Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Ausstellung über Kolonialkunst in Stuttgart
"Es geht um eine andere Sichtweise auf die Objekte"

"Wo ist Afrika?" heißt eine aktuelle Schau im Stuttgarter Linden-Museum, die Stücke aus der Kolonialzeit präsentiert. Es gehe um eine ganz neue Form von Partizipation, sagte die Direktorin Inés de Castró im Dlf. Diesmal sollen nicht nur die Objekte, sondern auch die Menschen dahinter zum Leben erweckt werden.

Inés de Castro im Gespräch mit Karin Fischer | 14.03.2019
Ausstellungsplakat
Man wolle in der Ausstellung auch die Rolle des Museums in der Provenienzforschung transparenter machen, sagte Inés de Castro im Dlf (Copyright Linden Museum Stuttgart/ Gestaltung Anja Emde)
Karin Fischer: Vor der Sendung habe ich mit Ines de Castro gesprochen, der Direktorin des Stuttgarter Linden-Museums, einem der größten Völkerkundemuseen Europas. Das hat gerade die eigene Afrika-Sammlung neu geordnet und präsentiert. Ihr Haus hat vor kurzem schon die Witbooi-Bibel und eine Peitsche zurückgegeben und jetzt die gesamte Afrika-Abteilung neu geordnet. Dann lassen Sie uns also konkret darüber sprechen, wie man den Dialog auf Augenhöhe vielleicht sogar mit den eigenen Sammlungen organisieren kann. "Wo ist Afrika" heißt die Schau, mit der sie auch die Herkunft dieser Stücke neu beleuchten. Wie machen Sie das?
Ines de Castro: Wir sind mit der Provenienzforschung zur Kolonialzeit oder mit der Aufarbeitung unserer Kolonialgeschichte wirklich noch am Anfang. Auch wenn wir schon sehr früh, ab Anfang 2016, mit der Provenienzforschung, mit den Erwerbskontexten begonnen haben, uns die anzuschauen, wird das noch eine langwierige Arbeit, die wir noch vor uns haben. Wo wir die Kontexte kennen, haben wir sie in die Ausstellung hineingebracht. Es gibt auch einen Monitor in der Ausstellung zur Provenienzforschung, der ständig mit neuen Erkenntnissen gefüttert werden wird.
"Ohrenbetäubende Stille" über die Herkunft der kolonialen Kunst
Fischer: Wie schwer war es denn überhaupt, Herkunftsgeschichten nacherzählen zu können? Die Bücher und Objektlisten schweigen sich ja da systematisch ziemlich aus.
de Castro: Ja! – Der erste Raum beschäftigt sich gerade mit dieser Thematik, mit dieser großen Diskrepanz zwischen einer ungeheuren Sammlerwut in der Kolonialzeit und einem Wettbewerb zwischen Stuttgart und Berlin zum Beispiel, wer die meisten Objekte bekommt, und auf der anderen Seite diese ohrenbetäubende Stille, wie wir sie nennen. Dieses Wissen, das nicht mittransportiert wurde, diese Geschichten, die wir so lange verschwiegen haben, die gilt es jetzt, nun langsam wieder zu erwecken und ihnen eine Stimme zu geben.
Rolle des Museums transparent machen
Fischer: Welchen Objekten können Sie denn jetzt schon eine Stimme geben? Wie sieht das aus?
de Castro: Es geht um eine neue Sichtweise wirklich auf die Objekte. Es geht um eine ganz neue Form von Partizipation. Diese Ausstellung ist zusammen mit einem Beirat von Stuttgartern mit afrikanischen Wurzeln, die seit drei Jahren mit uns im Dialog sind, zusammen gemacht worden. Das heißt, sie sind an den Texten beteiligt gewesen, sie sind an den Sichtweisen beteiligt gewesen.
Es gab sehr viele Projekte mit den Herkunftsgesellschaften wie zum Beispiel mit Kamerun, das genau so hineingespiegelt wird, und durch diese ganz starke Teilhabe und Partizipation haben wir versucht, wirklich die Menschen hinter den Objekten zum Leben zu erwecken. Zum Beispiel, wenn wir Objekte aus der Kolonialzeit haben, wie eine Maske, dann kann man das als ästhetischen Wert sich anschauen; man kann aber auch darüber nachdenken, zusammen mit der diversen Stadtgesellschaft, welche Bedeutung hat das für uns heute. Und diese Sichtweise mit hineinzunehmen, durch Interviews, war uns wichtig. Wichtig war uns auch, die Rolle des Museums transparent zu machen, die Brille, die wir auf haben, selber bei der Betrachtung dieser Objekte.
Fischer: Am Anfang steht ein Sammelsurium aus Speeren, auch als Symbol dafür, dass die Kolonialherren damals einfach mitgenommen haben, was immer ihnen in die Hände fiel. Sie haben das angedeutet, dass damit ja auch das Bild eines "kriegerischen" Afrikas in Europa gezeichnet wurde, das so vermutlich nie ganz gestimmt hat. Das wird einem ja tatsächlich erst klar, wenn die Gegenstände in so einem Kontext gezeigt werden, oder?
de Castro: Es ist natürlich so, dass wir auch als Museum, als ethnologisches Museum mit diesen Sammlungen aus der Kolonialzeit auch das Bild von Afrika maßgeblich geprägt haben, und das muss uns klar werden. Und das zu verdeutlichen, welche Rolle wirklich das Haus gespielt hat, ist für uns in dieser Ausstellung sehr wichtig. Und es muss klar sein auch, dass meistens Männer gesammelt haben und daher viele Objekte eher, sage ich mal, mit den männlichen Bereichen zu tun haben.
Nicht über, sondern mit Afrika
Fischer: Wenn Abschied vom europäischen Blick auch ein Stichwort Ihrer Neuordnung ist, wie stellen Sie dieses Vielstimmige, dieses Vielperspektivische dann her?
de Castro: Wir möchten nicht mehr die Kulturen Afrikas oder Afrika selbst darstellen; wir möchten die Sammlung darstellen. Wir möchten nicht nur über Afrika sprechen, sondern auch mit Afrika diese Ausstellung zusammenstellen. Und es ist uns wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass Objekte und Menschen zirkulieren und dass es Globalisierung und gegenseitige Beeinflussung schon immer gegeben hat, dass Objekte wechselnde Identitäten haben können, genauso wie Menschen. Und wir versuchen, über einen subjektiven Ansatz wegzukommen von dieser Form des Museums als objektiver Wissensvermittler. Wir versuchen, Geschichten hinter den Objekten zu erzählen, die Geschichte zum Beispiel einer Nagelfigur aus dem Kongo, die 1906 in unseren Bestand kam, dann in den Kunstmarkt gelangte und vor letztes Jahr von uns wieder zurückgekauft wurde. Objekte und Menschen haben wirklich viel Zirkulation und sie sind nicht eindeutig zuzuordnen.
Fischer: Ines de Castro, Direktorin des Stuttgarter Lindenmuseums, über die Ausstellung "Wo ist Afrika?"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.