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Ausstellung über Christian Warlich
Der Urvater der Tätowierer

Christian Warlich gilt als Meister der Tattoo-Kunst des 20. Jahrhunderts und arbeitete 40 Jahre auf St. Pauli. Der selbsternannte "König der Tätowierer" erlangte internationale Bekanntheit - seine Arbeiten inspirieren bis heute Künstlerinnen und Künstler der ganzen Welt.

Von Juliane Reil | 28.11.2019
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Einblick in die Ausstellung über Christian Warlich (Stiftung Historische Museen Hamburg)
"Christian Warlich, für die deutsche Szene, ist er der Urvater für die professionellen Tätowierer in Deutschland", sagt Ole Wittmann. Der Kunsthistoriker hat die Ausstellung "Tattoolegenden – Christian Warlich auf St. Pauli" kuratiert.
Viele Originalfotografien in Schwarz-Weiß sind zu sehen, die Warlich bei der Arbeit zeigen: Der kräftige Mann über die Theke seiner Kneipe gebeugt im Gespräch mit potentiellen Kunden, denen er seine Tattoovorlagen präsentiert. Oder der Moment, in dem er einem Kunden ein Motiv auf die nackte Brust sticht. Die stimmungsvollen Bilder geben seltene Einblicke in die Arbeit eines Tätowierers Anfang des 20.Jahrhunderts und vermitteln ein Gefühl für die damalige Atmosphäre auf St.Pauli.
Kneipe mit Tätowierstube
Dabei ist es frappierend, wie viele Kunden bereits damals schon ihren Körper flächendeckend tätowieren ließen und die Tattoos unter hochgeschlossenen Anzügen versteckten. 1919 eröffnete Warlich, der ursprünglich aus Hannover kam und kurzzeitig zur See fuhr, auf St. Pauli im Hamburger Vergnügungs- und Rotlichtviertel seinen Laden. Eine Kneipe mit Tätowierstube. Die feste Adresse war damals ungewöhnlich für einen Tätowierer, denn: "Tätowierer waren eher mobil und haben dort tätowiert, wo Kunden waren."
Zum Beispiel in Bars, Bordellen und beim Frisör. Aber nicht nur in der Arbeitsweise unterschied sich Warlich von anderen Tätowierern seiner Zeit, sondern auch in seiner Ästhetik, "Weil er einen fast malerischen Ansatz hat. Die berühmten amerikanischen Tätowierer haben fast so einen signethaften Ausdruck. Ein bisschen 'einfacher, schlichter, stempelartiger', sage ich jetzt mal in Anführungsstrichen. Und bei Warlich ist das alles so ein bisschen filigraner."
Fabelwesen, wilde Tiere und Seefahrtsmotive
Das ist umso erstaunlicher, weil Warlich vermutlich Autodidakt war. Wenn er beispielsweise eine Meerjungfrau entwarf und tätowierte, "dann würde Warlich die Schuppen wahrscheinlich etwas feiner gestalten. So einen kleinen Farbverlauf in das Grün des Schwanzes oder der Flosse der Meerjungfrau einarbeiten, und das wäre bei den Amerikanern wahrscheinlich nicht so."
Zahlreiche Original-Vorlagenblätter von Warlich – mit Fabelwesen, wilden Tieren und Seefahrtsmotiven – sind in der Ausstellung zu sehen und leuchten in kontrastreichen Farben von den Wänden. Das Herzstück der Ausstellung ist jedoch Warlichs Vorlagealbum. Es gilt als das bekannteste Dokument der deutschen Tätowiergeschichte und wird in heutigen Tätowiererkreisen als eine Art Reliquie verehrt. "Es wurde schon als heiliger Gral bezeichnet. Nicht von mir!"
Warlich war aber auch ein Pionier der Tattoo-Entfernung. Dazu entwickelte er eine eigene geheime chemische Tinktur. "Er hat die Haut eingerieben. Das war ein Prozess und wurde mehrere Male wiederholt, und dann konnte die Haut abgelöst werden."
Konservierte Hautfetzen und entfernte Tattoos
Konservierte Hautfetzen und entfernte Tattoos hinter Glas sieht man auch in der Ausstellung.
Seit den 1980er-Jahren befasst sich die kunsthistorische Forschung mit der Tattoo-Kultur. Immer wieder einmal gab es Museumsausstellungen zu einzelnen zeitgenössischen Tätowierern, zum Beispiel kürzlich in San Francisco: eine Retrospektive zu den Arbeiten des Amerikaners Ed Hardy. Die Ausstellung zu Warlich ist jedoch die erste weltweit zu einem historischen Tätowierer. Sie dokumentiert nicht nur, wie einflussreich der deutsche Tätowierer bis heute ist, ...
"Die Motive aus Christian Warlichs Vorlagealbum werden täglich noch gestochen."
... sondern auch, wie anhand Warlichs Beispiel überhaupt erst die Grundlagen dafür geschaffen wurden, dass sich das Tätowieren zu einer immer ausgereifteren Kunstform und vor allem zu einem professionellen Gewerbe entwickeln konnte. Auch wer sich nicht für Tattoos interessiert, bekommt einen guten Eindruck für eine ehemalige Subkultur, die mittlerweile zum Mainstream geworden ist.
Und wer auf den Geschmack kommt, kann sich sogar per Beamer in der Ausstellung ein Warlich-Motiv auf die Hand projizieren, die Umrisse mit einem Stift nachzeichnen und dann zum nächsten Tattoo-Studio rennen.