühnenbilder des Balletts, von Lila de Nobili, die Jahre lang eng mit Visconti zusammenarbeitete. Etwa 20 chromatische Skizzen aus dem Caveau der Scala, die noch nie entliehen wurden.
    Bis auf Visconti interessierte und interessiert man sich in Italien wenig für Manns italienischste Erzählung. Und das, so das Fazit der Ausstellung, ist kurios - angesichts der unbestreitbaren Faszination vieler Italiener für populistische Verführer - wie Mussolini und auch Berlusconi.
    Ausstellungsinfos:
    "Mario und der Zauberer. Thomas Mann und Luchino Visconti erzählen vom faschistischen Italien"
    Casa di Goethe, Rom, 14.2. – 26.4.2015