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Ausstellung zur Gruppe ZERO
Als leise noch modern war

Mit kinetischen Konstruktionen und der Inszenierung von Licht betrat die Künstlergruppe ZERO 1959 Neuland. Ihr Ziel: nach der Stunde Null in Deutschland eine bessere, schönere Welt gestalten. Eine Ausstellung in Bonn fragt, was man heute aus den Utopien eines Heinz Mack, Otto Piene oder Günther Uecker lernen kann.

Von Peter Backof | 25.11.2016
    Plakat zur Ausstellung ZERO in Bonn, StŠdtische Kunstsammlungen Bonn, 1966, Entwurf von Heinz Mack, Otto Piene und GŸnther Uecker
    Plakat zur Ausstellung "ZERO" in Bonn, 1966, StŠädtische Kunstsammlungen. Entwurf von Heinz Mack, Otto Piene und GŸnther Uecker (© VG Bild-Kunst, Bonn 2016)
    "ZERO ist der Anfang, ZERO ist rund, ZERO ist schön, Dynamo! Dynamo! Dynamo!"
    "Die waren für eine positive Zukunft. Die wollten schon was Neues schaffen, die Gesellschaft prägen, die Welt schöner machen!"
    Erklärt Tiziana Caianiello, eine der beiden Kuratorinnen, von der ZERO-Foundation in Düsseldorf. Die Ausstellung im LVR-Landesmuseum Bonn ist eine Rekonstruktion der letzten ZERO-Schau von 1966. Die Besucher sollen "ZERO ist gut für dich!" so erleben wie ein Publikum vor 50 Jahren. Fotos und Sounds von New Yorker Straßen, daneben pulsierende Infrarotlampen, Regenbogen-Spektren und Fernsehtestbild-Varianten. Alles handbearbeitet von Otto Piene, in dieser "Hommage an New York", mit einem Karussell-Diaprojektor als Dreh- und Angelpunkt im Raum.
    "Wenn wir jetzt eine Installation wie diese von Piene sehen: scheint uns ziemlich langsam im Vergleich zu was wir gewohnt sind. Weil die Dias sich mit einem relativ langsamen Rhythmus abwechseln", sagt Caianiello.
    "Viele Künstler waren dabei in seltsamer Verkleidung"
    So würde man heute auch Musikfestivals, Woodstock und Co., als viel zu leise empfinden.
    "Damals war das extrem modern. Die Journalisten berichteten von 'schnellem Rhythmus' und Sinnenreizen."
    "Ein geheimnisvolles Zeichen, ZERO, und seltsame Geräusche, viele Künstler waren dabei in seltsamer Verkleidung. - Meine Damen und Herren, glaubwürdigen Berichten zufolge streben die Exponenten der Null-Konzeption eine gewisse Volksverbundenheit an", hieß es in der Berichterstattung im WDR-Fernsehen.
    Ein dokumentarischer Teil in der Bonner Schau bereitet das alles auf: Zeitgeist, Medienecho, Theorie von ZERO und wie es beim Publikum ankam. Auch der dokumentarische Teil ist in Bonn technikverliebt designt: Wirkt fantasievoll wie ein Raumschiffcockpit aus Star Trek und Raumschiff Orion. Und auch das ist Rekonstruktion: Des Lebensgefühls vor 50 Jahren. Weniger Rebellion war die "Null-Konzeption" bei Düsseldorfer Wirtschaftsbossen beliebt, als Wirtschaftswunderkunst. Plastisch gemacht von Günther Uecker, den man heute als Künstler, der Nägel verarbeitet, kennt. Co-Kuratorin Thekla Zell:
    "Zumindest mal kein Nagel, wie man erwarten würde bei Uecker. Es ist eine besondere Installation von Uecker: eine der ersten programmierten Lichtinstallationen, die auch begehbar ist."
    Der Zero-Mitternachtsball im Bahnhof Rolandseck (Remagen) am 25./26. November 1966.
    Aufnahme vom Mitternachtsball der Künstlergruppe ZERO im Bahnhof Rolandseck (Remagen) am 25./26. November 1966. (Werner Kohn/ZERO foundation)
    Ein Dickicht aus raumhohem Stahlgestänge, in dem Neon-Stäbe Morsesignale aus Licht senden. Wie wirkt Technik körperlich? Das kann man hier erfahren. Licht ist gut, der Himmel ist gut, auch eine Botschaft dieser Künstler, die - als Kinder im Weltkrieg - erlebt hatten, dass aus dem Himmel nichts Gutes kommt. Aus heutiger Sicht erkennt man darin Illumination von Gebäudefassaden, die mit solchen Rhythmen aus Licht bespielt werden, bis hin zur Reklame. Kunst daraus zu machen, geht auf ZERO zurück, als liebevoll handgemachte, wie selbst erfundene Technik-Utopie.
    "Das Fluggeschäft des Tourismus hat noch nicht begonnen. Das heißt: Der Normalsterbliche hat noch nie in einem Flugzeug gesessen. Man kannte also diese Bilder von über den Wolken eigentlich nur aus Magazinen und hat sich eher ganz konkret vorstellen können, auf den Mond zu fliegen, weil das war damals in aller Munde, das war ja in der Vorbereitung", so Museumsleiterin Gabriele Uelsberg über die Installation von Heinz Mack.
    Waben - auch im 21. Jahrhundert das stabilste textile Konstruktionsprinzip
    Über einer Wolke aus strahlend weißer Glaswolle rotieren Segel aus Bienenwaben-Textil, wie sie für die Raumfahrt entwickelt wurden. Die Wabe - tatsächlich einmal von Bienen entwickelt - bleibt auch im 21. Jahrhundert das stabilste textile Konstruktionsprinzip: reißt nicht, weil es keine geraden Linien gibt. Einbeziehung modernster technischer Mittel war das 1966. Sie wirkt bis heute futuristisch und vor allem:
    "Ja und diese Poesie auch! Wahnsinnige Effekte, die aus sehr einfachen Mitteln entstehen", sagt Tiziana Caianiello.
    "Wir" von 2016 sind also auch: neidisch. Etwas, was dem Prinzip Retro innewohnt. Forschergeist, Selbst-Gebautes und -Programmiertes, im Glauben an eine gute Zukunft. Man möchte auch heute so etwas Faszinierendes bauen wie die ZERO-Künstler vor 50 Jahren. Insofern ist ZERO aktuell.
    Die Ausstellung "ZERO ist gut für Dich. Mack, Piene, Uecker in Bonn 1966/2016" ist vom 26.11.2016 bis zum 26.03.2017 im LVR-LandesMuseum Bonn zu sehen.