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Australiens Weite - Europas Romantik

Für seinen Roman "Das Auge des Sturms"und für die "Einführung eines neuen Kontinents in die Literatur" erhielt Patrick White 1973 als erster Australier den Nobelpreis. Er kämpfte nicht nur für sein Literaturstudium in Cambridge, sondern auch für die Rechte der Aborigines und gegen den Vietnamkrieg.

Von Ruth Fühner | 28.05.2012
    "My heart is in London, but my blood is Australian.”

    Patrick White war ein Zerrissener: kulturell zuhause in Europa, und Australien in unauflöslicher Hassliebe verbunden. Geboren wurde er am 28. Mai 1912 in London, wo die Eltern auf ihrer Weltreise Station machten. Asthmakrank und isoliert, verlebte er seine Kindheit auf dem weitläufigen Familienanwesen in Sydney. Mit 13 wurde er zu dem verurteilt, was er seine "Gefängnisstrafe" nannte - vier Jahre Internat in England. Noch mehr als zuvor wurden Literatur und Theater ihm zum Zufluchtsort, sein Berufswunsch: Schauspieler. Doch die Eltern, die ihn vor allem als Erben ihrer Viehzüchterdynastie sahen, verlangten ihm eine Probezeit als Farmgehilfe ab.

    Erst danach war der Weg frei zum Literaturstudium in Cambridge – und für Reisen nach Deutschland, dessen romantische Literatur ihn faszinierte. Schon bald veröffentlichte White Gedichte und Theaterstücke; 1939 erschien sein erster Roman: "Happy Valley", eine Darstellung des australischen Landlebens, die vom englischen Publikum weit wohlwollender aufgenommen wurde als an ihrem Schauplatz. Im Zweiten Weltkrieg war Patrick White Nachrichtenoffizier der Royal Air Force im Nahen Osten. Danach trieb ihn das Heimweh nach der Weite Australiens nach Sydney zurück. Doch ein Publikum fand er dort lange nicht. White stürzte in eine Schreibkrise, die er mit dem Züchten von Blumen, Gemüse und Milchvieh überstand – und immer wieder mit Bartoks Violinkonzert.

    Erst mit dem Roman "Voss" kam 1957 der Durchbruch auch im eigenen Land. Der deutsche Titelheld, in seinem Größenwahn Faust und Hitler nicht unähnlich, sieht in der australischen Wüste den Gegner, an dem er sein Übermenschentum beweisen kann.

    "Sie ritten eine Ewigkeit über die bucklige und hassenswerte Erde, die die Sonne so lange versengt hatte, bis sie, erschöpft und bröckelig, tückisch geworden war … Die Weißen, deren Appetit vom Staub erstickt war, würgten die ledernen Hammelkeulen hinunter und kauten aus Gewohnheit an den weißlichen Koteletts … Die Geister der Dinge gingen um, und in dem Frühlicht ließen die Männer und Tiere die Landschaft hier nur noch spukhafter erscheinen. Es ist nicht anders, als wir erwartet haben, versicherte sich der Deutsche.
    Seine Gesichtszüge waren magerer geworden, seine blassblauen Augen sahen nach dieser Bestätigung ihrer Voraussicht die Tatsachen klarer und schärfer."


    Whites Geschichten um die fiktive Kleinstadt Sarsaparilla wurden auch in Australien zu Bestsellern – obwohl sie ein wenig schmeichelhaftes Bild der materialistischen Mittelschicht des Kontinents zeichnen, nicht frei von Zorn und auch von Snobismus.

    "Die meisten Leute sind nicht besonders interessiert an intellektuellen Bestrebungen irgendeiner Art, sie amüsieren sich draußen, sie wollen Auto fahren und Geld verdienen."

    Die "große australische Leere" war Whites Thema und sein bevorzugter Schauplatz; aber als Erzähler war er in Europa zuhause – bei James Joyce, in der griechischen Mythologie, im jüdisch-christlichen Mystizismus. Seine Helden sind sämtlich Suchende, oft wenig liebenswerte Menschen am Rand der Gesellschaft. Qual und Erniedrigung liegen vor ihnen, bis sie zur Erlösung finden. Wie die herz- und gnadenlose Elizabeth, die todgeweihte Hauptfigur des Romans "The Eye of the Storm", in der Verfilmung gespielt von Charlotte Rampling.

    Für "The Eye of the Storm", "Das Auge des Sturms" – und für die "Einführung eines neuen Kontinents in die Literatur" – erhielt White 1973 als erster Australier den Nobelpreis. Notorisch öffentlichkeitsscheu, schickte er einen Freund zur Verleihung; das Geld nutzte er, um selbst einen Preis für mittellose Kollegen zu stiften. White war ein engagierter Kämpfer gegen die in Australien noch lange übliche Zensur; er kämpfte gegen die Beteiligung seines Landes am Vietnamkrieg, gegen den Uranbergbau und gegen Nuklearwaffen - und er trat ein für die Rechte der Aborigines. 78 Jahre alt, starb Patrick White 1990 in Sydney.