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Authentischer Brahms

Unlängst sind zwei neuen CDs mit Kammermusik respektive Klaviermusik erschienen. In beiden Fällen geht es um Johannes Brahms. Bei Warner Brothers hat das geschwisterliche Klavierduo Güher und Süher Pekinel die Sonate op. 34b, fünf Walzer aus op. 39 und zwei Ungarische Tänze mit den Beethoven-Variationen von Camille Saint-Saëns kombiniert. Auf der anderen CD, die bei Tacet erschienen ist, spielen das Abegg Trio und der Hornist Stephan Katte Brahms auf so genannten period instruments.

Von Norbert Ely |
    Und das bedeutet in diesem Fall, daß Katte auch im galoppierenden Jagdfinale ein Horn nicht nur aus der Zeit des Schwarzpulvers bläst, sondern aus der Epoche um 1800, also der Ära vor der Erfindung der Perkussionsbüchse und des Pistons. Da glaubt man nicht nur als Jäger unbesehen, daß man im Wald steht, und zwar in einem, in dem es gelegentlich nicht ganz geheuer ist.

    * Musikbeispiel: Johannes Brahms - 4. Finale. Allegro con brio aus: Trio für Klavier, Violine und Waldhorn Es-dur, op. 40

    Das waren der Hornist Stephan Katte, der Geiger Ulrich Beetz und der Pianist Gerrit Zitterbart mit dem Finale des Horntrios Es-dur op. 40 von Johannes Brahms. Und in diesem Allegro con brio spielen die drei endlich einmal alle Vorteile des historischen Instrumentariums aus. Dazu ein paar Informationen: Stephan Katte wählte für diese Aufnahmen ein wirkliches Waldhorn, ein ventilloses Naturhorn, das Andreas Jungwirth 2001 nach einem Vorbild aus dem Jahr 1800 fertigte. Ob zu den Zeiten des Johannes Brahms überhaupt noch ein Berufsmusiker sich auf einer so betagten Glücksspirale versucht hat, sei dahingestellt.

    Auch die Naturhörner, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch gespielt wurden, waren wohl etwas neueren Datums, davon zu schweigen, daß die Entwicklung hin zum Ventilhorn natürlich längst eingesetzt und sich auch durchgesetzt hatte. Tatsache ist, daß Brahms das Naturhorn über alles liebte. Tatsache ist auch, daß der Erzvater des modernen Hornspiels und Freund von Anton Reicha, der Franzose Louis François Dauprat, zwar seine Studenten mit allen technischen Weiterentwicklungen des Instruments vertraut machte, daß er selbst aber bis ins hohe Alter dem Naturhorn den Vorzug gab. Es ist freilich äußerst heikel zu spielen, und man kann die Virtuosität, die Stephan Katte in diesem brahms’schen Finale an den Tag legt, nur bewundern.

    Die Violine, die der Geiger Ulrich Beetz handhabt, ist eine Nicolas Lupot aus dem Jahr 1821, mithin ein vergleichsweise modernes Instrument. Die Darmsaiten bekommen ihm ausgesprochen gut. Schließlich der Flügel: Das ist ein Johann Baptist Streicher aus Wien aus dem Jahr 1864, der zur Sammlung Neumeyer/Junghanns gehört. Man kann darüber streiten, ob hier die Bezeichnung "Hammerflügel" noch gerechtfertigt ist. Tatsächlich handelt es sich um ein Instrument aus der vielleicht interessantesten Zeit des Klavierbaus, aus jener Epoche nämlich, in der Schritt für Schritt das moderne Pianoforte entwickelt wurde.

    Der Wiener Johann Baptist Streicher hatte Anfang der 1860er Jahre offenbar bei Gelegenheit der Londoner Weltausstellung Anleihen bei den Mensuren des erfolgreichen Braunschweiger Klavierbauers Theodor Steinweg gemacht, der damals zusammen mit seinen Brüdern den Firmenverbund Steinway&Sons New York/Braunschweig betrieb. Steinwegs Mensuren wurden später noch von Grotrian, Helffrich & Schulz Theodor Steinweg Nachfolger in Braunschweig fortgeführt, aber offenbar auch von Streicher in Wien verwendet. Streicher wiederum schenkte 1868 Brahms einen neuen großen Flügel für dessen Wiener Wohnung.

    Das Instrument kann also einerseits Authentizität für sich beanspruchen, anderseits steht es in einer Entwicklungslinie hin zu jenem neuen Konzertflügel, den Theodor Steinweg als Theodore Steinway 1874 dann in New York präsentierte. Daß der Streicher’sche Flügel über eine so genannte Wiener Mechanik verfügt, stellt ein weiteres interessantes Detail dar. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbaute Bösendorfer, sonst übrigens das Favoritinstrument von Gerrit Zitterbart, auf Wunsch in seinen Instrumenten Wiener Mechaniken, und auch Hans von Bülow erwähnt in einem Brief an Carl Bechstein ein neues Instrument dieser Firma mit einer Mechanik mit so genannter einfacher Auslösung, also ohne double echappement nach Erard und Hertz, wobei es sich jedoch vermutlich eher um eine Mechanik nach englischem Vorbild handelte.

    Die Frage, die sich im Fall der aktuellen CD stellt, ist nun allerdings die, ob der authentische Brahms und seine Freunde wirklich so schonend mit ihren Instrumenten umgingen, wie es hier bei den drei vorausgehenden Sätzen praktiziert wird. Während Stephan Katte, Ulrich Beetz und Gerrit Zitterbart im Finale des Horntrios kräftig-fröhlich zulangen und anderseits gerade im Geräuschhaften des Anklingens mancher unheimliche Unterton durchklingt, ganz so als rumore noch der wilde Watz aus dem Freischütz im Unterholz, hören sich Kopfsatz, Scherzo und Adagio mesto vergleichsweise harmlos an, weil in erster Linie schön, vornehm, zurückgenommen und insgesamt ein bisschen spießig. Das gilt mit Einschränkungen auch für die Bearbeitung des brahms’schen zweiten Sextetts G-dur op. 36 für Klaviertrio. Die präsentiert das originale Abegg Trio mit Gerrit Zitterbart, Klavier, Ulrich Beetz, Violine, und Birgit Erichson Violoncello auf weite Strecken als etwas matten Abglanz der reinen Streicherbesetzung. Auch Birgit Erichson hat dafür ein vergleichsweise modernes Instrument gewählt, ein Castagnieri-Cello von 1847. Damit ließe sich etwas anstellen.

    Doch die drei spielen immer wieder so, als wollten sie die Gespräche einer imaginären Gesellschaft nicht stören. Dabei war Liszt ja weiland keineswegs der einzige Pianist, der regelmäßig Flügel in ihre Bestandteile zerlegte, und auch Brahms hatte sich dem Wiener Publikum keineswegs als sterbender Schwan vorgestellt, sondern mit seinen handfesten Händel-Variationen. Will sagen: Wenn das Abegg-Trio demnächst auf historischen Instrumenten etwas fester zupackt, dann wird es der romantischen Literatur neue aufregende Seiten abgewinnen. Ansatzweise ist das bereits auf dieser neuen Tacet-CD zu hören.

    Beinahe einer Wiederentdeckung kommt die Wiederbegegnung mit dem Klavierduo Güher und Süher Pekinel gleich. Die spielen natürlich nach wie vor auf modernen Instrumenten, und sie tun es mit einer überwältigenden Intelligenz und einem Formsinn, der schon fast zum Fürchten ist.

    * Musikbeispiel: Johannes Brahms - 1. Allegro non troppo (Ausschnitt) aus der Sonate für 2 Klaviere f-moll, op. 34b

    Man legt die Scheibe ein und ist sofort gefesselt von der großen Linie, die hier herrscht, von dem freien Atem und der Souveränität, mit der diese beiden Pianistinnen das Spiel auf dem Pianoforte bis in die Feinheiten des Anschlags hinein beherrschen. Das hat ebenso Eleganz wie Reichtum der Empfindung. Nur sentimental werden die beiden nie.

    * Musikbeispiel: Johannes Brahms - 1. Allegro non troppo (Schluss) aus der Sonate für 2 Klaviere f-moll, op. 34b

    Güher und Süher Pekinel verfahren mit der Sonate für zwei Klaviere f-moll, op. 34b von Johannes Brahms auf die einzig richtige Weise: sie versuchen erst gar nicht, dessen originäre Gestalt als Klavierquintett zu evozieren, sondern sie machen die vier Streicher vergessen, die in diesem Quintett ohnehin nur den Pianisten behindern, und machen das Ganze untereinander als ein eminent klavieristisches Stück aus, bei dem im Scherzo offenes Feuer ausbricht. So geht das auch mit den fünf Walzern aus op. 39 weiter. Dahin ist alle Wiener Gemütlichkeit, und man ahnt, daß der Brahms, wenn er’s denn noch hätte erleben können, womöglich Ravels "La Valse" durchaus goutiert hätte. Die Pekinels lassen die fünf Stücke jedenfalls beinahe wie einen Abgesang auf eine vergangene Seligkeit erscheinen. Und immer sind die pianistischen Mittel, die sie einsetzen, in hohem Maße reflektiert und kontrolliert.

    * Musikbeispiel: Johannes Brahms - Walzer h-moll, op. 39 Nr. 11

    Ein Plaisir besonderer Art sind schließlich die Variationen op. 35 über ein Thema von Beethoven von Camille Saint-Saëns. Es sind Variationen über das klanglich ja außerordentlich reizvolle Trio des Menuetts aus der Sonate Es-dur op. 31 Nr. 3. Saint-Saëns hat daraus eine Art von geistvoll-ironischem Danse macabre gemacht, der hier in den besten und schönsten Händen gelandet ist.

    * Musikbeispiel: Camille Saint-Saëns – Variationen, op. 35 über ein Thema von Beethoven (Schluss)

    Das war die neue Platte im Deutschlandfunk. Zum Schluss hörten Sie das Klavierduo Güher und Süher Pekinel mit einem Ausschnitt aus den Variationen über ein Thema von Beethoven op. 35 von Camille Saint-Saëns, zu finden auf einer neuen CD, die bei Warner Brothers erschienen ist. Außerdem ging es heute um eine Brahms-CD des Abegg-Trios, die vom Stuttgarter Label Tacet herausgebracht wurde.

    CD 1:
    Titel: "Johannes Brahms – Klaviertrios III"
    Ensemble: Abegg Trio
    Solist: Stephan Katte, Naturhorn
    Label: TACET
    Labelcode: LC 07033
    Bestell-Nr.: CD 147


    CD 2:
    Titel: "Brahms/Saint-Saëns"
    Solisten: Güher & Süher Pekinel, Klavier
    Label: WARNER
    Labelcode: LC 04281
    Bestell-Nr.: 61959-2