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Ausstellung
Skulpturen in Bewegung gesetzt

Land Art, eine in den 1960er-Jahren in den USA entstandene Kunstströmung, zeigt oft riesige Kunstinstallationen in und mit der Landschaft. Um sie einem breiten Publikum zugängig zu machen, wurden sie häufig fotografiert. Dieses besondere Verhältnis zwischen Fotografie und Skulptur thematisiert jetzt die Ausstellung "lens-based sculpture" an der Akademie der Künste in Berlin.

Von Carsten Probst | 26.01.2014
    Als Robert Smithson 1970 sein Hauptwerk, die berühmte "Spiral Jetty" im Großen Salzsee von Utah anlegte, war ihm wohl bewusst, dass nur sehr wenige Menschen diese über 500 Meter lange Spirale aus Erde, Steinen, Salz und roten Algen jemals direkt zu Gesicht bekommen würden.
    Zum einen liegt die Stelle, an der Smithson seine Land-Art-Skulptur errichtet hat, fernab aller großen Straßen, es gibt kaum Infrastruktur in der Gegend. Zum anderen liegt sie nur sehr selten, bei extrem niedrigem Wasserstand über Wasser. Normalerweise kann man die "Spiral Jetty" also nur vom Flugzeug aus sehen.
    Eines der wichtigsten und bekanntesten Kunstwerke aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennen die meisten Menschen daher nur aus Filmaufnahmen oder Fotografien.
    Das bleibt nicht ohne Einfluss auf das Werk selbst. Eingefroren in einen Zustand immerwährender Sichtbarkeit fehlt auf den meisten Bildern jegliche Beziehung zur Umgebung, zu den Gezeiten des Salzsees, zu den Wetterbedingungen. Und wer je die Gelegenheit hatte, tatsächlich am Großen Salzsee vorbeizuschauen, der kommt in der Regel zu dem Schluss: Die "Spiral Jetty" ist in Wirklichkeit völlig anders, es gibt vielleicht sogar zwei davon, eine wirkliche und eine medial überlieferte. Smithson selbst unterschied solche Werke in "Sites" und "Nonsites", in Werke für einen ganz bestimmten Ort und Werke für beliebige Orte.
    Genau darin besteht der große Reiz dieser Ausstellung über die "Lens Based Sculpture", die Geschichte der Beziehung von Fotografie und Skulptur. Die Bildhauer Bogomir Ecker und Raimund Kummer haben sie gemeinsam mit zwei Kunstwissenschaftlern für die Akademie der Künste erarbeitet und zu einer verdienstvollen eigenen Kunstgeschichte mit über 200 Werken von mehr als 70 Künstlern verdichtet. Ihre These mutet dabei zunächst ein wenig gewagt an, aber sie klingt plausibel: Der Einfluss der Fotografie hat die Skulptur in Bewegung versetzt.
    Skulpturen verlassen ihre Sockel
    Dem klassischen Verständnis nach waren Skulpturen Statuen, sie standen oder hingen also an einem ganz bestimmten Ort, und oft genug waren sie auch für genau diesen Ort geschaffen. Dem modernen Verständnis nach konnten sich Skulpturen aber von ihren Sockeln und festen Orten lösen, die konnten Bewegung zeigen, die konnten von der Figur abstrahieren und damit überall sein. Während das Fotografieren klassischer Statuen oft als Problem galt, weil man niemals alle denkbaren Aspekte und Ansichten tatsächlich darin unterbringen konnte, wurden spätestens seit den 60er- Jahren Skulpturen eigens unter dem Einfluss der Fotografie geschaffen oder auch eigens dafür, um fotografiert zu werden und in der medialen Präsentation zu erscheinen.
    Ein gutes, wenn auch in dieser Ausstellung zu kurz kommendes Beispiel ist die Tradition der Performance, der Living Sculptures und überhaupt aller ephemeren künstlerischen Darstellungsweisen, die nur über fotografische Medien haltbar gemacht werden können. So sind Filmstills aus Videos von Valie Export zu sehen, bei der die Künstlerin selbst als Kunstfigur repräsentiert ist, und selbst Skulptur sein will. Das ermöglicht ihr die Fotografie, aber auf diese Weise wird die eigentlich ortsgebundene Performance beliebig transportier- und zeigbar, sie verliert ihren orts- und zeittypischen Charakter.
    Am anderen Ende der Zeitskala rangiert der Beginn der von der naturwissenschaftlichen Chronofotografie inspirierten Skulptur: Der Futurist Umberto Boccioni und Readymades von Marcel Duchamp von 1913/14 veränderten die Idee von Skulptur zur bewegten Rauminstallation.
    Die Werke von 1960er-Jahren bis heute bilden allerdings den Schwerpunkt der Ausstellung: Von der hyperrealistischen bis zur immateriellen Plastik, von der skulpturalen Rauminstallation bis zur fiktiven Skulptur und der mediengestützten Performance. Nicht vollständig kann die Ausstellung bei dieser dicht gedrängten Ansammlung von Werken der Frage nachgehen, wie sich eigentlich durch die vermeintliche Auflösung der Ortsspezifik der Raum des Kunstwerkes verändert. Hierzu soll ein Katalog erscheinen, der ein Standardwerk werden könnte.