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Auswanderung oder Umbildung

Die Chance, dass man in Polen nach dem Studium einen Job bekommt, ist für viele Hochschulabsolventen gleich Null. Mit dem Diplom in der Tasche arbeiten die Jungakademiker als Verkäufer, Kellner oder Aushilfskräfte. Der Traumjob bleibt für viele in der Tat nur ein Traum.

Von Justyna Bronska |
    Ein Restaurant in Krakau. Die junge Frau in roter Schürze begrüßt die Gäste und empfiehlt dem jungen Paar den hausgemachten Apfelkuchen. Die Kellnerin ist Dorota Wos. Seit fünf Jahren jobbt die Studentin schon in diesem Restaurant. Doch nun soll endlich Schluss sein - Dorota muss nur noch eine Prüfung nächste Woche bestehen und dann hat sie es geschafft: Dann darf sie sich endlich Diplom-Biologin nennen:

    "Na ja die Frage ist, ob ich danach einen Job finde. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Hochschulabsolventen ist schlecht. Ich bleibe erstmal hier in dem Restaurant, wenn sich nichts anderes ergibt. Was soll ich denn sonst machen? Klar würde ich gerne was Anspruchsvolleres machen."

    Und eben nicht mehr kellnern. Die quirlige Frau ist jetzt 25. Biologie-Lehrerin zu werden, war ihr großer Traum. Und jetzt?

    "Ich bin zu 100 Prozent sicher, dass ich keine Stelle in meinem Beruf, also als Lehrerin bekommen werde. Es gibt viele Lehrer, die eigentlich schon im Ruhestand sein müssten. Sie nehmen aber uns jungen Leuten die Arbeitsplätze weg."

    Rund zehn Prozent, das sind knapp 150.000 polnische Hochschulabsolventen, sind heute ohne Job. Im europäischen Vergleich ist das schon viel. In Deutschland zum Beispiel sind heute gut vier Prozent, in Großbritannien nur zwei Prozent arbeitslos.
    Zwei Drittel der arbeitslosen Jungakademiker in Polen sind Frauen. Vor allem wer Umweltschutz, Russisch oder Sozialpädagogik studiert hat, hat kaum Chancen, eine Stelle zu finden.

    Um ihre Zukunft zu sichern, lassen sich viele Studenten noch für einen anderen Beruf ausbilden, so wie Dorota. Während sie den Caffè Latte fertig macht, erzählt die kellnernde Studentin:

    "Ich habe neben meinem Studium noch eine Lehre als Visagistin gemacht, eine andere Freundin als Kosmetikerin und noch eine als Friseurin. Wir planen zu dritt einen Kosmetiksalon aufzumachen. Ob es klappt? Das ist auch eine Frage. Viele meine Freunde arbeiten heute zum Beispiel als Verkäufer. Wir machen dann einfach Jobs, für die man kein Studium braucht. Ja man muss eben nach Alternativen suchen."

    Junge Polen wie Dorota und ihre Freundinnen fragen sich deshalb, ob sie überhaupt noch studieren sollen - wenn sie danach sowieso nur Klamotten verkaufen oder Briefe austragen. Viele sehen im Verlassen der Heimat ihre einzige Chance:

    "Deshalb gehen viele Studenten ins Ausland. Ich denke, so ungefähr jeder Zweite wandert nach Westeuropa aus."
    Wie ihre ehemalige WG-Mitbewohnerin Marta Mroz. Die 27-jährige Frau kommt gerade aus Großbritannien für einen Blitzbesuch der Familie. Seit fast zwei Jahren arbeitet die studierte Volkswirtin im Ausland. Nach dem Abschluss ihres Studiums hatte sie drei Monate probiert, in Polen einen Job zu finden, vergeblich. Sie hat aufgegeben. Jetzt arbeitet sie in einem Supermarkt in einem Vorort von London:

    "Ein Bekannter hat bereits in Großbritannien gearbeitet, und er hat mir gesagt, komm doch mit. Na ja, mit meinem VWL-Studium hätte ich in Polen nicht als Verkäufer gearbeitet. In Großbritannien schon. Aber ich wusste, dass ich dort mindestens dreimal so viel verdienen würde wie in Polen."

    Marta arbeitet in einem Supermarkt. Die meisten Hochschulabsolventen aus Polen arbeiten in Restaurants, Hotels oder auf Baustellen im westeuropäischen Ausland. Ohne Englischkenntnisse bekommt man ohnehin keinen besseren Job, sagt Marta.
    Ob sie nicht zurück nach Polen wolle? Marta schüttelt heftig den Kopf, das komme für sie nicht in Frage:

    "Viele Bekannte von mir sind in der Tat nach Polen zurückgekehrt. Haben gehofft, dass sie doch noch eine Stelle in der Heimat finden werden - vergeblich. Sie konnten nichts finden, also mussten sie wieder enttäuscht nach Großbritannien zurückkehren. Unsere Regierung sagt, es gibt viel Arbeit in Polen, nur das stimmt doch nicht, es gibt nichts. Also wozu soll ich denn dann nach Polen zurückkehren?"

    Jetzt lernt Martha weiter Englisch - und hofft, damit irgendwann die Türen aufstoßen zu können zu einem besseren Job - jenseits der Supermarktkasse.