Archiv

Ausstellung zum Ersten Weltkrieg
"Keine reine Schlachtgeschichte, sondern breite Perspektive"

Neben Schlachtorten zeige die Ausstellung des Historischen Museums in Berlin über den Ersten Weltkrieg auch zivile Orte dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, berichtet der Kurator Andreas Mix. Außerdem werden auch die Kriegsschauplätze außerhalb der Westfront wie zum Beispiel in den Kolonialreichen beleuchtet.

Andreas Mix im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Auf einem Militärstützpunkt in der deutschen Kolonie Kamerun wird von in Tropenanzüge gekleideten Männern eine Fahne gehisst (undatierte Aufnahme aus der Kolonialzeit). Von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg war Kamerun eine deutsche Kolonie, dann wurde es 1916 unter Großbritannien und Frankreich aufgeteilt.
    Am Schlachtort Deutsch-Ostafrika führten deutsche Schutztruppen im Ersten Weltkrieg eine Art Guerilla-Krieg gegen die Briten. (picture-alliance / dpa )
    Christoph Schmitz: Stahlgewitter kommen einem in den Sinn, wenn man an den Ersten Weltkrieg denkt, durchwühlte Erde, aufgebrochen, voller Leichen, zerfetzte Gesichter, verendete Pferde, ein nacktes Schlachtfeld, soweit das Auge reicht. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts ist im Gedenkjahr 2014 wieder präsent. Zahlreiche Ausstellungen zu einzelnen Aspekten des Krieges gibt es seit Jahresbeginn.
    Das Deutsche Historische Museum in Berlin hat nun ein Großunternehmen auf die Beine gestellt. Auf über tausend Quadratmetern soll der ganze Krieg samt Umfeld vermittelt werden. Man will eine Überblicksausstellung bieten, die die europäische und die globale Dimension des Kriegsgeschehens verdeutlicht, wie es in einer Ankündigung heißt. Wie wollen Sie das schaffen, habe ich den Ausstellungskurator Andreas Mix gefragt.
    Andreas Mix: Die Ausstellung ist chronologisch topografisch gegliedert in 14 Kapitel und drei Querschnittsthemen. Diese Kapitel, das sind konkrete Orte. Das sind Schlachtorte wie Verdun oder Galicien, Orte im Westen, im Osten, in Südosteuropa, aber es sind auch zivile Orte, Berlin, Petrograd und Brüssel. Wir erzählen jetzt keine reine Schlachtgeschichte, sondern stellen den Ersten Weltkrieg in eine breite Perspektive.
    Schmitz: Und zu diesen 14 markanten Orten gehören auch Orte in Übersee, in Deutsch Ostafrika.
    Mix: Genau. Der Krieg ging von Europa aus und wurde hauptsächlich in Europa ausgetragen, aber durch die Kolonialreiche – die europäischen Mächte waren 1914 Kolonialmächte -, durch diese Kolonialreiche und auch durch die engen wirtschaftlichen Verflechtungen wurde die ganze Welt binnen kurzer Zeit in diesen Krieg hineingezogen, und das machen wir sehr deutlich, beispielsweise an dem Schlachtort Deutsch Ostafrika, wo die deutschen Schutztruppen eine Art Guerilla-Krieg gegen die Briten führten. Wir zeigen dort ein sehr interessantes Exponat, nämlich das Tagebuch des deutschen Gouverneurs von Ostafrika, Schnee, und der Herr Schnee kritisierte in seinem Tagebuch durchaus die deutsche Kriegsführung von Lettow-Vorbeck. Unter dieser Kriegsführung litten besonders die Zivilisten.
    Bis heute ist nicht genau bekannt, wie viele Menschen in Deutsch Ostafrika, insgesamt in Ostafrika gestorben sind in Folge des Ersten Weltkrieges. Es waren vermutlich mehrere Hunderttausend. Das sind Aspekte, die heute, wenn wir vom Ersten Weltkrieg sprechen, so gut wie unbekannt sind.
    Schmitz: Es geht in der Ausstellung auch um die Voraussetzungen und Folgen des Ersten Weltkrieges. Was sagt die Ausstellung dazu, was zeigt sie auch dazu?
    Mix: Die Ausstellung beginnt mit einem Raum, der heißt "Die moderne Welt von gestern" in Anlehnung an Stefan Zweig. Stefan Zweig in seinen Lebenserinnerungen wirft ja einen sehr wehmütigen verklärenden Blick auf die Welt von 1914. Wir zeigen, dass die Welt von 1914 sehr modern war, moderne Aspekte hat insofern, dass die Wirtschaft international war, global ausgerichtet, würden wir heute sagen, dass die Kultur modern war, dass kulturelle Trends und Moden zwischen den Hauptstädten zirkulierten.
    Zugleich gab es in dieser Welt aber auch Phänomene, die uns heute sehr fremd sind. In allen europäischen Großmächten herrschte ein starker Nationalismus, der Militarismus war all gegenwärtig, Truppenparaden, so was zeigen wir in der Welt von 1914.
    Schmitz: Hauptaugenmerk liegt auf der Eskalation der Gewalt. Wie beschreibt die Ausstellung diese Eskalation?
    Mix: Wir zeigen die Eskalation der Gewalt, von der ja nicht nur Soldaten betroffen waren, sondern auch Zivilisten an der Heimatfront, beispielsweise durch die neue Kriegstechnik, die zum Einsatz kam: Giftgas, Flammenwerfer, Maschinengewehre.
    Schmitz: Sie positioniert sie auch zur Schuldfrage. Wer ist Hauptverursacher, oder wird allgemein eher eine Dynamik hervorgehoben?
    Eskalation der Gewalt durch neue Kriegstechnik
    Mix: Das ist ein sehr schwieriger Aspekt für das Medium Ausstellung. Die sogenannte Juli-Krise, diese sechs Wochen zwischen dem Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger in Sarajewo und den Kriegserklärungen, die war ja geprägt von Geheimdiplomatie, von Blankoschecks und Geheimdepeschen.
    So was ist schwer auszustellen und es ist vielleicht auch für den Besucher nicht sehr interessant, diese kleinteiligen Dokumente. Wir zeigen diese Wochen, wie sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, nämlich als internationales Medienereignis. Wir zeigen große Zeitungswände mit den Schlagzeilen internationaler Presse aus diesen Wochen.
    Schmitz: Jede Ausstellung hat immer so zwei, drei, vier, manchmal auch eine Handvoll Prunkstücke, besonders interessante Funde, die man bisher nicht gesehen hat. Gibt es sie in Ihrer Ausstellung? Welches sind Ihre Lieblingsobjekte?
    Mix: Beispielsweise die Glacehandschuhe eines Soldaten, der sie im Krieg in seinem Rucksack getragen hat. Er wollte sie anziehen beim Einmarsch in Paris. Dazu ist es bekanntlich nie gekommen und er hat sie bis zu seinem Lebensende aufbewahrt. Wir zeigen diese Handschuhe, wir zeigen den Rucksack und wir zeigen ein Foto dieses unbekannten Soldaten.
    Schmitz: Beim Ersten Weltkrieg denken wir vor allem an die Stahlgewitter, an die Schlachtfelder im Schlamm voller Leichen an der französischen Front, Szenen, die in vielen Filmen festgehalten worden sind, auch Dokumentarfilmen. Die bieten Sie, vermute ich, auch.
    Mix: Wir zeigen sehr viele Filmstationen, aber wir konzentrieren uns nicht nur auf die Westfront. Wie Sie schon sagten, ist der Blick in Deutschland auf den Ersten Weltkrieg sehr stark durch diese Bilder geprägt, durch die Bilder von Schützengräben im Westen. Wir zeigen auch andere Kriegsschauplätze und wollen darauf hinweisen, dass der Krieg nicht nur im Westen ausgetragen wurde, sondern auch im Osten, in Südosteuropa, im Osmanischen Reich. Auch diese Kriegsschauplätze thematisieren wir.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.