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Ausstellung "Unter Waffen. Fire and Forget 2"
Durchweg amoralische Waffenschau

Als Erweiterung einer Ausstellung, die 2014 in Berlin zu sehen war, zeigt das Museum für Angewandte Kunst Frankfurt "Unter Waffen. Fire and Forget 2": Die wirkungsmächtige und hintergründige Schau beleuchtet, wie Künstler aktuell das Thema Waffen behandeln - und darüber hinaus, welche Rollen Waffen in der Mode, im Design und im Alltag spielen.

Von Peter Backof | 12.09.2016
    Ein Fotograf lichtet in der Ausstellung "Unter Waffen. Fire & Forget 2" eine Installtion von "Robbert&Frank Frank&Robbert" ab, die 95 hauptsächlich in Holz nachgebildete Waffen an einer Wand beinhaltet.
    Ausstellung "Unter Waffen. Fire & Forget 2" im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst (dpa)
    "Wir betreten einen blauen Teppich. Rechts und links finden wir, eingeteilt in Kojen, Kunst, Design und Mode, Spielwaren, Gimmicks. Es ist ja aufgebaut wie eine Messe. Ob das jetzt eine Kunst- oder Waffenmesse ist, sei mal dahingestellt."
    Mit Museumsleiter Matthias Wagner K auf dem blauen Teppich-Läufer, der sich durch die Ausstellung schlängelt. Wie im Spiel "Counterstrike" biegt man um Ecken. Die Aufsteller und Tafeln, die die Quadranten genannten Themenbereiche trennen, wirken wie Online-Werbung. Für Spiele der Sorte "Counterstrike". Deren hochkantige Banner geraten den Besuchern auch im Alltag beim Surfen im Netz unvermittelt ins Blickfeld.
    "Was wir hier machen ist das Moderieren dessen, was uns im Außen umgibt. Und natürlich dann in der Kunst, wo von vornherein ein hohes Reflexionspotenzial ist."
    Es liegt auf der Hand, dass Künstler aktuell Waffengewalt, Waffenbesitz, Waffen als solche thematisieren müssen. Es geht schließlich um die humanistische Frage schlechthin derzeit. Der Eindruck, der auf dem blauen Teppich von "Fire and Forget 2" entsteht, ist aber noch mal ein anderer: Bei vielen der 60 Objekte, die neben einem Dutzend Videos zu sehen sind, erschließt sich nicht auf den ersten Blick, ob sie als Artefakt gemacht und gemeint sind oder eins zu eins aus dem Alltag übernommen sind.
    Echtes bricht sich am Artifiziellen, Banales am Hintergründigen
    Im Quadranten "Ende der Diskussion" blickt man auf eine Glasscheibe mit Einschussloch. Und durch sie hindurch: Auf die Wand dahinter ist ein - echtes - Image- und Rekrutierungs-Video der deutschen Bundeswehr projiziert. Ist die Glasscheibe, die den Besucher-Blick bricht, ein Kunstwerk oder ist sie die Manifestation von alltäglichem Vandalismus, ein demoliertes Schaufenster zum Beispiel, das jetzt ins Museum gestellt wird? Das - an vielen Stellen - auch einfach offen zu lassen, gehört zum Kern eines Museums für Angewandte Kunst. Matthias Wagner K hatte die Idee, in Zusammenarbeit mit den Kuratoren Ellen Blumenstein und Daniel Tyradellis ein Berliner Konzept zu erweitern. Vor zwei Jahren war "Fire and Forget" bereits zu sehen, mit rein künstlerischem Portfolio. Anrührend, eindringlich, wirkungsmächtig, wie Künstler das Thema Waffen behandeln, in Berlin wie nun in Frankfurt. Die Erweiterung um die Alltagsperspektive macht indes eine ganz andere Schau daraus: Weil sich - wie in der Glasscheibe - ständig Echtes am Artifiziellen, Banales am Hintergründigen bricht.
    "Wir haben dann zum Beispiel einen Teppich aus Afghanistan, in dem plötzlich die Muster von Bombern, von Panzern, von Munition auftauchen, im Sinne einer sich fortsetzenden ´Volkskunst´. Wir glauben, dass da etwas zugenommen hat. Es hat etwas mit dem Zeitgeschehen zu tun:"
    Dass Kriegszustände gefühlt näher gerückt sind, auch wenn man in Deutschland von ihnen verschont ist, ergänzt Matthias Wagner K. Eine vergoldete Kalaschnikow hat der Designer Philipp Starck 2005 zur Ikone der Ära nach "Nine-Eleven" erklärt. Und nicht nur das. Die Kunstwaffe trägt einen Lampenschirm für das Wohnzimmer, ist Fetisch und Schreckobjekt zugleich. Ein anderes Paradox: Warum sind in der Mode Camouflage-Motive so populär? Diese typischen Baggy Pants und Militär-Käppis mit Tarnmuster - nicht nur als quasi proletarische, prollige Billig-Uniform, sondern auch in der Haute Couture?
    "Das ist so die Frage: Ist das in unseren genetischen Code eingeschrieben, eine Waffe auf ein menschliches Gegenüber zu richten? Man sagt, dass es das nicht von Anfang an gab, sondern erst, als man Besitz anhäufte und es etwas zu verteidigen gab."
    Viel Stoff zum Nachdenken
    Und man trägt heute Militärhosen im Alltag entweder: Weil es sie zu kaufen gibt! Oder als Auswirkung eines Bewaffnungstriebs, der sich irgendwann in der Evolution ausbildete? Die Ausstellung bleibt da amoralisch. Nicht unmoralisch, sondern amoralisch. Sie zeichnet auch ein Menschenbild. Ein ambivalentes. Über zehn Meter ist ein Gesichtsausschnitt eines Menschen mit Camouflage-Schminke auf eine Wand gepinselt, ein Gesichtsausdruck von erotischer Anziehungskraft: "Homo homini raptor": Der Mensch ist dem Menschen nicht nur ein Wolf, sondern gleich eine üble Bestie, die blutrünstige Krimis genießt und, so wie in einem Imagevideo des Rüstungsunternehmens "Heckler und Koch" - wieder im Quadranten "Ende der Diskussion" - auch mal gerne Panzer fahren würde.
    "Kann man ja. In Meck-Pomm oder so gibt es ja wieder Panzerplätze, wo man ausgemusterte Panzer der NVA fahren kann. Wir zeigen hier ein Video, in dem Polizisten die Wirkung eines Tasers ausprobieren."
    Elektroschock-Waffen für alle? Oder Baupläne für Waffen per Mail verschickt? Komplexe und hochbrisante Fragen, die gar nicht mehr zu beantworten sind. Phänomene, die auch nicht mehr zu regulieren sind. Sehr gute Ausstellung. Viel Stoff zum Nachdenken.