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Auswandern in die Heimat

Eine Studie belegt, dass viele türkisch-stämmige Studierende in Deutschland nach dem Ende ihres Studiums die Bundesrepublik verlassen und ihre berufliche Zukunft in der Türkei suchen wollen. Häufigster Grund für die Entscheidung, Deutschland zu verlassen, ist ein "fehlendes Heimatgefühl".

Von Dorothea Jung | 20.04.2009
    "Als wir 2008 die Online-Befragung von 250 repräsentativ ausgewählten türkisch stämmigen Studierenden und Akademikern gestartet haben, war uns nicht klar, welche Brisanz die Auswanderungswilligkeit der Gruppe haben würde ... "

    ... , bekennt futureorg-Chef Kamuran Sezer. Deswegen hätten er und sein Team in einem weitergehenden Analyseschritt die Daten der Akademiker, die abwandern möchten, mit denen verglichen, die hierbleiben wollen. Kamuran Sezer sagt, man habe zum einen ökonomische und berufliche Motive beleuchtet und zum anderen familiäre und politische Hintergründe untersucht:

    "Was uns aufgefallen ist, dass insbesondere die Akademiker und Studierende auswandern möchten, die wir in die Kategorie 'aufstiegsorientiert' eingeordnet haben. Das hat natürlich 'ne ganze Reihe von Fragen aufgeworfen - 'Warum?', in erster Linie natürlich."

    Dass diese karrierebewussten Akademiker ihre berufliche Perspektive eher in der Türkei sehen, hat Kamuran Sezer zufolge nicht nur mit der schlechten deutschen Arbeitsmarkt-Situation für türkisch-stämmige Hochschulabsolventen zu tun. Auch das Wirtschaftswachstum in der Türkei spiele eine Rolle, sagt der Sozialforscher. Zweisprachige Migranten mit einem deutschen Diplom würden von Arbeitgebern in der Türkei geschätzt:

    "Auf der einen Seite gibt es einen Druck auf dem Deutschen Arbeitsmarkt, der sie quasi wegdrückt; und auf der anderen Seite gibt es einen Bedarf in der türkischen Wirtschaft, der sie dann dahin zieht. Diese 'Push-and-Pull-Faktoren' spielen da eine ganz wesentliche Rolle."

    Ebenfalls entscheidend für den Abwanderungswunsch sind familiäre Hintergründe. Die Studie ergab, dass die Mehrzahl der Studierenden, die auswandern wollen, weil sie sich in Deutschland nicht heimisch fühlen, aus einer Familie stammt, die sich hier auch nicht zu Hause fühlt:

    "Wenn die Eltern unzufrieden mit ihrem Leben in Deutschland sind, dann sind ihre Kinder am ehesten bereit, in die Türkei abzuwandern. Wenn die Eltern bereuen, jemals nach Deutschland eingewandert zu sein, dann ist die Bereitschaft ihrer Kinder am höchsten. Wenn die Eltern schlecht deutsch sprechen, ist auch die Abwanderungsbereitschaft sehr hoch."

    Auch eine doppelte Staatsbürgerschaft der Eltern sei ein Faktor, der die Studierenden in dem Wunsch bestärkt, auszuwandern. So der Wissenschaftler. Denn Hochschulabsolventen aus einem eingebürgerten Elternhaus sähen ihre Zukunft eher in Deutschland als in der Türkei. Deswegen ist Kamuran Sezer sicher: Die deutsche Staatsbürgerschaft erzeugt in den Migranten auch ein deutsches Heimatgefühl.
    Die Ergebnisse der Studie stimmen den Vorsitzenden des Bundesverbandes türkischer Studierenden-Vereine sehr nachdenklich. Serdar Yazar, der an der Freien Universität in Berlin Politikwissenschaften studiert, will nach seinem Master-Abschluss auf jeden Fall in Deutschland bleiben. Yazar ist deutscher Staatsbürger und nach eigenem Bekunden leidenschaftlich gern Berliner. Er sieht seinen Migrationshintergrund als Chance:

    "Gerade in einer Metropole in Berlin, in einem Zentrum der politischen Öffentlichkeit in Deutschland, seh ich für mich persönlich sehr gute Karriere- Chancen."

    Serder Yazar war überrascht, in der Untersuchung zu lesen, dass 40 Prozent der abwanderungswilligen Studierenden die deutsche Integrationspolitik als unglaubwürdig bewerten. Für ihn als studentischen Verbandsfunktionär sei das ein Auftrag sowohl die deutsche Gesellschaft als auch die türkische Community aufzuklären. "Türkisch-stämmige Akademiker und Akademikerinnen sind interkulturelle Fachkräfte", sagt der Politikwissenschaftsstudent:

    "Das müssen wir verstärkt kommunizieren."