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Ausstellung über eine Ausstellung

1934 schrieb die Pariser Orangerie mit "Die Maler der Realität" Kunstgeschichte. Es ging um Künstler des 17. Jahrhunderts, die damals nahezu vergessen waren. Das sind sie heute allerdings nicht mehr, weshalb die Neuauflage dieser Ausstellung zu einer historisierenden Selbstbespiegelung gerät.

Vopn Björn Stüben |
    "Seit der Erfindung des Kubismus lieben die Autodidakten unter den Malern das Stillleben, da es viel einfacher zu malen ist als die Figur. Die Mode dieses 'naiven' Stils haben wir Sonntagsmalern wie Derain zu verdanken. Ihre Vorbilder finden sich unter den vielen unbekannten oder vergessenen Realisten des 17. Jahrhunderts, die gerade wieder entdeckt werden. Eine prima Lektion für die Jugend des Montparnasse: das Rad der Kunst dreht sich permanent und das Alte wird wieder neu."

    Begeisterung für die moderne Kunst spricht nicht gerade aus den Sätzen des arrivierten Malers Jacques Emile Blanche, mit denen er 1935 für eine Londoner Kunstzeitschrift die heute im Rückblick als epochal angesehene Ausstellung "Die Maler der Realität" in der Pariser Orangerie rezensiert. Zwei Kunsthistoriker des Louvre hatten diese Schau mit Werken französischer Künstler des 17. Jahrhunderts zusammengestellt. Sorgsam arrangierte Stillleben, religiöse Themen und das alltägliche Leben der einfachen Leute fanden sich am häufigsten auf den Bildern dargestellt. Stilistisch dominierte der Einfluss des Italieners Caravaggio und seines kontrastreichen Licht- und Schattenspiels. Die Ausstellung sorgte 1934 für Aufsehen, denn ein breites Publikum konnte sich erstmals davon überzeugen, dass zur Zeit Ludwigs XIII. und seines selbstherrlichen Sohnes und Nachfolgers Ludwig XIV. nicht nur höfisch-idealisierte Staatskunst entstand, sondern Künstler wie die Brüder Le Nain und vor allem auch der völlig in Vergessenheit geratene Georges de la Tour die Wirklichkeit abzubilden wussten. Mit anderen Worten: Die Ausstellung des Jahres 1934 zählt zweifellos zu den frühen Sternstunden der Orangerie, die mit dem Einzug des Seerosenzyklus von Monet 1927 gerade erst zum Museum umfunktioniert worden war. Grund genug also, dass jetzt das soeben nach langjährigen Umbauarbeiten wiedereröffnete Musée de l’Orangerie dieser grandiosen Schau von 1934 seine Referenz erweist.

    Dem Besucher wird nun sozusagen die Ausstellung zur Ausstellung geboten, was sicher nicht so schwierig ist, wie den Kinofilm zum Buchbestseller zu drehen, aber die Sinnfrage muss auch hierbei gestellt werden. Museumsdirektor Pierre Georgel versucht sich zunächst an der Rekonstruktion der Schau von 1934. Da ein Großteil der gezeigten Werke heute wie damals im benachbarten Louvre hängt, brauchten etwa Bilder von de la Tour, Puget oder Poussin nicht weit zu reisen. Eine Computeranimation rekonstruiert die einstige Hängung der knapp 150 Exponate auf damals senfgelben Stoffbahnen. Jedes Bild hat zwei Beschriftungen erhalten, die eine entspricht dem Wortlaut von 1934, die andere dem von 2006. Der vielleicht gewünschte Effekt bleibt allerdings aus, denn es hat sich kaum etwas an Künstlerzuschreibung oder Bildtitel in den vergangenen 60 Jahren geändert.

    Die Befürchtung, dass sich die Ausstellung tatsächlich nur um ihre große Vorgängerin von 1934 dreht, wird im zentralen Saal, der mit dem viel versprechenden Titel "Gleichklänge" überschrieben ist, entkräftet. Hier hängen das Stillleben mit marmornem Frauentorso und Kerze von Magritte, die Kartenspieler des eher unbekannten Robert Humblot oder Jean Hélions abstrakte "Blaue Figur". Auch der enigmatische Balthus ist mit einem Karten spielenden Pärchen vertreten, und André Derain hat ein düsteres Stillleben mit Birnen auf eine kleine Leinwand gemalt. Was hier mit "Gleichklängen" gemeint ist, errät der Besucher schnell. Der rätselhafte Schatten, den Magrittes gemalte Kerze auf der Wand hinter dem weißen Frauentorso hervorruft, taucht sehr ähnlich auch bei Georges de la Tours Engel auf, als dieser dem schlafenden Josef erscheint. Derains Stillleben mit Birnen könnte sich an denen der großen Meister des 17. Jahrhunderts orientieren.
    Und wenn Balthus Knabe auf dem Bild seine Spielkarte hinter dem Rücken versteckt, oder bei Humblot die Kartenspieler zusammen um einen Tisch herum sitzen, dann kann eigentlich auch nur der 1934 aus der kunsthistorischen Versenkung aufgetauchte Georges de la Tour als Ideengeber gedient haben, so zumindest will es diese Ausstellung zur Ausstellung wohl deutlich machen. Balthus hat sein Spielerpärchen jedoch erst 1948 gemalt, einen Weltkrieg und knapp 15 Jahre später.

    Das von Picasso selbst als Kopie nach Le Nain betitelte Bild "Rückkehr von der Taufe", das er fast zur Unkenntlichkeit in neoimpressionistischer Farbtupfentechnik verfremdet hat und das auch jetzt in der Orangerie gezeigt wird, stammt bereits von 1917. Schließlich konnte Picasso wie viele andere Künstler auch, die dem "Retour à l’ordre", der "Rückkehr zur Ordnung" in der Kunst zwischen den Weltkriegen folgten, die französischen Meister des 17. Jahrhunderts in den Museen studieren, und das natürlich auch schon vor der großen Schau in der Orangerie 1934.