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Auszeit für die Revolution

" Im Namen des Volkes: Erstens: Die Kommunistische Partei Deutschlands ist verfassungswidrig. Zweitens: Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst. Drittens: Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Kommunistische Partei Deutschlands zu schaffen, oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen. "

Von Marcus Heumann | 17.08.2006
    Karlsruhe, am 17. August 1956. Das Bundesverfassungsgericht verkündet nach 51 Verhandlungstagen das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands, der KPD. Die Polizei besetzt die Vorstandszentrale der KPD, noch während die 425 Seiten starke Urteilsbegründung verlesen wird. Ein Auszug:

    " Nach der aus der Verhandlung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme geschöpften Überzeugung des Gerichtes, besteht die allgemeine Zielsetzung der KPD darin, die sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung auf dem Weg über die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats herbeizuführen. Es ergibt sich eindeutig aus dem offiziell verlautbaren Programm der KPD, das auf dem Parteitag des Jahres 1951 beschlossen und als Vorspruch dem Statut der KPD vorangestellt worden ist."

    Mit dem Karlsruher Urteil wurde eine Partei erneut in die Illegalität verbannt, die vor ihrer Zerschlagung durch die Nazis noch bei den Wahlen vom 5. März 1933 - also schon nach Hitlers Machtantritt - 4,8 Millionen Stimmen für sich verbuchen konnte. In der sowjetisch besetzten Zone war die KPD bereits am 11. Juni 1945 wiedergegründet worden; im April 1946 fusionierte sie dort mit der Ost-SPD zur "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands". In den Westzonen hingegen wurde eine SED von den Alliierten nicht zugelassen.

    Spätestens seit 1948 war die politische Linie der West-KPD deckungsgleich mit der SED-Politik. Trotzdem konnten die Kommunisten bei den ersten Bundestagswahlen 1949 immerhin 5,7 Prozent der Stimmen für sich verbuchen und saßen in fast allen Landesparlamenten.

    " Wir hatten einen ungeheuern Auftrieb in dieser Zeit - wenn ich das mal vom Ruhrgebiet sagen darf. In den Schachtanlagen des Ruhrgebietes hatten wir zwei Drittel der Betriebsräte, das waren Kommunisten, ein Drittel waren Betriebsratsvorsitzende."

    ...sagt Manfrek Kapluck, der damals als Jungkommunist die Arbeit der westdeutschen FDJ mitkoordinierte.

    " Ich darf sagen, dass das KPD-Verbot für mich eigentlich dort beginnt, wo das FDJ-Verbot begonnen hat, also 1951."

    Bereits 1950 hatte die Regierung Adenauer ein erstes Berufsverbot für KPD- und FDJ-Mitglieder im öffentliche Dienst erlassen. Manfred Kapluck landete nach dem Verbot der gut 30.000 Mitglieder zählenden West-FDJ unter dem Vorwurf der "Vorbereitung zum Hochverrat" in mehrmonatiger Untersuchungshaft und tauchte danach für 12 Jahre in die Illegalität ab.

    Dass die KPD auf ihrem sogenannten "Münchner" Parteitag im März 1951, der in Wirklichkeit in Weimar stattfand, den von der SED vorgeprägten Aufruf zum "nationalen Widerstand" übernommen hatte, lieferte der Bundesregierung den willkommenen Anlass für das Verbot des KPD-nahen Jugendverbandes wie auch für ihren Verbotsantrag gegen die KPD selbst vom 16. November 1951.
    Zeitgleich beantragte sie außerdem das Verbot der rechtsradikalen "Sozialistischen Reichspartei", die schon im Oktober 1952 von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt wurde. Grundlage der Verbotsanträge bildete in beiden Fällen Artikel 21, Absatz 2 des Grundgesetzes:

    Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das Nähere regeln Bundesgesetze.

    Und die harrten Anfang in der jungen Bundesrepublik noch ihrer Ausarbeitung. Erst im Sommer 1951 verabschiedete der Bundestag ein Strafrechtsänderungsgesetz, das mit der Einführung bzw. Neufassung der Straftatbestände Landesverrat, Hochverrat und Staatsgefährdung fortan für lange Zeit die juristische Handhabe gegen echte und vermeintliche Verfassungsfeinde bildete.

    Die Kommunisten ahnten, was das neue politische Strafrecht für sie bedeuten würde. Dementsprechend scharf, aber erfolglos, polemisierte der KPDler Walter Fisch 1951 im Bundestag:

    " Es handelt sich hier zweifellos um ein eigentliches Ausnahmegesetz. Ein Ausnahmegesetz, gegen alle diejenigen, die aktiv für den Frieden und die Einheit Deutschlands eintreten. Die Verkündung dieses Gesetzes soll abschreckend wirken. Es droht die härtesten Strafen für eine bestimmte politische Gesinnung an; mit bis zu lebenslänglichem Zuchthaus sollen solche Menschen bestraft werden, die sich der unamerikanischen Gesinnung und des Bestrebens schuldig machen, anstelle des gespaltenen Deutschlands, in dem wir heute leben, anstelle der auf fremdes Geheiß geschaffenen westdeutschen Bundesrepublik ein geeintes....

    (Läuten) Ordnungsruf:

    Herr Abgeordneter Fisch, ich verwahre mich dagegen, dass Sie die Deutsche Bundesrepublik als auf fremdes Geheiß geschaffen bezeichnen. Ich rufe Sie zur Ordnung und mache Sie auf die Folgen weitere Ordnungsrufe aufmerksam. (Applaus)

    Gegen alle diejenigen, die ein geeintes und demokratisches und unabhängiges deutsches Staatswesen zu setzen wollen."

    Kurz darauf, im Januar 1952, entzog eine Änderung der Bundestagsgeschäftsordnung der KPD den Fraktionsstatus und damit die Möglichkeit, im Parlament Anträge und Anfragen zu stellen. Umso agressiver gebärdeten sich die Kommunisten nun außerhalb des Parlaments, so in ihrem "Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands" vom November 1952, das offen den "revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes" forderte - ein Terminus, der für das Verbot der KPD mitentscheidend werden sollte:

    Es wäre lächerlich, zu erwarten, dass das Regime Adenauer, welches die für die Bevölkerung unerträglichen Verhältnisse geschaffen hat, selbst den Wunsch hätte, diese Verhältnisse wieder abgeschafft werden. Deshalb muss das Regime Adenauer gestürzt und auf den Trümmern dieses Regimes ein freies, einheitliches, unabhängiges, demokratisches und friedliebendes Deutschland geschaffen werden.

    Einziger Schönheitsfehler dieses Postulats war, dass - trotz Remilitarisierung und verbreiteten Unbehagens über die Politik der Alliierten und des politischen Einflusses von Alt-Nazis in der Bonner Republik - die Bundesbürger kaum revolutionär gesinnt waren. Und ein so genanntes "freies, friedliebendes Deutschland" nach DDR-Muster war ihnen erst recht zuwider.

    Für ihre realitätsferne Politik erhielt die KPD bei den Bundestagswahlen 1953 die Quittung: Konnte sie 1949 noch 5,7Prozent der Wählerstimmen für sich verbuchen, waren es 1953 2,2Prozent - nur noch in wenigen Landesparlamenten saßen fortan einige versprengte kommunistische Abgeordnete. Diether Posser, späterer Justizminister von Nordrhein-Westfalen und vorher häufig Verteidiger in politischen Prozessen, erinnerte sich 1995 in einem Deutschlandfunk-Feature:

    " Mit dem Programm der "Nationalen Wiedervereinigung", das der KPD also fürchterlich geschadet hat, weil nach diesem Programm die Bundesanwaltschaft eigentlich alle wesentlichen Vorstandsmitglieder der KPD unter den Verdacht der Vorbereitung des Hochverrats inhaftiert hat. Also die KPD als Partei war praktisch lahmgelegt in ihrer Handlungsfähigkeit, und das hat sehr, sehr geschadet, dass das veröffentlicht worden ist. Da haben dann Leute also Angst bekommen, auch Mitglieder der KPD, die gesagt haben, das wollen wir nicht, hier in so einen bewaffneten Kampf eintreten, an den gar nicht gedacht war."

    KPDler, die andere Vorstellungen vom Weg zum Kommunismus in Westdeutschland hatten, wurden - als "Spione und Handlanger des Imperialismus" gebrandmarkt - aus der Partei verstoßen. Zwischen 1948 und 1952 fielen fast das gesamte Parteisekretariat und viele tausende einfache Genossen den Säuberungen zum Opfer. So wurde der stellvertretende KPD-Vorsitzende Kurt Müller 1950 in der DDR verhaftet und zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er 5 absitzen musste. Übrig blieb ein auf die SED eingeschworener Parteivorstand um den KPD-Vorsitzenden Max Reimann.

    Am 23. November 1954 schließlich begann vor dem ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts die mündliche Verhandlung im KPD-Prozess. Es half der Partei nichts mehr, dass sie im April 1956 das Steuer herumriss und die Losung vom "revolutionären Sturz" Adenauers für falsch erklärte. Am 17. August 1956 sprach Karlsruhe das Urteil: Die KPD wurde für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst. Bundesinnenminister Gerhard Schröder auf einer Pressekonferenz:

    " Es werden keine Verhaftungswellen ausgelöst. Es geht jetzt nicht um die kleinen Gefolgsleute und Mitläufer der KP. (...) Hier gibt es keine Hexenjagd. Niemand will ihnen unnötig etwas am Zeuge flicken, oder den Arbeitsplatz rauben, sofern sie sich den Spruch des Bundesverfassungsgerichts fügen.

    SA Mann Schröder lügt. Allein in Hamburg wurden seit dem Verbot der KPD gegen 200 Mitglieder der Partei Strafanträge gestellt.

    Hexenjagd, Gesinnungsjustiz, Sippenhaft. So sieht die Gesetzlichkeit der Adenauer und Schröder aus."

    Originalton Deutscher Freiheitssender 904, der seit dem Tag des KPD-Verbots konspirativ aus der DDR sendete, um die westdeutschen Kommunisten in der Illegalität zusammenzuhalten.

    (Dass sich indes die gesamte KPD-Führung nach dem Verbot in die DDR absetzte, bezeichnet Manfred Kapluck als Legende. Er selbst pendelte in diesen Jahren zwischen Ost und West.)

    " Ich wohnte in Ostberlin, wie übrigens im Westen, in einer illegalen Wohnung, denn ich wurde ja von meinem lieben Verfassungsschutz weiterhin verfolgt. Ich stand ja im Fahndungsbuch mit einigen Punkten, das heißt, Schwerverbrecher, und habe dann meistens in Westdeutschland gearbeitet: in der Anti-Atombewegung bei den Ostermärschen und später in der Anti-Vietnam-Situation. Ich war weiterhin tätig, na ich sag´ mal zu 80 Prozent, in Westdeutschland, natürlich mit falschen Ausweisen, illegal und so weiter."

    Währenddessen fand die Hexenjagd, die der Freiheitssender konstatierte, tatsächlich statt. Bis zum 22. August 1956 wurden nicht nur 199 KPD-Funktionäre vorläufig festgenommen, sondern es setzte auch eine juristisch höchst fragwürdige Verfolgungswelle gegen Mitglieder von Verbänden und Interessengemeinschaften ein, die direkte Kontakte zu DDR-Organisationen unterhielten. Schätzungen reichen von 125.000 bis 200.000 Verfahren, die in dieser Zeit gegen sogenannte "Verfassungsfeinde" eingeleitet wurden.

    Zum Beispiel gegen Elfriede Kautz und Gertrud Schröter, die in der "Zentralen Arbeitsgemeinschaft frohe Ferien für alle Kinder" für jährlich rund 1.000 Kinder aus armen Familien Urlaub in DDR-Ferienlagern organisierten. 1961, noch bevor die ZAG als kommunistische Tarnorganisation verboten wurde, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die beiden Frauen - wegen "landesverräterischer Beziehungen", "Rädelsführerschaft bei der Förderung einer verfassungsfeindlichen Organisation" und "staatsgefährdenden Nachrichtendienst". Typisch für diese Verfahren war, dass Mitgliedschaften in kommunistischen oder sympathisierenden Vereinigungen auch rückwirkend geahndet wurden, also auch für die Zeit vor dem Verbot der jeweiligen Organisation - eine rechtsstaatlich unhaltbare Praxis. Gertrud Schröter 1995 im Deutschlandfunk:

    " Dann hat man uns angehängt, wir wären eine Ersatzorganisation der verbotenen KPD. Ja, nun weiß ich nicht, was man da mit so Ferienaktionen und mit Kindern, die lustig und fidel sind, was man damit für eine KPD-Ersatzorganisation schaffen kann. Also, wir sind im November ´61 verurteilt (worden). Frau Kauz und ich haben ein Jahr gekriegt - jede -, fünf Jahre Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, Unterstellung unter Polizeiaufsicht. Das kriegen nicht mal Mörder."

    Beim Kampf um die Wiederzulassung der Partei nutzten die Kommunisten seit Mitte der 60er Jahre auch ökonomische Hebel, erinnert sich Manfred Kapluck, der nach mehreren Prozessen zu dieser Zeit wieder aus der Illegalität auftauchte und Kontakte zur westdeutschen Großindustrie knüpfte - als Mittelsmann für Geschäfte mit dem Ostblock.

    " Ob das Krupp ist, ob das Mannesmann ist, die wollten Geschäfte machen. Und dann war es doch ganz einfach, wenn Berthold Beitz sagte, ich fahre mal wieder nach Moskau, kannste nicht ein gutes Wort für mich einlegen. Und er ist dann nach Moskau gekommen mit einer Delegation, der auch Kommunisten der Illegalität beigewohnt sind, die gab es als Betriebsratsvorsitzende in einigen Bereichen. So, dann wurden sie in Moskau gefragt: `Sag mal, ihr wollt mit uns Kommunisten Geschäfte machen? Wie viel Betriebe willst Du hier im Osten aufbauen?´ - `So und so viel´. - ´Und im eigenen Land habt ihr die Kommunisten immer noch verboten?´. Eine peinliche Situation für das wunderschöne deutsche Großkapital, das nun endlich mal nach Osten etwas öffnen wollte."

    Ganz andere Motivationen, so Kapluck, bewogen damals auch konservative Politiker in der Bundesrepublik, über eine Wiederzulassung der KPD nachzudenken:

    " Franz Josef Strauß war einer unserer Verbündeten. Er hat's nicht gesagt, die muss jetzt legalisiert werden. Sondern er hat nur gesagt, der Eisberg soll auftauchen, damit ich das untere in den Betrieben auch noch sehe. Das war Franz Josef Strauß. Und wenn er auftaucht, und die legal werden, dann werde ich dafür sorgen, Franz Josef Strauß, dass sie nicht größer werden, wenn sie legal werden, ich halte sie so klein mit Hut."

    Erst 1968 wurde das politische Strafrecht reformiert. Justizminister Gustav Heinemann war selbst Opfer antikommunistischer Repression gewesen. 1950 aus Protest gegen Adenauers Remilitarisierungspolitik als Innenminister zurückgetreten, wurde er 1952 Mitbegründer der Gesamtdeutschen Volkspartei, observiert von Verfassungsschutz und BND. Von Heinemann initiiert, beschloss der Bundestag am 28. Juni 1968 eine Generalamnestie für alle bis dahin begangenen politischen Straftaten - mit Ausnahme des Landesverrats, am 1. August trat das Änderungsgesetz zum politischen Strafrecht in Kraft.

    Keine zwei Monate später, am 22. September 1968 gründete sich in der Bundesrepublik die DKP, die Deutsche Kommunistische Partei - ebenso DDR-treu wie die verbotene KPD. Manfred Kapluck, seit 1960 Mitglied des illegalen Politbüros, führte als KPD-Unterhändler mit der Großen Koalition die Gespräche über eine Wiederzulassung unter neuem Namen:

    " Ich habe mit allen Fraktionen verhandeln können, anderthalb Jahre. Küchenkabinett war Wehner, dort lief eigentlich alles zusammen. Kiesinger spielte keine Rolle. Das wichtigste war eigentlich ein Gespräch mit dem damaligen Doktor Ehlers, der war Chef des Innenausschusses. Und Konrad Ahlers war direkt unser Verbindungsmann, der war Sprecher der Regierung und Pressesprecher. Und dann kommen die Kriterienfragen, die Sachen, die im Urteil stehen, die müssen verändert werden. Ja was war das? Diktatur des Proletariats darf man nicht mehr sagen. Gut, dann sagen wir das, was Lenin auch schon gesagt hat, mit der Arbeiterklasse und anderen Bündnisschichten. Aber dann dürft ihr auch nicht sagen, Marxismus, nein, Marxismus, Leninismus mit Bindestrich sagen wir nicht mehr. Wir sagen, wir arbeiten auf der Grundlage der Ideen von Marx, Engels und Lenin. Ja, das geht. (...) Aber ihr könnt nicht mit dem alten Politbüro kommen. Ihr könnt den Max Reimann jetzt nicht einfach... Nein, machen wir anders, wir werden schon jemanden finden."

    In ihrer ersten politischen Grundsatzerklärung bekannte sich die DKP ausdrücklich zu einem Weg in den Sozialismus ohne Bürgerkrieg. Ansonsten aber wahrte die Partei treu die Traditionen ihrer verblichenen Vorgängerin, auch was die Akzeptanz ihrer Politik bei den Bundesbürgern betraf: Bei ihrer ersten Teilnahme an Bundestagswahlen errang sie 1969 einen Stimmanteil von 0,6Prozent.