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Auswege aus dem "Kampf der Kulturen"

Der Atomstreit mit Teheran, die bewaffneten Auseinandersetzungen im Irak und in Afghanistan und der Konflikt zwischen Israel und Palästina: Der Westen steckt in der islamischen Falle, sagt der Nahostexperte Marcel Pott. Und er weist Auswege aus dieser Falle.

Von Rupert Neudeck |
    Das ist eines der Bücher, die sich einem brisanten, aktuellen Konflikt widmen. Geboren werden sie aus dem Fundus einer großen Kenntnis der nahöstlichen und arabisch-islamischen Welt, wie der Autor Marcel Pott sie als langjähriger Hörfunk-Korrespondent besitzt. Er war immer etwas abseits der politisch-korrekten Linien. Schon der Titel des Buches macht es klar: "Der Westen in der islamischen Falle". Will sagen: Der Westen hat sich nicht richtig mit dem Islam verständigt. Er hat noch nicht begriffen, dass es Länder gibt, in denen die Religion eine große wichtige, ja eine existenzielle Rolle spielt. Aber in dem Westen gibt es auch den neuen US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama, dem Marcel Pott zubilligt, dass er diese Feindschaftsfalle mit dem Islam vermeiden könnte. Barack Obama hat aber einen neuen Ton eingeführt, ein Fernsehinterview mit Al Arabiya, um die Muslime anzusprechen.

    "Ich werde nicht mit allem einverstanden sein, was dieser oder jener muslimische Führer sagt oder was das Fernsehen in der arabischen Welt zeigt, aber ich glaube, ihr werdet jemanden sehen, der zuhört, der respektvoll ist und der versucht, nicht nur die Interessen der USA zu vertreten, sondern all jener Menschen, die gerade unter Armut leiden und unter einem Mangel an Möglichkeiten. Ich möchte sicherstellen, dass ich auch zu denen spreche."

    Marcel Pott zitiert Obamas Berater, Aaron David Miller:

    Amerika darf nicht jeder Idee zustimmen, die ein israelischer Premierminister vorschlägt. Nicht jede amerikanische Verhandlungsidee muss man zuerst von Israel prüfen lassen, bevor sie der anderen Seite vorgelegt wird.

    Der Autor kennt aber auch die "arabische Krankheit". Die Araber sind sich nicht einig, die Regime beäugen sich gegenseitig und sind sich meist spinnefeind. Sie alle sind mehr oder weniger autokratisch bis totalitär geführt. Die USA setzen auf Saudi Arabien, nachdem sie das Gleichgewicht in der Region mutwillig durch den Krieg im Irak zerstört haben. Der Versuch, die sunnitischen Staaten in eine Front gegen den Iran zu bringen, so Marcel Pott, sei gescheitert. Dazu habe sich der saudische König nicht hergegeben.

    Der furchtbar verlustreiche Gazakrieg hat den Arabern die Notwendigkeit größerer Einigkeit vor Augen geführt. Die 320 Millionen Araber werden nur durch gemeinsame Politik sich aus ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Stagnation befreien können. Schlimmer als der weltweite Verlust von 2,5 Trillionen US-Dollar durch die aktuelle globale Finanzkrise sei die Tatsache, dass mehr als ein Drittel aller Araber über 15 Jahre nicht lesen und schreiben können. Damit hält die arabische Welt einen regionalen Negativrekord. In diesem Vakuum bieten sich die islamistischen Gruppen mit ihren Anstrengungen im Bildungswesen, von der Kinderkrippe bis zu islamischen Hochschulen an. So verhielt es sich mit den Taliban in Afghanistan nach 1996, aber auch mit der Hisbollah im Libanon, und eine solche Gruppe ist auch die Hamas.

    Hunderte von Checkpoints zerstückeln das Westjordanland und verhindern jeden wirtschaftlichen Austausch. Schulwege, Fahrten zur Arbeit, zum Krankenhaus, selbst für Schwerkranke oder für kurz vor der Niederkunft stehende Mütter, werden behindert oder blockiert. Gleichzeitig werden die jüdischen Siedlungen weiter ausgebaut, militante Siedler zerstören ungestraft Olivenhaine, oft jahrhundertealte Bäume, und die Ernten palästinensischer Bauern. Das geschieht unter den Augen der israelischen Armee, die das Völkerrecht schlichtweg ignoriert.
    Die große Hoffnung, die viele in der Welt auf den in Oslo ausgehandelten Vertrag zwischen Israel und der PLO legten, wurde abgrundtief enttäuscht.

    Der Friedensprozess von Oslo änderte nur die Modalitäten der Besatzung, aber nicht die Besatzung selbst.
    Marcel Pott verweist darauf, dass nicht nur der frühere Palästinenserführer Jassir Arafat mitschuldig sei an dem Zusammenbrechen des Oslo Prozesses, sondern eben auch die US-Regierung. Die Clinton-Administration ließ den Siedlungs- und Straßenbau nach dem Abkommen von Oslo geschehen, sie hat ihn sogar mitfinanziert und ermuntert. Für Marcel Pott tragen daran auch die Europäer eine Mitschuld, weil sie zu feige waren, Israel um des Völkerrechts wegen entgegenzutreten. Sie kritisierten hier und da die Siedlungspolitik, aber sie zogen keine Konsequenzen in der Handelspolitik. Marcel Pott:

    Wenn die politische Klasse in Israel darauf beharren sollte, dass die Sicherheit des Staates nur auf Kosten des Selbstbestimmungsrechtes der Palästinenser herzustellen sei, ist Frieden ausgeschlossen.
    Der Autor ist überzeugt, dass die neue amerikanische Administration eine schwierige, aber lösbare Aufgabe vor sich hat. Der beste Beweis bestehe in dem neuen Vermittler George Mitchell, der 1995 bis 1998 in Nordirland bewiesen hat, dass man Konflikte lösen kann, die unmöglich erscheinen. Am Iran wird die Weltgemeinschaft nicht vorbei kommen. Der Autor zitiert einen jungen Iraner, der ihm sagt:

    Ich meine, die Regierung sollte sich nicht in das Privatleben einmischen. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, dass der islamische Staat bald verschwinden wird. Aber ich bin der Meinung, dass er lernen muss, gesellschaftliche und politische Freiheiten zuzulassen, wenn er dauerhaft fortbestehen will.
    Der Westen hätte damals, besonders die USA, gerne zugeschaut, wenn der irakische Machthaber Saddam Hussein dem iranischen Staat damals ein richtiges Ende bereitet hätte. Der Besitz der Atombombe damals wäre für Saddam eine Abschreckung gewesen. Andererseits habe der Mullahstaat immer Realpolitik betrieben und den USA geholfen, die Taliban aus Afghanistan zu verjagen. Beide Regierungen betreiben die Stabilisierung und den Wiederaufbau in Afghanistan. Unbekannt sei die Tatsache, dass der Iran zu den größten Geberländern bei der afghanischen Wiederaufbauhilfe gehört.

    In dem Buch geht es neben den zwischenstaatlichen Beziehungen immer auch um das Thema: Wie werden wir mit Gesellschaften fertig, in denen die Religion eine für den einzelnen Bürger wie für die Gemeinschaft eine dominierende und existenzielle Bedeutung ausübt. Sie ist kein schmückendes Beiwerk, etwas, was man mit sich herumschleppt, sondern bedeutet für die Menschen einfach viel mehr. Dass in diesen fast theokratischen Staaten auch in den nächsten Generationen der Wind der Moderne und des Zweifels weht, also der Aufklärung und diese Staaten damit bedroht sein werden, scheint allen klar. Aber das gilt nicht für unsere, die nächste, wahrscheinlich nicht mal für die übernächste Generation.

    Marcel Pott bietet auf ganz engem Raum eine vorzüglich klare und zuverlässige Information über die Länder des Nahen Ostens. Der Autor hält mit seiner Einschätzung vom Titel angefangen bis zur letzten Seite nicht zurück. Alles wird in der Weltpolitik der nächsten Jahre davon abhängen, ob der Westen sich zu einem modus vivendi und einem Verhältnis zum Iran verstehen kann. Ob der auf die ganze Muslimenwelt ausstrahlende Palästinakonflikt beendet werden kann und ob die Staaten des Nahen Osten wirtschaftlich eine Freihandelszone und eine Wirtschaftszone aufbauen werden.

    Marcel Pott: "Der Westen in der Islamischen Falle. Von Jerusalem bis Teheran: Der neue Nahe Osten". Erschienen ist das Buch bei Kiepenheuer und Witsch, es hat 176 Seiten und kostet 8 Euro 95. Unser Rezensent war Rupert Neudeck.