Eine Handvoll Strichmännchen, sie sind in einer riesigen Zentrifuge gelandet – da stehen sie nun zusammengepfercht, klammern sich verzweifelt aneinander, um nicht aus der Kurve zu fliegen. Die Männer kämpfen nicht nur gegen die Schwerkraft, sondern vor allem um ihr politisches Überleben. Einer ist unschwer als Kaiser zu erkennen, daneben demokratische Politiker mit Monokel auf der Nase und dem Versailler Vertrag in der Hand. "Demokratie" nannte George Grosz seine Zeichnung aus dem Jahr 1919, die zeigt: Die politische Gemengelage zu Beginn der Weimarer Republik war hochexplosiv. Das Trauma des verlorenen Weltkriegs, die hohen Kriegsschulden, Armut und Arbeitslosigkeit belasteten das demokratische Experiment von Anfang an. Viele Künstler sahen es in den folgenden Jahren als ihre Pflicht, politisch Stellung zu beziehen, allen voran George Grosz:
"Die Menschen haben ein niederträchtiges System geschaffen – ein Oben und ein Unten. Was aber hat das mit 'Kunscht' zu tun? Eben das, dass viele Maler diese Dinge immer noch dulden, ohne sich klar dagegen zu entscheiden. Den Unterdrückten die wahren Gesichter ihrer Herren zu zeigen, gilt meine Arbeit. Der Mensch ist nicht gut, sondern ein Vieh."
Die hässliche Fratze der Weimarer Republik
Und so begegnet einem in der Frankfurter Ausstellung nicht das "goldene Zeitalter", sondern die hässliche Fratze der Weimarer Republik: Kriegskrüppel und Bettler, Prostituierte und Selbstmörder, populistische Agitatoren und Großindustrielle, die sich skrupellos an der Inflation bereicherten. Werke oft gezeigter Künstler wie George Grosz, Otto Dix und Franz Radziwill hängen neben weniger bekannten Arbeiten von Malerinnen wie Hilde Rakebrand oder Kate Diehn-Bitt. Stilistisch eint sie alle die Gegenständlichkeit, die Abstraktion war nach dem ersten Weltkrieg für unbrauchbar erklärt worden. Sogar Otto Dix, der sich eigentlich nie als politischer Künstler verstanden hatte, erklärte im Rückblick:
"Wir wollten die Dinge ganz nackt, klar sehen, beinahe ohne Kunst."
"Kein Unterschied zwischen Grosz und Stürmer-Karikatur"
Die Ausstellung in der Schirn ist ein Lehrstück in Sachen politischer Kunst – vor allem, da sie vor Augen führt, in welchem Dilemma politisch engagierte Künstler stecken: Wer verstanden werden will, muss unmissverständliche Botschaften senden. Aber eindeutige Bilder sind keine Kunst, sondern Propaganda. Und so sind sich auch die Kunsthistoriker nicht einig, wie das politische Engagement etwa eines George Grosz zu bewerten ist. Olaf Peters, der am Ausstellungskatalog mitgewirkt hat, stellt mit Blick auf manche Bilder fest, "dass man etwas schockiert ist, wie antidemokratisch die scheinen, wie sie sich zum Teil an rassistischen Stereotypen bedienen, um eine jüdische Industriellenklasse zu denunzieren. Wo wir heute denken: Das kann nicht sein! Das sind doch die linken progressiven Künstler. Da kann ich manchmal keinen Unterschied zwischen einem George Grosz und einer Stürmer-Karikatur sehen. Und ich habe gewissermaßen ein großes Problem damit, zu beurteilen: Wie weit stehen diese Künstler denn jetzt auf dem Boden der Demokratie?"
Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Frankfurter Ausstellung widerspricht ihrem Kollegen, der Stürmer-Vergleich geht ihr zu weit:
"George Grosz war explizit politisch und Mitglied der KPD, und man wollte für eine bessere Zukunft kämpfen, aber Grosz und andere machen das subtil. Und man hat ihnen dann vorgeworfen – von links – sie würden die Errungenschaften der Kommunisten nicht positiv genug darstellen. Und dann hat Grosz gesagt: Das ist ja Hurra-Bolschewismus! Wir wollen keine Künstler sein, die dem Staat dienen. Kunst ist immer frei, Kunst ist subversiv, Kunst ist mehrdeutig, ein gutes Kunstwerk ist nie die Illustration eines Themas."
Bilder von damals als Warnung
Ein schmaler Grat auf dem sich die Künstler damals bewegten – und heute wieder bewegen, man denke etwa an die diesjährige hochpolitische documenta. Sogar die Themen sind teils dieselben: Gender-Fragen, Kapitalismuskritik, soziale Ungleichheit, vieles von dem, was in den Bildern der 20er Jahre aufflackerte, wird knapp 100 Jahre später wieder diskutiert – jetzt allerdings in globaler Perspektive.
In Deutschland sind wir heute weit von den Weimarer Verhältnissen entfernt - mit fast 70 Jahren Demokratieerfahrung, einer blühenden Wirtschaft und wenig Arbeitslosen. Dennoch dürfen auch wir die Bilder von damals durchaus als Warnung lesen – als Beleg dafür, welch enorme gesellschaftliche Sprengkraft gerade die Ungleichheit entfalten kann.
Die Ausstellung "Glanz und Elend in der Weimarer Republik" läuft noch bis zum 25. Februar kommenden Jahres.