Donnerstag, 28. März 2024

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Austausch zwischen der arabischen und westlichen Welt

Kreuz, Pik, Herz, Karo – die vier Farben des Kartenspiels geben der neuen Stücke-Tetralogie "Playing Cards" des Regisseurs Robert Lepage die Namen. Der Bezug auf das Kartenspiel ruht auf dem Hintergrund, das die Ursprünge des Spiels im Orient liegen. So beschäftigt sich der erste Teil "Spades" mit Las Vegas und Bagdad.

Von Eberhard Spreng | 10.05.2012
    Zwei Soldaten stehen in einer staubigen Nacht, mit kleinen Helmlampen leuchten sie in die Gegend. Es ist 2003, der dritte Golfkrieg hat begonnen. Robert Lepage nimmt den gerne unter das ideologische Leitmotiv "Krieg der Kulturen" subsumierten Konflikt zwischen den USA und der arabisch-islamischen Welt als historische Folie für die flüchtigen, alltäglichen Begegnungen zwischen Menschen in einem Las Vegas der Unterhaltung, Spielerei, erotischen Suche. Ein junges Paar wird von einem Kerl in Elvis Presley Kostüm getraut. Ein Zimmermädchen führt ein anderes in die Raumpflege ein, ein Mann an der Bar scheitert beim Bezahlen an der Sperrung seiner Kreditkarten. Immer wieder tauchen diese Menschen innerhalb einer Dramaturgie auf, die quasi spiralförmig fortschreitet und ihre Figuren in unverbundenen kurzen Szenen allmählich immer weiter entwickelt. Und immer wieder spielen dabei ein Major und seine zwei Rekruten eine Rolle, etwa wenn im Rahmen der Vorbereitung für den Irak-Einsatz das Filzen einer irakischen Familie geübt werden soll?

    "- A fuckin’ knife, a fuckin’ knife in here. Still think, you did a good job? What do we got here? – Search me, search me! What’s that, there’s something down there, would be pleased to see. What we fuckin’ have here. We have a fuckin’ gun! Still think you did a good job? - No, Sir"

    Erotisch übergriffig ist dieser Major gegenüber seinen beiden Rekruten aus Dänemark und Spanien. Der irische Schauspieler Tony Guilfoyle verkörpert hier den harten Kerl mit völlig ungeklärten seelischen Bedürfnissen. In einer weiteren Rolle spielt er einen amerikanischen Fernsehmann, der auf TV-Messen Ideen für Serien und TV-Formate verkauft und plötzlich wieder seiner eigentlich schon einmal überwundenen Spielleidenschaft verfällt. Deshalb also hatte der Mann zuvor Sorgen beim Bezahlen, und deshalb streitet er sich nun heftig in seinem Hotelzimmer mit seiner Maitresse, einer ehemaligen Trinkerin, die bei einer Geschäftsreise in Russland rückfällig geworden ist: Zwei hilflose Opfer ihrer Sucht, heillos verstrickt in gegenseitige Vorwürfe. Nun, nach immerhin fast zwei Stunden, fügen sich die Geschichten zu einer Leitfrage zusammen: Wie umgehen mit dem dunklen, unbekannten Kern unserer Persönlichkeit? Plötzlich bekommt auch ein kurioser Cowboy Profil, der bei einem jungen Paar erotische Verwirrung stiftet, und auch in anderen Geschichten immer dann auftaucht, wenn dort der dunkle Punkt, das Unbekannte berührt wird. Als Pfandleiher verkleidet, nimmt er nun auch dem heillos verschuldeten Spieler die Armbanduhr ab, der das eigentlich unveräußerliche Erinnerungsstück seit dem Tod seiner Mutter mit sich führt, obwohl die Uhr im Moment ihres Todes zu ticken aufhörte. Jetzt kehrt auch das Spielglück zurück, der TV-Produzent macht Kasse, lässt das Geld an der Rezeption zurück und geht in die Wüste. Zur eigenen Wiedergeburt unter der tätigen Beihilfe jener Rätselfigur, die im Kartenspiel nur der Joker sein kann: Eine unberechenbare, fast allmächtige Größe. Er hat am Ende alles an sich gerissen, das Geld, die Herzen der Damen, die Jobs im Hotel. Ironisch, mit Federboa und Showästhetik lässt Lepage die Reise seiner Figuren ins Herz der Finsternis enden.

    Der Rundbau im Teatro Circo Price fokussiert die Blicke der Zuschauer auf ein rundes Podest, in dessen Mitte ein Karree eingelassen ist, aus dem Türen aufsteigen können, Haltegriffe von Swimmingpooltreppchen, ein großes Hotelbett. Bei dieser ersten Aufführung von "Spades" hatten noch nicht alle Szenenabläufe diese traumwandlerische Sicherheit des Lepage-Theaters, in dem bislang Spiegel, Nebel, Beleuchtung und vieles andere für zauberhafte Transformationen sorgten, in dem Menschen im Handumdrehen zwischen Kontinenten und Epochen und in Nullkommnichts vom kleinen Privaten ins universell Symbolische wechseln konnten. Zu sehr liefert diese von allen Seiten einzusehende Bühne ihre Akteure unentwegt dem Blick der Zuschauer aus, fordert das Ostentative und hemmt die Entwicklung von Spielachsen in diesem englisch- , spanisch- und französischsprachigen Stück. Vielleicht ist auch eine Dramaturgie, die im Kollektiv mit den Schauspielern aus diversen Ländern entstanden ist, nicht so stringent wie die in anderen Arbeiten des Opern- Theater- und Filmregisseurs. Wer weiß, vielleicht ist auch dieses wieder ein Work in Progress und der Francokanadier mischt die Karten noch einmal neu und ändert etwas an der Abfolge der vielen Geschichten, die er erzählt.