Donnerstag, 28. März 2024

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Ausstellung Music Migrations
Die Power der Pop-Kultur

England ohne afro-karibische Kultur? Das wäre langweilig, grau und öde. Die pophistorische Ausstellung Ausstellung „Music Migrations“ setzt sich mitten im Brexit-Chaos mit der Wechselwirkung von Pop und Migration in London und Paris auseinander und zeigt, wie die Popmusik Menschen zusammenzubringt.

von Kathrin Hondl | 12.03.2019
Hervé Di Rosa Planète Paris. Acrylique sur toile, 220x295cm
Zu sehen in der Ausstellung: Hervé Di Rosa Planète Paris. Acrylique sur toile, 220x295cm (Photo © Bertrand Huet / Tutti © Courtesy de l'artiste)
Er sei der Posterboy der Ausstellung, sagt Don Letts. 63-jähriges Kind jamaikanischer Einwanderer, grüne Camouflage-Klamotten, riesige Rasta-Mütze. Don Letts ist Musiker, DJ, Filmemacher - eine legendäre Figur der Londoner Musikszene.
"Es geht um die Power der Kultur, Menschen zusammenzubringen", sagt er. "Damit die Welt besser wird." Die Ausstellung sei sehr wichtig, gerade jetzt, wo Kultur als Angstwaffe missbraucht werde. "Wir sollten Donald Trump hier hinbringen."
In den 70ern war Don Letts DJ im Roxy, dem ersten Londoner Punk-Club. Punk-Platten gab es damals aber noch gar nicht. Also legte Don einfach seine Musik auf: Dub-Reggae. "Und die Punks mochten das. Sie mochten das Reportagenhafte der Texte. Da ging es um was. Sie mochten die Bässe, und auch das Gras."
Das Roxy war also ein perfektes Beispiel für kulturellen Austausch. Daraus entstand dann Punky-Reggae-Party."
Gegen Rassismus und Polizeigewalt
Don Letts’ Dub Reggae-Punk im Roxy inspirierte Bob Marley zu einem Song, und beeinflusste vor allem die Band The Clash nachhaltig. Ihr Song "White Riot" war auch eine Solidaritätsbekundung der weissen Arbeiterklassejungs für die afro-karibische Community in London im Kampf gegen Polizeigewalt und Rassismus.
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Zu sehen in der Ausstellung: Festivalplakat Rock Against Racism, Londres, 1978 (© Collection particulière - Photo © Bertrand Huet / Tutti)
Der Karneval von Notting Hill entwickelte sich über die Jahre zu einer immer bunteren Anti-Rassismus-Demo, bei der es regelmässig zu Gewalt zwischen Polizei und Einwandererkindern kam. Ab 1976 setzte die britische Rockszene mit einer Reihe von "Rock against Racism"- Konzerten Zeichen - auch gegen rassistische Sprüche von Rockstars wie Eric Clapton.
Ähnliche Events gab es in den frühen 80ern in und um Paris. "Rock against the police" hießen die Konzerte dort. Ähnlich wie in London reagierten sie auf den Aufstieg rechtsextremer Parteien und eine neue Konjunktur rassistischer Diskurse. In Paris allerdings dauerte es etwas länger als in London, bis sich postkolonialer Sound und Lebensrealität der Einwanderer im musikalischen Mainstream bemerkbar machten.
"Und es gleich geht weiter mit Volldampf: The Equals und Streets on my back!"
Ein Video am Anfang der Ausstellung zeigt einen Fernsehauftritt der ersten multiethnischen britischen Band: The Equals, gegründet 1965 in London. Angéline Escafré-Dublet ist französische Migrationsforscherin und Ko-Kuratorin der Ausstellung.
"Die Equals thematisierten Auseinandersetzungen mit der Polizei, anders als im Maghreb geborene Sänger wie Vigon, für den Rassismus und Polizeigewalt kein Thema waren. In den 60ern spielte sich die musikalische Identitätssuche der Einwanderer in Paris noch im Verborgenen ab, in arabischen Cafés."
Später dann, in den frühen 80ern, war es der Multikulti-Sound von französischen Musikern wie dem in Algerien geborenen Rachid Taha, der The Clash zu ihrem Song "Rock the Casbah" inspirierte.
Popgeschichte - mitten im Brexit-Chaos
Der Sound arabischer Cafés in Paris und Reggae-Punk im Londoner Roxy; der Notting Hill Carnival und der "Grosse Marsch für Gleicheit und gegen Rassismus" im Frankreich von 1983; afrikanische Clubs in Paris und die ersten HipHop-Events in der Banlieue; französischer Rap und die Asian Dub Foundation in London - die Ausstellung "Music Migrations" erzählt viele interessante Geschichten – vor allem aber erinnert sie mitten im Brexit-Chaos daran, welchen immensen musikalischen Reichtum London und Paris ihren Einwanderern zu verdanken haben. Mit einer klaren Botschaft:
"Damit sich der Blick auf Migration ändert. Denn mit einem Migrationsstopp werden wir kein reiches künstlerisches Leben haben." Oder in den Worten von Don Letts: "England without afro-carribean culture? Boring, grey, dull – shit music!"