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Austausch im Inland

Belgien ist das einzige europäische Land, in dem Studierende auch für ein Inlandsstudium Erasmus-Förderung erhalten können. Das Stipendium soll Brücken zwischen Wallonen und Flamen bauen und steht allen Belgiern offen, die im anderssprachigen Teil des Landes studieren wollen.

Von Anne Raith |
    Der Grote Markt im flämischen Leuven. Das Semester ist fast zu Ende. Während die ersten Studenten in einem der vielen Straßencafés rund um das alte Rathaus den Ferienbeginn feiern, eilen andere zu ihren letzten Prüfungen. Das Univiertel liegt nur wenige Meter entfernt. Hier studiert auch Denis Delvaux. Seit zehn Monaten ist der 23-jährige in Leuven. Vorher hat er Kommunikation in Louvain-la-Neuve, einer Kleinstadt im französischen Teil Belgiens, nur 30 Kilometer weiter südlich, studiert.

    "Ja, klar haben meine Freunde am Anfang ein paar Witze gemacht. Von wegen; oh, du gehst ins Ausland, auf die andere Seite der Sprachgrenze. Aber das war echt harmlos, keine Kritik."

    Zwei große Sprachgemeinschaften in einem Staat. Im Süden die frankophonen Wallonen, im Norden die niederländischsprachigen Flamen. Beide haben eigenen Schulen, eigene Radio- und Fernsehsender und seit 40 Jahren auch ihre eigenen Unis. Ganz selbstverständlich ist für Denis daher auch, dass er für sein Studium im flämischen Leuven Erasmus-Förderung bekommt. Erasmus-Belgica genauergesagt, finanziert von der nationalen Prinz-Philipp-Stiftung, erklärt Elke Timmermans vom Internationalen Büro der Universität Leuven:

    "Jede Gemeinde hat in ihrem Teil des Landes gelebt. Da wollte man von nationaler Ebene aus gegensteuern, den Austausch fördern. Vor allem Studenten sollen die anderen Regionen und die Menschen auf der anderen Seite der Sprachgrenze kennenlernen. "

    Damit ist Belgien das einzige europäische Land, in dem sich Studenten für ein Inlandsstudium um ein Erasmus-Stipendium bewerben können. Die Bedingung: Denis muss während des Austauschjahrs nach Leuven ziehen - und darf nicht pendeln. Elke Timmermans:

    "Es ist doch noch einmal etwas anderes, dort zu leben als nur Urlaub zu machen. Viele Studenten sagen nach ihrer Rückkehr, dass es eine echte Erfahrung war und auch ein kleiner Kulturschock. "

    In den siebziger und achtziger Jahren wäre solch ein Austausch undenkbar gewesen. Noch bis 1968 hatte es "belgische" Hochschulen gegeben, an denen Flamen und Wallonen gemeinsam studierten. Doch auch die Uni Leuven wurde 1968, fast 500 Jahre nach ihrer Gründung, geteilt. Heute studieren in Leuven eigentlich nur noch Flamen. Die Wallonen bauten nur dreißig Kilometer entfernt ihre eigene Universität in Louvain-la-Neuve, Neu-Leuven. Die Trennung, sagt Jan Roegiers, Professor für Geschichte und Archivar an der Uni Leuven, sei damals einfach notwendig gewesen:

    "Die Universität war schon in dieser Zeit ein Anachronismus. Eine teilweise französischsprechende Universität in einer flämischen Stadt. Das war eine politische Ausnahme mit vielen kleinen Problemen jeden Tag und das haben die Politiker und die breite Öffentlichkeit nicht mehr hingenommen. "

    Heute versuchen beide Universitäten wieder enger zusammenzuarbeiten. 20 flämische Studenten sind dieses Jahr mit dem Erasmus-Programm nach Louvain-la-Neuve gegangen, 40 wallonische Studenten nach Leuven gekommen. Doch die Kooperation bleibt schwierig, räumt Professor Jan Roegiers ein:

    "Die Universitäten in den französischsprachigen Gebieten orientieren sich eher an den Universitäten in Frankreich. Die flämischen Universitäten arbeiten zusammen mit den holländischen Universitäten. Die Zusammenarbeit an beiden Leuvener Universitäten ist nicht immer einfach."

    Auch deswegen, weil manche es gar nicht wollen. Thomas Vandormael sitzt in der Studentenkneipe "Politika". Der Student war einmal in seinem Leben in Louvain-la-Neuve. Der Süden Belgiens sei ihm so fremd wie ein anderes Land, sagt er und zitiert eine Redensart:

    "Das einzige, das Belgien zusammenhält sind der König, das Bier und die Fußball-Nationalmannschaft. Auch wenn die eigentlich ziemlich schlecht ist. "

    Er sieht sich deswegen auch als Flame und nicht als Belgier. Diese Meinung ist durchaus mehrheitsfähig an der Leuvener Uni, ganz sicher aber in der Fachschaftsvertretung Loko, der Thomas vorsteht.

    Denis Delvaux hat von den Auswirkungen des innerbelgischen Konflikts während seines Erasmusjahrs an der Uni Leuven nichts mitbekommen.

    "Ich hab vielleicht ein, zwei Graffitis gesehen "Wallonen raus", aber das wirklich nur ganz selten. Probleme beim Zusammenleben gab es in dem ganzen Jahr, in dem ich da war, nicht. "